Jaime Monserrat kann Schulunterricht eigentlich nicht ausstehen. Doch nachdem der 19-Jährige als Hilfskellner in einem Hotel in Arenal gearbeitet hat, ist er zurückgekehrt – zumindest teilweise. In der Berufsschule Juníper Serra in Palmas Stadtteil Son Cladera wird nicht nur gepaukt, Jaime lernt auch das Handwerk eines Kellners von der Pike auf – vom simplen café con leche übers Cocktail-Mixen bis hin zur Wein-Degustation. Wenn da nur nicht die Theorie wäre. „Das ist einfach nichts für mich. Das geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus."

Das Institut Juníper Serra ist mit seinen 25 Jahren die älteste Berufsschule Mallorcas. Den Komplex teilen sich nicht nur angehende Kellner, Automechaniker, Verwaltungsangestellte und Videoproduzenten, sondern auch Schüler der Mittel- und Oberstufe. „Das sorgt auch für eine gute Kommunikation zwischen Schülern und Berufsschülern", sagt Direktorin Joana Barceló.

Die Berufsausbildung auf ­Mallorca ist im Gegensatz zu Deutschland verschult. Während dort Handwerker wie Bäcker, Elektriker und Mechatroniker im sogenannten dualen System die Praxis im Betrieb lernen und zwischendurch an der staatlichen Berufsschule Theorie büffeln, nimmt sich in Spanien der Staat ganz und gar der Ausbildung an. Auf den Balearen laufen die Fäden im Erziehungsministerium bei Miquel ­Mestre zusammen. Der Abteilungsleiter betont, dass die Praxisanteile ausgebaut worden seien. Alle Berufsschüler gingen am Ende der in der Regel zweijährigen Ausbildung für drei Monate in Betriebe, um vor Ort Erfahrung zu sammeln. Das ­seien 400 der 2.000 Stunden Ausbildung.

Dass die Praxis im Vordergrund steht, wird auf den ersten Blick sichtbar. Im Zentrum Juníper Serra machen sich die zukünftigen Kellner und Barkeeper in Anzug und Jackett in einem eigenen Restaurant mit Barbetrieb zu schaffen. An diesem Donnerstag müssen sie zeigen, was sie gelernt haben – im Rahmen des Wettbewerbs Balear Skills werden die besten Berufsschüler Spaniens ermittelt. Wer bereitet Kaffee und Cappuccino am besten und am schnellsten zu? Nebenan stellen Automechaniker ihr Geschick mit dem Schraubenschlüssel unter Beweis – und werden dabei von den angehenden Produzenten mit der Kamera gefilmt.

Mehr als 13.000 junge Leute lernen auf diese Weise derzeit ihr Handwerk auf den Inseln. Im Schuljahr 2007/2008 waren es noch weniger als 9.000 – doch in Zeiten der Krise steigt der Bedarf an Qualifikation. „Es werden mehr, aber es sind immer noch zu wenige", so Mestre. „Wir liegen noch immer unter dem europäischen Schnitt." Besonders nachgefragt sind die Bereiche öffentliche Verwaltung, Sozialwesen, Informatik und Telekommunikation, Elektrotechnik sowie Hotellerie und Tourismus.

Die derzeit 277 auf den Balearen angebotenen Berufsausbildungen lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Während für die formación de grado medio der Abschluss der Sekundarstufe ausreicht (ESO), muss im Fall der formación de grado superior das Abitur nachgewiesen werden. Am Altersdurchschnitt lässt sich jedoch ablesen, dass viele Berufsschüler nicht direkt nach der Schule mit der Ausbildung beginnen. „Viele haben ihr Glück zunächst außerhalb des Schulsystems versucht und kehren zurück", so Mestre: Mehr als ein Drittel der Schüler des ciclo medio sind mindestens 21 Jahre alt, im ciclo superior ist jeder Dritte bereits 26.

Alicia Fernández ist bereits 28 – sie hat sich erst nach einem Kunststudium in Barcelona für die Berufsausbildung im Bereich ­Videoproduktion entschieden, vorher habe ihr Notendurchschnitt nicht gereicht. In der Ausbildung kommt ihr nun die Praxis im Betrieb zu kurz. „Das reicht gerade, um hineinzuschnuppern und Kontakte zu knüpfen."

Die Ausbildung ist praktisch gratis, alle Schüler müssen jedoch schauen, wie sie ihren Lebensunterhalt finanzieren. Alicia zum Beispiel jobbt nebenbei. Jaime wohnt bei seinen Eltern, muss aber in seiner Freizeit Abstriche machen. „Wenn ich mit meinen Freunden ausgehe, habe ich nie Geld und muss mich fragen lassen, warum ich mir keinen Job suche."

Anders in der dualen Ausbildung in Deutschland: Dort stehen Auszubildende nicht nur mit beiden Beinen bereits im Arbeitsleben, sie erhalten auch Lehrgeld. Das deutsche Modell mit Gesellen- und Meisterbrief sei eben europaweit einzigartig, sagt Alexander

Legowski, Sprecher des Zentralverbands des deutschen Handwerks, „so hat es vor einigen Jahren eine Kommission herausgefunden." Deutsche Handwerker wüssten, dass sie dank ihrer Ausbildung weltweit gesucht würden. „Norwegen, USA, Schweiz oder Spanien heißen ihre Paradiese", so Legowski, „für den Bauhandwerker wie den Konditor."

„Ich glaube, die Unterschiede zwischen Deutschland und hier sind gar nicht so groß", hält Mestre dagegen. Die Balearen brauchten sich bei der Qualität der Ausbildung nicht zu verstecken. So fänden 87 Prozent der Absolventen in ihrem Bereich eine Anstellung. Immer wieder hätten Schüler auf den Balearen bei Leistungswettbewerben Spitzenplätze erreicht. Im dualen System à la Deutschland sieht der Politiker neben den offensichtlichen Vorteilen auch Nachteile. „Wir hatten solche Ideen auch schon auf dem Tisch." Eine Ausbildungsvergütung könnte ein wichtiger Anreiz in Zeiten sein, wenn die Wirtschaft läuft. Aber es habe Befürchtungen gegeben, eine Art Billiglohnsektor zu schaffen. Im jetzigen System sei garantiert, dass zum Beispiel ein angehender Metzger schon wisse, wie er Steaks zu schneiden habe, bevor er im Betrieb zum Einsatz komme.

Das Problem sieht Mestre woanders: Schüler rechtzeitig von der Notwendigkeit der Ausbildung zu überzeugen und ihnen den Weg in einen passenden Berufszweig zu zeigen. Derzeit werde besonders in Berufsorientierungs-Programme investiert. Als Beispiel zeigt Mestre

einen DVD-Kit, der über die Berufsbilder Auskunft geben soll.

Dass das Image vom schlecht ausgebildeten spanischen Handwerker nicht der Realität entspreche, findet auch Josef Kircher, Eigentümer des Handwerksbetriebs Intec in Port d´Andratx. Es gebe unter Mallorquinern wie Mallorca-Deutschen Profis ihres Fachs genauso wie selbstberufene Elektriker, „da schenkt sich keiner was". An gute Elektriker zu kommen, sei nicht leicht – gute Leute seien schwer aus Deutschland anzuwerben, und Absolventen der Berufsschule auf Mallorca arbeiteten offenbar lieber gleich als ihr eigener Herr.

Da wäre es nicht schlecht, selbst nach deutschem Muster ausbilden zu können. Kirchers Ausweg: Junge Leute werden als Helfer eingestellt, begleiten den Monteur – und wer sich als talentiert erweist, wird dann auch bei Gelegenheit in die Theorie einer Wechselschaltung eingewiesen.

Nicht nur nach deutschem Vorbild, sondern auch mit deutschem Abschluss wird derzeit auf der Finca Es Fangar in der Gemeinde Manacor eine Deutsche zur Pferdewirtin ausgebildet. Wie man Pferde pflegt, züchtet und aufzieht, lernt Tanja Reininger seit August 2010 auf der riesigen Finca. Für den Blockunterricht an der Berufsschule muss sie nach Deutschland fliegen. „Wir haben einen guten Weg gefunden", so Betreuerin Lena Block – auch wenn der ausgedünnte Winterflugplan die Planung mitunter erschwere.

Aufwand, Kosten, Zeit – trotz allem lohnt sich die Berufsausbildung, wie auch der theoriescheue Jaime festgestellt hat. Mehrmals schon wollte er hinschmeißen, und die schriftlichen Prüfungen werden eine harte Bewährungsprobe. Aber als Jaime nach seinem ersten Ausbildungsjahr wieder im Hotel jobbte, staunten die Kollegen und Gäste nicht schlecht – und auch das Trinkgeld floss. „Ich bin viel selbstbewusster und weiß jetzt, was ein richtiger Cappuccino ist." Kellnern sei eben mehr, als leere Gläser am Pool einzusammeln.