Die kostbare Fracht aus dem Ausland stand nicht lange in einer Kiste herum. Salvador Sánchez, Leiter der Sternwarte in Costitx, zeigt auf eine leere Holzkiste, in der das inzwischen installierte Teleskop geliefert wurde. Mit 43 Zentimetern Durchmesser ist es das bisher größte der Sternwarte, geschickt hat es die Open University in Großbritannien. Und bis März kommenden Jahres wird ein weiteres Teleskop der Universität Hamburg erwartet.

Möglich werden die Lieferungen durch ein Abkommen, das Mallorcas Sternwarte und die zwei Universitäten geschlossen haben: Diese investieren 300.000 Euro in den Ausbau des Observatoriums und haben im Gegenzug aus der Ferne Zugriff auf die Teleskope. Mallorcas Sternwarte wiederum kann sie ein Drittel der Zeit selbst nutzen – und wird bei allen zukünftigen Entdeckungen in wissenschaftlichen Publikationen Erwähnung finden.

Es ist ein weiterer Schritt in der rasanten Entwicklung des Observatorio Astronómico de Mallorca (OAM). Das Projekt, das vor 20 Jahren im ambitionierten Amateurbereich begann, hat sich im Laufe der Jahre mit ferngesteuerten Teles­kopen und der Entdeckung von Asteroiden einen internationalen Namen gemacht, ist weltweit bestens vernetzt – und will jetzt zusammen mit einer Firma in Madrid für die Europäische Weltraumorganisation ESA Weltraumschrott beobachten. Die Anträge laufen.

Sánchez ist stolz auf die Leistungen und spricht nur zu gern davon, wie das OAM andere Sternwarten in den Schatten stellt. Man habe in digitale Technologie investiert, als andere noch auf Analog-Aufnahmen setzten. „Wir entdecken inzwischen mehr Asteroiden als die Kollegen auf den Kanaren", sagt der 54-Jährige mit Verweis auf das ESA-Observatorium auf Teneriffa.

Ein im Jahr 2003 entdeckter Asteroid in der Nähe des Mars wurde nach Tennisstar Rafael Nadal benannt. Auch drei Kometen habe man inzwischen von Mallorca aus erspäht. Und dank moderner Technik konnte man im Juli 2009 innerhalb von drei Tagen mehr Weltraumschrott registrieren als die Anlage auf dem kanarischen Teide in Jahren, so Sánchez.

„Die Sternwarte auf Mallorca hat eine beachtliche Entwicklung hingelegt", sagt auch Vadim Burwitz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ­extraterrestrische Physik in München. Der 45-Jährige, der auf Mallorca aufwuchs, hat die Entwicklung des OAM von Anfang an begleitet und die internationalen Kooperationen mit aufgebaut. Auch wenn er nicht selbst auf der Insel ist, nutzt er als Mitglied der Sternwarte die Installa­tionen per Internetzugang: Gerade wertet der Röntgen-Astronom Aufnahmen von der benachbarten Andromeda-Galaxie aus – Burwitz interessieren plötzlich auftauchende Lichtpunkte, die sich als sogenannte Novae entpuppen: Phänomene, bei denen große Mengen Energie freigesetzt werden.

„Ohne den Internet-Zugang wäre die Sternwarte nur ein Zehntel so attraktiv", sagt Burwitz. Studenten und Forscher haben von zu Hause in London oder vom Biergarten in München aus Zugang zu den beiden Hauptteleskopen in Costitx. Leiter Sánchez stapft so denn auch allein auf dem Gelände der Sternwarte herum, hat ein Auge darauf, wie die Antennen auf einer Nachbildung der Mondfähre Apollo 11 installiert werden – der neuesten Attraktion auf dem Gelände (siehe rechts) – und telefoniert permanent über sein Handy mit den Forscherkollegen aus aller Welt.

Sichtbar zum Leben erwacht die Sternwarte vor allem bei Vorführungen im benachbarten Planetarium und Vorträgen – rund 20.000 Besucher habe man 2009 gezählt, sagt Sánchez. Immer wieder kommen zudem größere Studentengruppen von der Open University für mehrere Wochen nach Mallorca. Sie nutzen dann die in den sieben kleineren Kuppeln installierten Teleskope, um Nacht für Nacht den Himmel über der Insel in den ­Fokus zu nehmen. Costitx liegt fernab vom Lichtermeer Palmas und des Flughafens, der meist wolkenlose Himmel bietet ideale Beobachtungsbedingungen. Da nehme man auch in Kauf, dass die Teleskope statt auf einem Berg wie dem Puig Major in der Ebene fast auf Meereshöhe stationiert sind, sagt Burwitz – Mallorcas Sternwarte sei deswegen leicht zu warten und gut zu erreichen.

So anerkannt sie inzwischen international ist, so schwer tut sich Sánchez, bei den Insel-Politikern Geld locker zu machen. Die Bürokratie in Spanien mache der Wissenschaft ohnehin schwer zu schaffen, und in der balearischen Landesregierung habe man offenbar die Bedeutung der Sternwarte noch immer nicht erkannt. Bisher werde man mehr schlecht als recht durch den Inselrat finanziert. Ziel ist deswegen die Gründung einer Stiftung, in die sich auch die Landesregierung einbringt.

Auch Burwitz verweist auf das „gigantische Potenzial" von Mallorcas Sternwarte. „Wir können sie gar nicht voll ausnutzen, weil die Mittel fehlen." Mit viel Fleiß, Forschergeist und ausländischen Geldern sei das OAM vorangebracht worden – nun müssten die Lokalpolitiker nur auf den fahrenden Zug aufspringen und Mallorcas Astronomen Rückendeckung bei ihren ehrgeizigen Projekten geben.

Nach der Entdeckung von mehr als 5.000 Asteroiden sowie drei Kometen warte mit der Beobachtung von Weltraumschrott nun ein Job, der immer wichtiger werde, sagt Sánchez: Ob Trümmerteile von Raketenstufen, Schrauben und Kupferdrähte oder Folien zur Wärmeisolierung – nach Schätzungen fliegen Hunderttausende Objekte mit einem Durchmesser von mehr als einem Zentimeter in Umlaufbahnen um die Erde und werden zu einem immer größeren Risiko für den Start neuer Satelliten. Hier will Sánchez mit seinem Team nicht nur detaillierte und verlässliche, sondern vor allem beständig aktualisierte Daten liefern. „Der Weltraumschrott ist unsere Zukunft."

In der Printausgabe vom 2. September (Nummer 539) lesen Sie außerdem:

- Nachbau in Eigenregie: Wie die Apollo 11 auf Mallorca gelandet ist

- Wie man mit einer Planisphäre die Sterne identifizieren kann

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