Ein Lehrsaal mit gedämmtem Licht, ein Dutzend Studenten, auf den Bildschirmen eine dreidimensionale Figur. Aufgabe: Sie soll hüpfen. Nicht realistisch, sondern filmgerecht. Das Thema der Unterrichtseinheit lautet „Konzept der Übertreibung". Als Vorlage dient eine konventionelle Zeichentricksequenz. Mario Escudero starrt konzentriert auf seinen Schirm, jongliert mit Symbolen, gibt Befehle ein und zeigt den bisher programmierten Hüpfer. „Das ist ein harter Kurs", prustet er. „Wir kommen morgens um neun und gehen abends um acht." Aber genau deshalb ist der 21-Jährige aus Extremadura nach Mallorca gekommen – weil er im Ladat in einem Jahr lernt, was andere Universitäten in zwei oder drei vermitteln.

Ladat ist auf Spanisch die Abkürzung von „Abteilung für fortgeschrittene Animations- und Multimedia-Technologie". Mario Escudero ist einer von 15 (in normalen Jahren 20) handverlesenen Studenten, die Aufnahme in den Master-Lehrgang in Computeranimation fanden. Es gibt ihn seit nunmehr 20 Jahren. In dieser Zeit hat das Ladat mit Kurzfilmen, die Studenten als Projektarbeiten angefertigt haben, bei Festivals 115 Preise gewonnen, etwa für den besten europäischen Kurzfilm auf der Biennale von Venedig. Absolventen dieser Zauberstube der Balearen-UIB trifft man weltweit in wichtigen Filmstudios. Sie haben an Produktionen wie „Ice Age" und „Planet 51" mitgewirkt.

Der Erfolg hat viel mit dem Lehrpersonal zu tun. Prominentester Gastdozent ist Carlos Grangel, ein Figurendesigner für Computertrickfilme. Carlos und sein Bruder Jordi haben in ihrem Studio in Barcelona die Hauptfiguren für „Kung Fu Panda", „Madagascar" und „Hochzeit mit einer Leiche" entworfen. Eine Woche im Jahr steht Carlos Grangel der Balearen-Uni – und keiner anderen – als Dozent zur Verfügung.

Es ist eine heimliche Erfolgsgeschichte. Warum heimlich? Das hängt möglicherweise mit der Mentalität dieser Enthusiasten zusammen, die meist Besseres zu tun haben, als über ihre Arbeit zu reden. Wenn angesprochen, reagieren sie freundlich und hilfsbereit, versinken danach aber sofort wieder in eine Art Trance vor dem Bildschirm. Der extrovertierteste ist Juan Montes de Oca, der Vater der „Spezialeinheit". Er weiß eine Menge zu erzählen. Dazu muss man ihn nur beim Sprint zwischen zwei dringenden Terminen abfangen und an einen Sessel binden.

Schon mit 13 wollte Montes Trickfilmzeichner werden. Später stellte er fest, dass es diesen Beruf im Studienangebot gar nicht gab. „Das Einzige, was ich in Spanien fand, war ein privater Fernkurs in Zeichnen mit einem winzigen Kapitel über Zeichentrick." Um „irgendetwas" zu machen, und weil ihn alles Neue fasziniert, studierte er in Barcelona Informatik. Einer der Professoren wusste um die Frustrationen des jungen Montes de Oca, und er wusste, dass an der jungen Balearen-Uni ein junger Rektor namens Josep Blat für Neues aufgeschlossen war. Ein paar Unterredungen später fragte Blat den frischgebackenen Informatik-Dozenten Montes, ob er Lust hätte, einen Lehrgang für Computeranimation aufzubauen.

Es war der Urknall der Ausbildung zum Computer-Filmer in Spanien. Mit einem Stipendium zog Montes für zwei Jahre nach Frankreich, um zunächst die Grundlagen zu erarbeiten. In Paris studierte Montes tagsüber an der führenden Forschungsstätte für Computeranimation und suchte abends den Kontakt zu Unternehmen, die das neue Feld bereits beackerten.

Und hatte wieder Glück: Eine Dachbodenfirma in Paris nahm ihn auf. Es war das Studio von ­Pierre Buffin, das später die Spezialeffekte für Produktionen wie „Delicatessen", „Die Stadt der verlorenen Kinder" oder – in jüngerer Zeit – der „Minimoi"-Filme von Luc Besson anfertigte. Mit einem Computer dieses Studios unter dem Arm und der Genehmigung, die von Buffins Leuten entwickelte Software im Unterricht verwenden zu dürfen, kehrte Montes auf die Insel zurück wie ein Jäger mit seinen Trophäen. Und sorgte dafür, dass die UIB als erste spanische Universität einen Kurs für Computeranimation anbot, und darüber hinaus zu den vier ersten des Kontinents gehörte, die 1990 gemeinsam einen europäischen Master-Lehrgang aus der Taufe hoben.

Computeranimation war damals ein exotischer Zweig der Filmindustrie und fand vor allem in den USA statt, wo die Disney-Studios 1982 mit „Tron" den ersten auf Computereffekten aufgebauten Spielfilm produzierten, und wo 1986 eine damals unbekannte Firma namens Pixar einen kurzen Computertrickfilm namens „Luxo Jr." präsentierte, der die Geschichte einer Lampe erzählt – dieselbe Lampe, die heute als animiertes Logo der Pixar-Spielfilme auftritt.

Es war die Steinzeit der Computeranimation, doch eine Branche warf bereits ein Auge auf die neuen Möglichkeiten: die Werbung. „Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre war Computeranimation das Wundermittel des Werbespots", erzählt Juan de Oca. Prompt schossen Studios wie Pilze aus dem Boden. Allerdings fehlten ausgebildete Fachkräfte. Die UIB half, diese Lücke zu füllen, hielt die Studentenzahl jedoch bewusst niedrig, um die Qualität zu gewährleisten.

Vor kurzem ist das Ladat aus seinen beengten Räumlichkeiten des Campus in ein Gebäude des nahen High-Tech-Gewerbegebietes ParcBit umgezogen. Das Lehrangebot umfasst auch Kurse in traditionellem Zeichentrick und Dokumentarfilm. „Wir machen das ganze Jahr durch", sagt Montes. „Allein der Masterkurs umfasst 1.729 Unterrichtsstunden."

Einer der Absolventen ist Jaime Juan Soteras aus Palma. Als gelernter Grafiker hatte er zuvor 3D-Bilder von Kücheneinrichtungen erstellt. Im vergangenen Jahr machte er den Master, weil er gerne Geschichten erzählt. Jetzt arbeitet er an einem ehrgeizigen Kurzfilmprojekt der Dozentencrew des Ladat mit.

„Man meint immer, der Computer macht alles leichter", sagt Soteras. „In Wahrheit legt er nur die Latte höher." Viel höher. Besonders schwierig fand er, „eine Figur mit Knochen auszustatten", womit auch die Bewegungsmuster definiert werden. Und mit Schaudern erinnert er sich an die Hintergrundgestaltung in seinem Projektfilm: Laubbäume, die sich im Wind bewegen. Als er das in vier Monaten Arbeit entstandene Filmchen seiner Familie zeigte, fragte die nur: „Das war´s schon?"

Im Jahr 2008 unternahm das Ladat mit einer Ausstellung in Palmas Kunstmuseum Es Baluard einen Versuch, den Mallorquinern zu erklären, was Montes und sein Team eigentlich treiben und warum das nicht so einfach ist, wie es aussieht. Dieselbe Ausstellung läuft übrigens bis Samstag (1. Mai) im American University Museum in Washington. „Wir sind, glaube ich, die Ersten, die so was in den USA machen", sagt Montes. Ganz der stolze Vater.