Llucmajor, 25. September 2012: Kurz vor der Zielgeraden setzt ­Sebastian Vettel alles auf eine Karte. Nach einem waghalsigen Bremsmanöver rast er in der ­Innenkurve an dem bis dahin führenden Fernando Alonso vorbei und gewinnt am Ende den ersten Grand Prix von Mallorca auf dem wenige Wochen zuvor eröffneten „Illes Balears Circuit". Der Spanier spottet auf der anschließenden Pressekonferenz, dass Vettel wegen der vielen deutschen Zuschauer auf den Tribünen im Heimvorteil gewesen sei.

Was derzeit nach einem trivialen Motorsport-Märchen klingt, könnte in zwei Jahren Wirklichkeit sein. So hoffen es zumindest die Initiatoren von Mallorcas derzeit bizarrstem Zukunftsprojekt: dem Bau der modernsten Formel-1-Rennstrecke der Welt.

Entstehen soll sie rund zehn Kilometer außerhalb von Palma, auf der südöstlichen Seite der Autobahn, die Arenal mit Llucmajor verbindet. Auf einem 50 Hektar großen Grundstück ist dort ein mehr als fünf Kilometer langer Rundkurs geplant, dessen Haupttribüne von einer gewaltigen, mit Kletterpflanzen berankten Glaspergola und geschwungenen Stahlträgern überdacht wird.

Geistiger Vater ist der in Palma ansässige Architekt Gabriel Palmer, der bereits durch den futuristischen Bau von Palmas neuem Feuerwehrpark an der Vía Cintura im vergangenen Jahr von sich reden machte.

Nach dem WM-Titelgewinn des mallorquinischen Motorradrennfahrers Jorge Lorenzo in der Viertelliter-Klasse 2007 sei ihm die Idee gekommen, auf der Insel etwas zu schaffen, auf das man hier schon seit langem warte: eine Hochgeschwindigkeitsrennstrecke für internationale Sport-Events. „Die Balearen sind die einzige Region in Spanien, in der es noch keine solche Anlage gibt", sagt Palmer.

Denn die kleine nur etwa 3,2 Kilometer lange „Mallorca RennArena" – ein vom deutschen Bauunternehmer Arnold Hollerbach betriebener und ebenfalls an der Autobahn nach Llucmajor gelegener Rundkurs – sei für offizielle Auto- und Motorradrennen nicht zu gebrauchen.

Zusammen mit dem Präsidenten des balearischen Motorradsportverbandes, Antonio Grau, begann Palmer mit der Konzeption der F1-Rennstrecke. Während sich der Architekt an die ersten Entwürfe wagte, suchte Grau auf der Insel nach politischer Unterstützung. Die erhielt er vor zwei Jahren im Rathaus von Llucmajor. „Wir hatten uns nach Durchsicht des bestehenden Raumordnungsplanes auf diese Gemeinde geeinigt. Dort fanden wir auch ein passendes Grundstück, das nur wenige Autominuten von Palmas internationalem Flughafen, zahllosen Hotels aller Kategorien sowie der Hauptstadt entfernt ist", sagt Palmer.

Llucmajors Bürgermeister Joan Jaume von der konservativen Volkspartei PP war von der Idee sofort begeistert. „Das Projekt wird nicht nur der Gemeinde, sondern der ganzen Insel zu einem ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwung verhelfen", erklärte Jaume und versprach volle politische Rückendeckung für die Umsetzung des Plans.

Auf rund 300 Millionen Euro beziffert der Internationale Motorsportverband FIA den durchschnittlichen Umsatz, den ein Formel-1-Rennen in der Region, in der es veranstaltet wird, hinterlässt. Bereits der Bau der Rennstrecke schaffe nach Plänen Palmers über 6.000 Arbeitsplätze, mehr als 1.000 weitere Stellen würde es durch den ganzjährigen Betrieb der Anlage geben.

Kein Wunder also, dass neben der Gemeinde Llucmajor auch die Landesregierung und der Inselrat von den Plänen einer mallorquinischen Motorsport-City angetan sind. Landesministerpräsident Francesc Antich sicherte Palmer und dem von ihm im Sommer dieses Jahres gegründeten Konsortium zum Bau der balearischen Rennstrecke (CCB) seine volle – wenngleich nicht finanzielle – Unterstützung zu.

Voraussetzung für eine Baugenehmigung durch den Inselrat ist die Anerkennung des öffentlichen Interesses dieses Projektes. Außerdem müssen zahlreiche Auflagen aus dem Umweltministerium in Palma umgesetzt werden. Um beispielsweise den Ressourcenverbrauch so gering wie möglich zu halten, integrierte der Architekt neben künstlichen Seen zum Auffangen des Regenwassers auch ein Solar-, Wind- und geothermisches Energiekraftwerk in seine Pläne. Diese liegen derzeit zur Genehmigung beim Inselrat vor.

Kritiker werfen den Formel-1-Plänen des CCB dennoch völlige Realitätsferne vor. Das pharaonische Bauwerk – Palmer schätzt die Kosten auf 160 bis 200 Millionen Euro – sei nicht zu finanzieren, dem Konsortium fehle die nötige Erfahrung zur Durchführung eines solchen Projektes und beim internationalen Automobilverband FIA sei man gar nicht an einer Rennstrecke auf Mallorca interessiert. „Formel-1-Strecken werden weltweit nur von einigen wenigen Architekten entworfen, die sich genauestens mit den technischen Auflagen der FIA auskennen", sagt Günther Unterreitmeier, Leiter des internationalen Rennteams GU Racing. Von Palmer habe er bislang noch nie gehört.

„Als ich den Auftrag bekam, einen Feuerwehrpark zu bauen, hatte ich so etwas auch noch nie vorher gemacht", kontert Palmer. Schützenhilfe holte sich der Mallorquiner zudem bei Ferrari. So legte er Technikern des legendären Rennstalls aus Maranello seine Pläne vor. „Deren Korrekturvorschläge habe ich in meinen aktuellen Entwurf einbezogen."

Den Kontakt zu Ferrari stellte Agustín Árbex her, spanischer ­Rallye-Meister von 1983 und aktueller Präsident des balearischen Automobilsportverbandes. Er ist neben Palmer und Antonio Grau der dritte Mann im CCB. Im Frühjahr dieses Jahres fädelte er ein Treffen zwischen Bürgermeister Joan Jaume, dem CCB und Bernie Ecclestone, Geschäftsführer der „Formel One Group" ein, die im Auftrag der FIA nicht nur alle Formel-1-Rennen vermarktet, sondern auch darüber entscheidet, wo ein Rennen stattfindet. „Ecclestone war begeistert und hat uns Mut gemacht, das Projekt voranzutreiben", sagt Árbex. Nicht zuletzt deswegen, weil sich die Stadt Valencia, die seit drei Jahren den Großen Preis von Europa ausrichtet, als Formel-1-Veranstalter bereits 2012 zurückziehen will. Das wäre dann, so glaubt Árbex, die große Chance für die Rennstrecke auf Mallorca.

Neben der Ausrichtung hochkarätiger Motorsportevents wie Formel 1, MotoGP und GP2 soll die Rennstrecke auch den Rest des Jahres genutzt werden. Nach Aussagen von Árbex ist der französische Reifenhersteller Pirelli sowie mehrere Rennteams, inklusive Ferrari, daran interessiert, Mallorcas zukünftigen Rundkurs als Teststrecke zu mieten. Außerdem sind der Aufbau einer internationalen Rennwagenschule für Nachwuchspiloten, ein Entwicklungszentrum für die Automobilindustrie sowie ein Dutzend weiterer Geschäftsideen Bestandteil des vom CCB entworfenen Business-Plans.

Vor wenigen Monaten zog Árbex noch ein weiteres Ass aus dem Ärmel: Er lud Philippe ­Gurdjian nach Mallorca, um ihm das Projekt zu präsentieren. Der Franzose gilt als rechte Hand von Ecclestone, hat in den vergangenen zehn Jahren mehrere Rennstrecken wie den Bahrain International Circuit aus der Taufe gehoben und war auch maßgeblich am Umbau des Circuit de Catalunya in Barcelona beteiligt.

Nach Aussage von Árbex zeigte sich Gurdjian nicht nur von den Plänen und dem Standort begeistert, sondern versprach auch gleich noch, die Rennstrecke unter seine Fittiche zu nehmen, um sie langfristig im Formel-1-Geschäft zu etablieren.

Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sich in den kommenden Wochen und Monaten ein Geldgeber für das Mammut-Projekt findet. Angesichts der aktuellen Wirtschaftslage kein einfaches Unterfangen. „Ohne die Zusicherung, dass die Formel 1 tatsächlich auf Mallorca fährt, wird sich niemand auf das Projekt einlassen", meint Antonio Cases, Manager des katalanischen Formel-1-Kurses in Montmeló.

Agustín Árbex versichert jedoch, ein von Philippe Gurdjian unterzeichnetes Dokument zu besitzen, in dem der Termin für den ersten Grand Prix von Mallorca festgelegt ist: Es ist der 25. September 2012.