Wenn die Dämmerung hereinbricht, bilden sich auf der Plaça Mercadal in Palmas Innenstadt zwei Menschenschlangen. Rechts vom Eingang der Einrichtung ­Zaqueo stehen geduldig Personen, denen man ansieht, dass sie auf der Straße leben, Alkohol- oder Drogenprobleme haben und auf ein warmes Essen hoffen. Links bildet sich eine zweite Schlange. Vielen dieser Menschen sieht man ihre Not erst auf den zweiten Blick an. Als es 17.30 Uhr wird, treten sie nicht wie die anderen ein, um Sandwich und Gebäck an den dortigen Tischen zu essen. Stattdessen greifen sie zu den Provianttüten, die Ángel Prades durch die Tür streckt – und sind wieder weg.

Brot, Käse, Kekse und auch einen Tetrapack Milch haben die Helfer in die heute 132 Tüten gepackt. „Wegen der Kinder", sagt Zaqueo-Angestellter Prades, auch wenn diese nicht in der Schlange stehen. „Ich empfehle den Vätern, dass sie ihre Frauen und Kinder an der Ecke warten lassen – dieses Ambiente ist nichts für die Kleinen." Sie sollten nicht zwischen den von Drogen, Alkohol und Obdachlosigkeit gebeutelten Menschen zu Abend essen, sagt Prades.

Die Proviant-Tüten sind ein neues Angebot, das vor Ausbruch der Krise nicht notwendig war. Doch die neuen Armen sind anders: Ihre Not ist nicht augenfällig, ihre Kleidung ist nicht abgerissen – um Hilfe zu bitten und sich mit den Verlierern der Gesellschaft in eine Schlange zu stellen, fällt ihnen alles andere als leicht. Schließlich wollen sie keine Almosen, sondern einen Job.

Doch Arbeit ist auf Mallorca seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise Mangelware, die Arbeitslosenquote liegt konstant bei knapp 20 Prozent – und im Winter nähert sich die Zahl auf den Balearen noch ein bisschen mehr der 100.000er-Grenze.

Sechs von zehn Haushalten haben derzeit laut einer Umfrage der Statistikbehörde Ibestat Schwierigkeiten, mit ihrem Einkommen die laufenden Kosten zu decken. In mehr als 30.000 Haushalten sind alle Familienmitglieder arbeitslos. Ein Viertel musste die Ausgaben für Nahrungsmittel zurückfahren. Immer mehr Menschen aus der Mittelschicht rutschen in die Armut ab, spätestens, sobald die Arbeitslosenhilfe nach maximal zwei Jahren ausläuft. Eine unbefristete und umfassende Sozialhilfe wie in Deutschland sieht das spanische Sozialsystem nicht vor. Stattdessen kratzen staatliche und gemeinnützige Stellen Mini-Hilfen zusammen.

„Die neuen Armen sind es nicht gewohnt, die Sozialstellen aufzusuchen", sagt Mónica March, Sozialarbeiterin bei Cáritas Mallorca. Das Profil der Bedürftigen habe sich grundlegend gewandelt, „früher gab es keine Armen mit Wohnungshypothek". Ein typischer Fall sehe heute hingegen so aus: Familie mit drei Kindern, der Vater hat den Job auf der Baustelle verloren, die Mutter kümmert sich um die Kinder und kann keine Arbeit suchen. Das Geld fehlt für Miete, Strom, Schulbücher. Wenn dann die Familie nicht mehr helfen kann und auch die Schattenwirtschaft keinen Ausweg mehr bietet, wird bei der Cáritas angeklopft.

Die finanziellen Mittel seien begrenzt, sagt March, nur in Einzelfällen und im Rahmen eines Sozialplans übernehme man kurzfristig die Miete. Ansonsten besteht die Hilfe zunächst in Beratungsgesprächen für die Jobsuche und von Stiftungen gesponserten Gutscheinen für Schulbedarf, Essen oder Kinderkrippe, damit die Mutter Zeit für die Jobsuche hat. Die Sozialarbeiter springen auch als Psychologen ein, wie March erklärt. „Die Betroffenen verlieren ihr Selbstbewusstsein und verfallen in eine Depression."

Die Hilfen der öffentlichen Hand sind ein Notnagel – so richten sich zum Beispiel die Hilfsprogramme des mallorquinischen Sozialinstituts Imas eigentlich an spezielle Zielgruppen wie Behinderte, Obdachlose, Kinder oder Senioren. Doch seit Ende 2008 tauchten in den öffentlichen Suppenküchen Ca l´Ardiaca, Turmeda und Sa Placeta auch Menschen auf, die nicht dem bisherigen Profil der Obdachlosen entsprächen, sagt Núria Estaràs. Und auch die „Renta Mínima de Inserción", eine punktuelle Sozialhilfe zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt, musste angesichts der neuen Armen umdefiniert werden.

Als erste aus dem System gefallen sind laut Estaràs Menschen, die gerade erst Fuß gefasst hatten – zwar mit unsicherem Job, aber zumindest eigenständig. Zu den neuen Armen gehörten zudem zahlreiche Immigranten, die ihre gerade erst aufgebaute Existenz wieder verlieren. Es folgen Alleinerziehende sowie Haushalte mit allen Familienmitgliedern ohne Job. Eine schleichende Verarmung, die nicht unbedingt jeder mitbekommt – wer sieht schon dem Nachbarn an, dass er drei Monatsmieten schuldig ist?

Die Lage spitzt sich in der Nebensaison im Winter weiter zu. Außerdem laufe in vielen Fällen demnächst die Arbeitslosenhilfe aus, sagt Sozialarbeiterin March. Eine Besserung auf dem spanischen Arbeitsmarkt ist im Gegensatz zu Deutschland nicht in Sicht. Ab Januar fällt auch noch eine staatliche Überbrückungshilfe für Arbeitslose in Höhe von 426 Euro den Sparzwängen

zum Opfer. „Vielen Menschen bleibt buchstäblich nichts mehr." Ein neuer Run auf die Sozialstellen sei programmiert, March vergleicht die Probleme mit einer Krankheit: „Die Armut wird chronisch."

So wie bei den Menschen im Essensraum von Zaqueo an der Plaça Mercadal. Sie nehmen Platz, die Helfer haben einen Imbiss vorbereitet: Sandwich, Gebäck, Kakao, Kekse, Müsli. „Ein bisschen eintönig, aber sonst nicht schlecht", sagt Gerhard Papst. Der 42-jährige Deutsche lebt seit rund zwei Jahren auf der Straße, seitdem der Job bei einer Baufirma verloren ging. Nun verdingt sich der gelernte Metzger als Schrotthändler. Nach Deutschland will er nicht zurückkehren, dort habe er auch keine Arbeit gefunden.

Mehrere Deutsche leben in Palma auf der Straße. Wie auch anderen notleidenden Ausländern fehlt ihnen das soziale Netzwerk der Einheimischen. Dabei bleibt auch vielen Mallorquinern mangels Job nur noch die Suppenküche. „Die Not hat eine andere Qualität bekommen", bestätigt Manuel Tietsch, Initiator einer neuen Lebensmittel-Spendenaktion, die Zaqueo beliefert.

Seit zwei Jahren kommt zur Essensausgabe auch ein 60-Jähriger, dessen Rente nach einer Erwerbsunfähigkeit nicht mehr ausreicht, wie er erzählt. „Die Miete kann ich zahlen, für das Essen reicht es aber nicht." Zwischen Junkies und Betrunkenen wirkt der Herr wie ein Fremdkörper, aber „man muss schließlich etwas essen".

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