Haltet alle den Mund!", schreit Antonio Tejero die im Parlament versammelten spanischen Abgeordneten an und befiehlt ihnen, sich auf den Boden zu werfen. Dann ballert der schnauzbärtige Oberstleutnant der Guardia Civil in die Luft. Das ist die im kollektiven Gedächtnis Spaniens verankerte Ausgangsszene des Putschversuchs gegen die junge spanische Demokratie vom 23. Februar 1981 und gleichzeitig eine der unrühmlichsten Taten der bis heute bestehenden, militärisch organisierten Polizeieinheit Guardia Civil.

Ein zweiter „23-F", wie der Putschversuch in Spanien genannt wird, ist heute, 30 Jahre später, nicht mehr zu befürchten. Dennoch gilt die neben Ortspolizei und Nationalpolizei agierende militärische Polizeieinheit vielen Spaniern als konservativ-angestaubtes Relikt aus vergangenen Zeiten, das trotz einiger Reformen am besten aufgelöst und in die zivil organisierte Nationalpolizei eingegliedert werden sollte. Auch viele Angehörige der Guardia Civil denken so. „Es hat doch keinen Sinn, dass zwei Polizei-Organisationen mit zum Teil gleichen Aufgaben nebeneinander bestehen und dass wir militärisch organisiert sind, obwohl wir ausschließlich als Polizisten arbeiten", sagt Pedro Santos (52), Generalsekretär der Arbeitnehmer-Vereinigung (AUGC) der Guardia Civil auf Mallorca.

Traditionell ist die Guardia Civil für die ländlichen Gegenden zuständig, die Nationalpolizei für die Städte. Doch oft überschneiden sich die Kompetenzen, viele Sondereinheiten, wie zum Beispiel Sprengstoffspezialisten, gibt es in beiden Institutionen. Es sei Geld- und Ressourcenverschwendung, wenn beide etwa in ein und demselben Mordfall ermitteln, bemängeln Kritiker wie Santos.

Bis heute lebt ein Teil der Beamten in den Kasernengebäuden der Dienststellen, auf den Balearen gibt es 31. Von den rund 1.100 Guardia-Civil-Angehörigen auf der Insel wohnen rund 20 Prozent kostenlos in diesen Wohnungen. „Besser wäre es, die Kasernenwohnungen abzuschaffen, auch aus Sicherheitsgründen, weil sie ein perfektes Ziel für die ETA-Terroristen abgeben, und allen einen Miet-Zuschuss zu zahlen", sagt der Polizist Eduardo López (Name geändert), der dennoch die Vorteile genießt und mit seiner Familie in einer Kaserne in Palma wohnt.

Während im Umgang mit den Bürgern heutzutage kaum ein Unterschied zur Nationalpolizei festzustellen ist, herrscht intern ein strammer Kasernenton. Beim Erscheinen eines Vorgesetzten bei Dienstantritt wird wie in der Armee stillgestanden, die Hand zum Gruß erhoben und der jeweilige Chef mit seinem Dienstgrad angesprochen. Zum Beispiel so: „A sus órdenes, mi capitán!" (Zu Befehl, mein Hauptmann!). „Ein zu freundschaftlicher Umgang führt doch schnell zu nachlassendem Gehorsam", findet López, der 80 Untergebene befehligt. Die Betonung von Vaterlandsliebe und Disziplin in dem streng hierarchisch aufgebauten Apparat zeigt sich auch in der Hymne der Truppe. Da wird zu Marschmusik gesungen: „Es lebe Spanien, es lebe der König, es lebe Ordnung und Gesetz, es lebe die ehrenhafte Guardia Civil."

Die militärische Organisation bringt für die Polizisten einige handfeste Nachteile mit sich. „Wir dürfen keine Gewerkschaften gründen und unterstehen der Militärgerichtsbarkeit", erklärt Pedro Santos. Bis zu einer Reform 2007 konnte ein Guardia-Civil-Beamter bei Ungehorsam etwa unter mehrtägigen Hausarrest gestellt werden, bis heute können Vorgesetzte ihnen unterstellten Polizisten einen Teil des Lohns abziehen. Zwischen den auf einer speziellen Militärakademie in Aranjuez (Madrid) ausgebildeten mächtigen Chefs und den einfachen Polizisten herrscht eine tiefe Kluft. „Sie leben in einer anderen Welt, sind sehr starrsinnig und wissen nicht, wie man mit Leuten umgeht", sagt Santos, der sich bewusst ist, dass ihm diese öffentlichen Äußerungen mächtig Ärger einbringen können.

Wie der Großteil der Guardia-Civil-Angehörigen auf Mallorca stammt Santos vom spanischen Festland. Am 23. Februar 1981, als die Guardia Civil mit dem von Oberstleutnant Tejero angeführten Putschversuch in die Geschichte einging, reagierte er wie der Großteil der Bevölkerung entsetzt auf den tejerazo. Am 1. März 1981 sollte er bei der Guardia Civil seinen Dienst antreten. Trotz schwerer Bedenken tat er dies schließlich auch. „Ein Kollege hatte ein Foto von Tejero in seinem Spind kleben, ich ein Foto von meiner Frau. Ich wurde dafür gerügt, der andere nicht", erinnert sich Santos.

Gleichwohl verteidigt Santos die Polizisten der Guardia Civil, die 1981 mit Tejero das Parlament in Madrid stürmten. „Sie mussten gehorchen. Sie wussten vorher nicht, für was sie benutzt wurden", sagt er. Er kennt einige der Männer, die damals das Parlament überfielen, persönlich. Mehrere von ihnen tun heute auf Mallorca Dienst.

Neben dem Putschversuch von 1981 trat die Guardia Civil in den Anfangsjahren der Demokratie noch mit einigen anderen Vorfällen negativ in Erscheinung. Die Bekämpfung der baskischen Terroristenorganisation ETA nahm zum Teil Züge eines Privatkrieges zwischen den Separatisten und den Patrioten der Guardia Civil an. Die einen legten Bomben in die Kasernen, die anderen rächten sich mit einem „schmutzigen Krieg". Vielfach wurde den Polizisten die Misshandlung von Festgenommenen vorgeworfen. Im „Fall Lasa y Zabala" entführten, folterten und ermordeten Angehörige der Guardia Civil 1983 zwei ETA-Mitglieder.

Bis heute gibt es immer wieder vereinzelt Misshandlungs-Vorwürfe. Andererseits achtet die Justiz deutlich stärker auf den korrekten Umgang mit Festgenommen. „Früher kam es schon mal vor, dass bei einem Dieb, der 20 Mal festgenommen worden war, aber nicht damit herausrücken wollte, wo er die Beute versteckt hat, mit der Hand nachgeholfen wurde. Heute ist das undenkbar", sagt López, der sich wie viele Angehörige der Truppe stark mit der Guardia Civil identifiziert. Auch sein Vater und Großvater waren schon bei der benemérita.

Schlagzeilen machte die Guardia Civil auch immer wieder wegen Verwicklungen von Mitgliedern in den Drogenhandel. Oder mit Korruption im großen Stil. Der von den Sozialisten eingesetzte damalige Generaldirektor der Guardia Civil, Luis Roldán, hatte nicht nur zahlreiche Polizisten wegen des Einsatzes fehlerhafter Munition in Gefahr gebracht, sondern sich auch mit Millionen bereichert. Als 1994 gegen ihn ermittelt wurde, flüchtete er aus Spanien und konnte erst ein Jahr später in Bangkok gefasst werden. Die Posse um Roldán trug auch zur Wahlschlappe der PSOE von 1996 bei.

Die Führungsspitze der Guardia Civil scheint sich um ihr eher schlechtes Image wenig zu sorgen. Die Zusammenarbeit mit der Presse läuft zäh, Anfragen nach Interviews oder Informationen werden zum Teil tagelang nicht beantwortet. „Ich verstehe das nicht. Wir könnten in der Öffentlichkeit viel besser dastehen", sagt López.

Auf Mallorca eckt die ­Guardia Civil vor allem bei den Katalanisten an. Regelmäßig beschweren sich die Hüter von ­mallorquinischer Sprache und Tradition von der Obra Cultural Balear darüber, dass sie mit der Guardia Civil nicht auf Katalanisch kommunizieren können. Bei Auseinandersetzungen kommt es deswegen immer wieder zu Beleidigungen auf beiden Seiten.

Auch in der Vergangenheit bedeutete die Guardia Civil auf ­Mallorca eine Art verlängerter Arm des Zentralstaats. „Für viele Bürger auf den Dörfern war das Auftreten der Polizisten der erste Kontakt mit der spanischen Sprache überhaupt", berichtet der Historiker Antoni Marimon. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde die Guardia Civil vor allem dazu eingesetzt, das Territorium bis in die letzten Ecken zu kontrollieren. „Es ging darum, Wegelagerei und Straßenraub, jede Art von Kriminalität, aber auch Arbeiteraufstände, Streiks und Demonstrationen zu verhindern."

Obwohl in der Guardia Civil damals wie heute politisch eher rechtes Gedankengut gepflegt wird, akzeptierte sie ohne Widerstände die links ausgerichtete Zweite Republik in den 30er Jahren. Im Bürgerkrieg schlug sie sich dann mehrheitlich auf Seiten des späteren Diktators Franco. „In Katalonien war die Guardia Civil aber ein entscheidendes Element für den erfolgreichen Widerstand gegen die Putschisten." In den frühen Jahren der Diktatur war es die Aufgabe der Guardia Civil, die oftmals in Bergen und Wäldern versteckten Widerstandskämpfer (maquis) der Republik aufzuspüren. Franco setzte die Militärpolizei außerdem als Teil der División Azul auf Seiten der Deutschen im Zweiten Weltkrieg ein.

So überholt die Guardia Civil heute in vieler Hinsicht scheint – dennoch wandelt sie sich. Homosexuelle wurden bis vor wenigen Jahren geächtet, dann aber erreichte ein junger schwuler Polizist aus Mallorca den entscheidenden Durchbruch. Er outete sich öffentlich und zog – nach einer Änderung der Regularien – als erster Guardia-Civil-Beamter Spaniens im Januar 2003 mit seinem damaligen Lebenspartner in eine Kasernenwohnung in Vilafranca. Frauen sind in der Polizeieinheit seit 1988 zugelassen.

„Ich fühle mich von den Kollegen gut akzeptiert, manchmal fast zu sehr verhätschelt", sagt Ana (29). Mit ihrem Job als Motorradfahrerin bei der Verkehrspolizei auf Mallorca hat sie ihren Traumberuf. Die Weiblichkeit bringe auch beim Verteilen von Strafmandaten Vorteile. „Viele reagieren überrascht und verzichten auf Diskussionen."

Ihre Kollegin Irene (Name geändert) ist weniger euphorisch. Nach drei Jahren bei der Guardia Civil hat sie ihre anfängliche Begeisterung verloren. „Wir verdienen weniger und haben eine schlechtere Ausrüstung als die Nationalpolizei." Immerhin freut sie sich auf die neuen, praktischeren Uniformen, die es in diesem Jahr endlich geben soll. „Bisher müssen wir beim Dienst eine Krawatte tragen, und die Blusen für die Frauen sind so kurz, dass sie ständig aus der Hose rutschen." Künftig fällt die Krawatte weg, die neuen Hosen sind aus widerstandsfähigem, wasserdichtem Material und die Halbschuhe werden gegen Sportschuhe ausgetauscht.