Die Idylle trügt – dieser Satz gilt besonders für Es Guix. Wer nahe dem Kloster Lluc im Tramuntana-Gebirge dem Wegweiser mit diesem Namen folgt, hat die Fahrbahn für sich. Die steile Erschließungsstraße, die von Laternen gesäumt ist, aber nicht von Häusern, schlängelt sich durch das Frühlingsgrün. Eine Abzweigung endet am Parkplatz eines Restaurants, eine andere an einem Kreisverkehr.

Die Ruhe hier oben in den Bergen kontrastiert mit dem politischen Lärm in Palma. Dort wird im Inselrat gefeilscht, ob nicht doch noch ein Teil der geplanten 105 Wohnungen in der Mini-Gemeinde Escorca hochgezogen werden darf. Wenn es nach dem Willen des Bauträgers ginge, wären schon längst die Bagger angerückt, um Wohnraum für 700 Menschen zu schaffen – womit sich die Zahl der Einwohner von Escorca verdreifachen würde.

Bei Es Guix (sprich: Äs Gisch, wörtlich übersetzt heißt das Gips) geht es nicht nur darum, wie viel Beton die Tramuntana-Kulisse vertragen kann. Die Siedlungs­pläne sind zu einem Symbol geworden im Streit um die Grenzen der Zersiedlung auf Mallorca. Nicht nur weil das Thema ideologisch so aufgeladen ist und vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise, fehlender Aufträge für die Bauwirtschaft und hoher Arbeitslosigkeit so brisant. Escorca ist auch zum Stolperstein bei der Verabschiedung des neuen Raumordnungsplans von Mallorca geworden.

Bei so viel Streit sagen die wenigsten Bewohner in Escorca so offen ihre Meinung wie Antonio Garau. Der Besitzer des Restaurants Ca´n Gallet an der Zufahrt zu Es Guix deutet auf die vorbeiführende Erschließungsstraße. „Ich bin für die Komplettlösung." Die Siedlung bringe mehr Leben, mehr Kunden und vor allem eine Perspektive für die jungen Leute. „Wo sollen meine Kinder später mal einziehen, wenn aus der Siedlung nichts wird?" Die Urlauber und Wochenendgäste hätten leicht reden über die unberührte Natur – wer dagegen das ganze Jahr in Escorca lebe, müsse dreimal höhere Müllgebühren als in Inca zahlen. Und habe keine Perspektive: Im Gemeindegebiet könne außer in Es Guix an keiner Stelle gebaut werden, und der meiste Grund gehöre ohnehin dem Kloster Lluc.

Sogar das Rathaus von Escorca. Bürgermeister Antonio Gómez (Volkspartei, PP) regiert in angemieteten Räumen im Schatten des santuario und sieht sich als Opfer einer Kampagne, bei der es längst nicht mehr um die Sache gehe. In der politischen Debatte werde unterschlagen, dass die Gemeinde schon lange keine Mehrfamilienhäuser mehr zulassen will, sondern stattdessen eine abgespeckte Siedlung mit Einfamilienhäusern favorisiere. Werde die Siedlung ganz gestoppt, sei auch der Entwicklung von Escorca ein Riegel vorgeschoben. „So einen Fall gibt es in ganz Spanien nicht", sagt Gómez. Der Bürgermeister hat eine Liste mit Unterschriften zur Hand, in der sich 95 Prozent der nur knapp 300 Einwohner von Escorca für die Light-Variante von Es Guix aussprechen.

Die Siedlung war schon seit Jahrzehnten geplant, und die Gemeinde vergab schließlich im Jahr 2006 die Baugenehmigung. Doch bevor der Bauträger Urnova die Bagger in Stellung bringen konnte, stoppte die Mitte-Links-Regierung zu Beginn der Legislaturperiode (2007-2011) auf der ganzen Insel den Bau von Urbanisationen. Der Inselrat ließ die Baupläne in Es Guix schließlich gerichtlich stoppen und stellte das Gebiet provisorisch unter Landschaftsschutz.

Auch die Bürgerinitiative zum Stopp der Siedlung hat Unterschriften gesammelt. Hier kamen 15.000 zusammen und wurden jetzt von der Umweltschutzvereinigung GOB, der Vereinigung früherer Chorsänger von Lluc (Blavets) und der Denkmalschutzvereinigung Arca dem Inselrat übergeben. Die Initiative kritisiert angebliche Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe der Baugenehmigung. Die Pläne kämen zudem der Schaffung eines neuen Ortskerns im Herzen der Tramuntana gleich, warnt GOB-Sprecherin Margalida Ramis. Zu den Unterzeichnern zählten Residenten und ausländische Lluc-Besucher, die die Landschaft der Serra de Tramuntana bedroht sehen. Und nicht zuletzt widersprächen die Pläne für die Siedlung Es Guix dem laufenden Antrag des Inselrats, das Mallorca-Gebirge zum Weltkulturerbe der Unesco erklären zu lassen.

Bisher hat Escorca keinen Ortskern. Die Einwohner leben verstreut, ein paar rund ums Kloster Lluc, dem spirituellen Zentrum der Insel, die restlichen in Sa Calobra, Cala Tuent und Son Macip. Escorca – das ist der Puig Major, höchster Berg Mallorcas mit 1.447 Metern, das sind abenteuerliche Gebirgsstraßen und jede Menge Schafe.

„Neue Häuser würden diesen Zauber zerstören", sagt Jaime Morell. Er betreibt – mit einer Konzession des Klosters – das Restaurant Ca s´Amitger an der Plaça Peregrins in Lluc, das sich gerade auf den Besuch der Mittagsgäste vorbereitet. Schon jetzt gebe es genügend Bausünden in der Gemeinde – zu viel Beton anstelle von Naturstein, sagt Morell. „Die Menschen kommen wegen der Idylle nach Lluc, und nicht, um Häuser zu kaufen."

In der Printausgabe vom 13. Mai (Nummer 523) lesen Sie außerdem in diesem Ressort:

- Raumordnungsplan: Feilschen ums Bauland

- Der Haken am Denkmalschutz

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