Um es vorwegzunehmen: Die besten, die goldenen Zeiten sind in Cas Concos vorbei. Auch wegen der Krise. Es waren die Zeiten, als bei Vernissagen bei Joanna Kunstmann kilometerweit die Landstraße verparkt war, oder als Ann-Kathrin Seif im L´Espai zur Eröffnung einlud und die ganze Clique nachher ins Viena speisen und ins Abraxas zum Chill-out ging.

Doch die Kulturszene krallt sich zäh an diesem unscheinbaren Dorf bei Felanitx fest. Gerade ist die deutsche Galeristin Yvonne Massmann aus dem Stadtzentrum von Palma nach „Downtown" Cas Concos gezogen. Im vergangenen April eröffnete die „Kunst­garage", und wer sich die Zeit nimmt, um durch den Ort zu spazieren, stößt auf weitere Lebenszeichen einer Szene, die man hier, zwischen Hügeln, Fincas und viel Gebüsch, eigentlich nicht erwartet.

Was ist los in Cas Concos? Warum hörte der Madrilene Manuel Bragado, als er in Deutschland lebte, Geschichten „über Mallorca und Cas Concos"? Warum schwärmt die Galeristin ­Joanna Kunstmann, die aktuell in bester Lage in Palmas Altstadt Kunst anbietet, noch heute von dem ländlichen Häuserhaufen, der nichts mit der Postkartenidylle von Deià gemeinsam hat? Und wie kommt es, dass sich sogar der Bauunternehmer des Dorfes – Salvador Pastor – als feinsinniger Kulturfan outet, der über dem Büro Künstlern gratis einen Ausstellungsraum anbietet und einen gediegenen Bildband über sein Geschäft herausgegeben hat, mit einem Vorwort des international bekannten Fabrizio Plessi (der auch in der Gegend wohnt)?

Eine Erklärung lautet: die ebenso kultivierten wie kaufkräftigen Kunden der Hamburger Hügel (siehe Kasten). Joanna Kunstmann war die Erste, die verblüfft feststellte, wie kulturhungrig die Residenten in dieser Ecke Mallorcas waren. Sie hatte ein Haus außerhalb des Dorfes gemietet und immer wieder mal Künstler, Kunstwerke und Kunstsinnige bei sich. Ende 1994 beschloss sie, die Sache zu strukturieren, und organisierte eine echte Ausstellung. „Ich hatte keine Ahnung, mit welchem Zuspruch zu rechnen war, und verteilte überall Einladungen, sogar auf dem Markt von Santanyí." Das Ergebnis: Sie wurde förmlich überrannt – „es war Wahnsinn".

In Cas Concos, das wurde schnell klar, trafen zwei Welten aufeinander, die gut miteinander konnten: originelle Künstler mit Curriculum und kunstsinnige Kunden mit Portemonnaie. In der Umgebung lebten Künstler wie Peter Marquant (der heute in Capdesmoro sein Al Quinto Pino-Kunstprojekt betreibt), Ferrán Aguiló, Lin Utzon und Arti Leimbacher. Und es blieb nicht bei stillen Dingen zum Anschauen: „Wir haben auch Rockkonzerte gemacht", erzählt Kunstmann. „Das Terrain war ja groß, die Nachbarn weit weg."

Die Galeristin, die 1996 nach Santanyí zog, weil ihr Mietverhältnis endete, war nicht die einzige Kulturtreibende. Am lokalen Ende der Skala malte und schriftstellerte Tomeu Pons in seinem Anwesen Puiggros, ein paar Autominuten von Cas Concos entfernt. Seiner Gattin, die Araberpferde züchtet, luchste er ein Gewölbe ab, um eine Ich-Galerie aufzumachen. (Mittlerweile hat die Ehefrau das Gewölbe zurückerobert).

Am kosmopolitischen Ende der Skala sind etwa die Kulturfeste angesiedelt, die der Hamburger Millionär und Kunstsammler Thomas Wegner – eine Schlüsselfigur der Hamburger-Hügel-Society – in seinem Anwesen feiert(e), bis hin zu einer privaten Aufführung der „Zauberflöte". Kunstmann erinnert sich an gemeinsame Aktionen, die mit einer Vernissage in ihrer Galerie – nun schon in Santanyí – begannen, wonach die Gäste per Shuttlebus zu Wegner gekarrt wurden.

Im Mittelfeld zwischen Lokalkolorit und Hügel siedelte sich Ingrid Flohr an. Die Deutsche blieb in Cas Concos, weil die Landschaft sie an die Toskana erinnerte, weil das Haus, das zur Vermietung stand, so hübsch war und weil das Landhotel Son Vent für ein Jahr an RTL verpachtet war – die Fernsehanstalt drehte dort eine Soap, „und ich dachte, das wäre schon mal eine Klientel".

Bingo. Obwohl sie ihren Plan auch rückblickend als „verwegen" empfindet, zehrt sie bis heute von ihren Erinnerungen an diese Jahre in Cas Concos, als sie Nachbarn hatte wie Uwe Ochsenknecht und in ihrer Casa del Arte in fünf Jahren 30 Vernissagen veranstaltete. Dann schoss die Miete in die Höhe und Flohr wechselte nach Santanyí.

Ende der 90er Jahre hing die Hamburgerin Ann-Kathrin Seif ihren Stressjob als Filmrechte-Händlerin an den Nagel und beschloss, das Hobby zum Beruf zu machen. Ihre Eltern hatten schon lange ein Ferienhaus in Andratx, doch die Freundschaft mit Thomas Wegner zeigte ihr den Weg nach Cas Concos. 1999 eröffnete sie die Galerie L´Espai, die bis 2003 brummte.

Seif sah sich schon für den Sprung nach Palma gerüstet („ich dachte, wer in Cas Concos Erfolg hat, wird auch in der Hauptstadt nicht scheitern"), doch dann lernte sie ihren künftigen Mann kennen und ging zurück nach Deutschland. Und vermisst Cas Concos: „Die Leute kamen sogar aus Palma." Nicht nur wegen der Kunst: Im Abraxas, so Seif, „rockte der Bär".

Das tut er noch immer, mit ­Live-Musik bis spät nachts, und gut isoliert, um die Dorfruhe nicht zu stören. Das findet auch Manuel Bragado cool, Werbefotograf und Künstler, der dem Bürgermeister von Felanitx eine zum Abriss bestimmte ehemalige Werkstatt abschwatzte, um die Garage del Arte zu eröffnen. Die Krise nützt dem Projekt: „Die Gemeinde will hier ja einen Dorfplatz errichten, aber solange kein Geld in der Kasse ist, können wir weitermachen."

Der letzte Neuankömmling heißt Empire Art. Die ehemalige Theaterschauspielerin, heute Galeristin, Yvonne Massmann tauschte nach fünf Jahren ihre sehr zentrale Lage in Palma mit Cas Concos. Gründe? Erstens wohnte sie schon vorher in dem Dorf, kennt also das Publikum. „Da kommen zwar weniger Leute zur Tür rein, aber die reinkommen, zeigen echtes Interesse." Auf das Haus an der Hauptstraße hatte sie schon seit Jahren ein Auge geworfen. Von der Gemeinde wurde sie „sehr herzlich" aufgenommen. Zur Eröffnung Mitte März wurde die Galerie überrannt. Natürlich.

Immer schon eine als Restaurant getarnte Kunstgalerie war das Viena. Ein paar Häuser weiter betreiben Chilenen von der Osterinsel das Restaurant Rapa Nui. Und der von Deutschen geführte Papierladen des Dorfes ver-

kauft Kunst aus Indien. Alles ganz normal. Für Cas Concos.

"Hamburger Hügel":

Mit „Hamburger Hügel" ist sowohl ein geografisches Revier als auch eine ländliche High Society großteils deutscher Herkunft gemeint, die sich auf einem Hügelzug zwischen Cas Concos und Santanyí sowie der Umgebung ansiedelte. In einem Restaurant, das Ende der 90er Jahre eröffnete, fand sie ihren stilgerechten Treffpunkt: das Viena des Fotografen, Kunstsammlers und Gastronomen Rainer Fichel aus Hamburg. Gemeinsamer Nenner: Understatement, guter Geschmack und immense Kaufkraft. Dementsprechend unscheinbar ist die Fassade dieses Szene-Treffpunkts.

Begonnen hat der Run auf dieses landschaftlich nicht spektakuläre, jedoch bukolische Gebiet mit Brigitte Theler, der Schweizer Exfrau des Baulöwen und Hoteliers Chacha Theler (Gründer des Nobel-Fincahotels La Reserva Rotana). In den 80er Jahren ließ sie sich bei Cas Concos nieder, einige Hamburger Freunde zogen nach, dann kamen Freunde von Freunden und der Hügelzug wurde immer hamburgischer, aber nicht nur: Den letzten (bekannten) großen Immobilienkauf tätigte hier Silvius Dornier, der in Süddeutschland lebende Sohn des legendären Flugboot-

Ingenieurs.

Äußerst wohlhabende Mallorca-Fans, unter ihnen Angehörige der uralten Hamburger Reederfamilie Rickmers, urlauben diskret bei Cas Concos. Für statusgerechtes Dekor ihrer Anwesen müssen sie nicht weit fahren: In ihrem Kuh-Kultur-Dorf amtieren die Nobelausstatter Isis und Patrick Stewen.