Plötzlich sind sie da, als zwei kleine fliegende schwarze Flecken am Horizont. Mit dem Fernglas sind sie zwar als Vögel auszumachen, doch die beeindruckende Größe von Mallorcas Mönchsgeiern ist auch damit nicht zu erkennen. Sie sind neben den artverwandten Bartgeiern die größten Vögel Europas und erreichen eine Flügelspannweite von bis zu 2,90 Metern. Oft fliegen sie in mehr als tausend Metern Höhe. Beobachten kann man die majestätischen Vögel vor allem in abgelegenen Gegenden im Norden des Tramuntana-Gebirges. Derzeit leben auf der Insel rund 130 der gefährdeten Mönchsgeier, darunter 14 bis 16 Brutpaare.

Zu verdanken ist das der 1986 gegründeten Stiftung zum Schutz des Mönchsgeiers (Fundación para la Conservación del Buitre Negro, BVCF) mit Sitz in Campanet. Sie rettete den in den 80er Jahren auf die dramatisch niedrige Zahl von 20 Exemplaren geschwundenen Bestand und baute ihn mit einem intensiven Schutz- und Wiederansiedelungsprogramm wieder auf. Während der Mönchsgeier (Aegypius monachus) in fast allen Ländern Europas ausgestorben oder vom Aussterben bedroht ist (außer in Spanien), hat die weltweit einzige Insel­population wieder eine stabile Basis.

Die auf Mallorca erstmals angewandte und erfolgreich erprobte Methode zur Wiederansiedelung der Tiere wandten die Geierschützer später auch in Frankreich und den Balkan-Staaten an und erreichten auch dort den Aufbau der Mönchsgeier-Populationen. Die Stiftung auf Mallorca beherbergt außerdem die zentrale Station in Spanien für die Weitervermittlung von nachgezüchteten Geiern in andere Gebiete in Europa. In einem Gehege auf der 18 Hektar großen Finca werden stets mehrere Geier gehalten.

Damit handelt es sich um das wohl erfolgreichste Tierschutzprojekt auf Mallorca. In der aktuellen Bewerbung des Tramuntana-Gebirges um die Unesco-Auszeichnung als Weltkulturerbe dürfte der mit mehreren Preisen ausgezeichnete Geierschutz ein Glanzpunkt sein. Dennoch ist die Arbeit der von Spenden und Subventionen abhängigen Geierschutz-Stiftung auf Mallorca aktuell in Gefahr. „Die Wirtschaftskrise trifft uns hart. Es werden weniger Fördermittel bewilligt und die Auszahlungen verzögern sich", sagt der Leiter der Einrichtung, Juan José Sánchez Artés.

Zwei der insgesamt sieben Mitarbeiter mussten bereits in den vergangenen Wochen entlassen werden, eine dritte Stelle soll demnächst gestrichen werden. Unter den Betroffenen ist auch die deutsche Presse­sprecherin des internationalen Teams.

Der Kern der Arbeit der Stiftung, der unmittelbare Schutz der Geier, kann wohl dennoch weitergeführt werden, nicht aber damit verbundene Vorhaben zur Erhaltung ihrer Lebensräume. In den vergangenen Jahren hatte die Stiftung ihre Tätigkeit immer weiter auf angrenzende Bereiche ausgeweitet. Denn der Schutz ­der ­Geier, die als Aasfresser an der Spitze der Nahrungs­pyramide stehen, ist eng mit dem Erhalt der traditionellen Agrarlandschaft im Tramuntana-Gebirge verbunden. Die ­Geier ernähren sich etwa von toten Schafen, die sie aber nur finden, wenn Mallorcas Bergbauern weiterhin Weidewirtschaft betreiben. Zudem brauchen die sehr sensibel auf jegliche Störung durch Menschen ­reagierenden Tiere Rückzugsmöglichkeiten, also Gebiete in der Serra, durch die möglichst keine Wanderwege führen.

Die Geier-Stiftung engagiert sich deswegen auch beim Landschaftspflege-Netzwerk ICTIB, das Finca-Eigentümer zur Bewahrung ihrer ­Landgüter motiviert und gründete vor einigen Monaten das Natururlaubsangebot „Pro Nature Travel", bei dem die teilnehmenden agroturismos sich ebenfalls zum Landschaftsschutz verpflichten.

Doch das mit hohem Einsatz begonnene Projekt „Pro Nature Travel", das in diesem Sommer im Beisein von Tourismusministerin Joana Barceló vorgestellt worden war und mit dem fertiggestellten Internetportal kurz vor dem Start stand, musste nun wegen Geldmangel gestoppt werden. Ebenso müssen wohl die Angebote zur Umwelterziehung stark eingeschränkt werden. Auf dem Sitz der Stiftung, der Finca Son Pons, wurden bislang Schulklassen und andere Interessierte bei Führungen in mehreren Sprachen in die Zusammenhänge von Geier- und Umweltschutz eingeführt. Auch eine kleine Ausstellung gibt es dort.

Mallorcas größte Naturschutz-Organisation (GOB) bedauert die Krise der Geierschutz-Einrichtung. „Die Stiftung leistet doch so wunderbare Arbeit. Sie erreichte die Erholung der Mönchsgeier auf Mallorca und in ganz Europa", sagt Sprecher Toni Muñoz. Der Schutz der Geier auf Mallorca war von Anfang an sehr international und von hohem persönlichen Engagement geprägt. Der entscheidende Anschub kam durch einen Zusammenschluss von europäischen Tier- und Naturschützern, darunter auch Deutsche und Österreicher, die sich beim Einsatz für den heutigen Nationalpark ­Monfragüe in der Extremadura kennengelernt hatten und gemeinsam in den Niederlanden die Stiftung zum Schutz der Mönchsgeier gründeten. Auf Mallorca war damals ein kritischer Punkt erreicht, mit einem einzigen verbliebenen Brutpaar stand die Population kurz vor dem Aussterben.

Den ersten konkreten Schritt zur Rettung der Art auf der Insel machte 1988 die österreichische Biologin Evelyn Tewes. Die Geierexpertin und Ehefrau von Sánchez siedelte in einer abenteuerlichen Aktion das erste in Gefangenschaft gezüchtete Mönchsgeier-Küken erfolgreich in der Tramuntana aus und gilt als „Mutter" des Geierschutzes auf Mallorca. Heute ist sie weiterhin in der Stiftung tätig, hat sich aber mittlerweile aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.

Der Aufbau der Mönchsgeier-Population war Teil von Tewes´ Doktorarbeit. Dafür hatte sie sich im Tierpark Schönbrunn mit einem Geiermännchen eingelassen, das Tewes als seine Partnerin betrachtete. Mit ihm gemeinsam baute sie an einem verlassenen Ort in der Tramuntana einen Horst, schob ihm ein Ei und ein nachgezüchtetes Küken unter, das sie dann gemeinsam betreuten. Bis sich Tewes zurückzog und sich der Mönchsgeier-Papa nach dem Vorbild seiner Partnerin alleine um den Sohn „Pep" kümmerte. Diese Methode konnte funktionieren, weil sich bei den Mönchsgeiern Weibchen und Männchen die Jungen-Aufzucht in Team-Arbeit teilen.

Später probierten die Geierschützer die sogenannte Hacking-Methode, mit der zuvor der Bartgeier in den österreichischen Alpen erfolgreich wiederangesiedelt worden war. Dazu wurden nachgezüchtete Geier-Küken aus Zoos nach Mallorca geliefert, auch von mehreren Tierparks in Deutschland. Zwei bis sechs Geierjungen wurden dann miteinander in einen künstlichen Horst in den Bergen gebracht. „Mit zweieinhalb Monaten setzten wir sie aus. Das ist der Zeitpunkt, wenn sie anfangen, ihre Umwelt zu erfassen. Vorher ist der Horst ihre Welt. Deswegen glaubten sie, dass sie auf Mallorca zu Hause sind. Mit dreieinhalb Monaten fangen sie dann an zu fliegen", erklärt Sánchez.

Um das Überleben der wertvollen Jungtiere zu garantieren, quartierten sich jeweils mehrere Geierschützer rund um die Uhr in Beobachtungsständen in der Nähe der Junggeier ein, um jegliche Störung von den scheuen Tieren abzuhalten und die ersten Flugversuche zu betreuen. Wenn etwa ein Jungvogel keine Kraft mehr hatte, zu seinem künstlichen Horst zurückzufliegen, wurde ihm in der Dunkelheit in der Nähe Aas bereitgelegt, damit er wieder Kräfte sammeln konnte. „Alles musste in absoluter Stille geschehen, die Geier durften ja nicht merken, dass wir da waren", erzählt Sánchez, der sich seit 1989 für die Geier engagiert und einige Anekdoten zur erzählen weiß. „Einmal wollte das Militär im Rahmen eines Manövers unsere Schutzhütte angreifen, die ja nach außen hin vollkommen verlassen aussah." Für die empfindlichen Geier wäre das eine Katastrophe gewesen. Und so stoppten die Geierschützer sogar das spanische Heer. 1992 schließlich war der Mönchsgeierbestand auf Mallorca aufgebaut, danach mussten keine Tiere mehr eingeführt werden.

Doch bis heute sind die Geier auf Mallorca gefährdet. Ihr Überleben und das anderer geschützter Arten ist beispielsweise durch das illegale Auslegen von Giftködern bedroht, mit denen verwilderte Katzen oder Marder getötet werden sollen. Die Geierschutz-Stiftung geht deswegen auch gerichtlich gegen Personen vor, die Gift auslegen, und agiert als landesweite Tiergift-Meldestelle. Unter der Telefonnummer 900-71 31 82 können Ausflügler und Jäger in der Natur ausgelegtes Tiergift melden. Derzeit klagt die Stiftung gegen einen Finca-Besitzer aus Llucmajor. Erstmals schlägt sich dabei auch das balearische Umweltministerium auf die Seite der Geierschützer.

Krank werden können die Geier aber auch durch den Genuss von abgeschossenen Ziegen, wenn in den Kadavern Bleikugeln stecken. Und auch Wanderer sind eine Gefahr für die Mönchsgeier. Denn einmal von vorbeigehenden Menschen aufgeschreckt, kann es passieren, dass die Tiere ihre Brut verlassen und deswegen ein Küken eingeht. Jeder Verlust ist von Bedeutung, denn die Weibchen legen nur maximal ein Ei pro Jahr, das dann 54 Tage bebrütet wird.

Deswegen schieben jedes Frühjahr, von Februar bis Juni, Mitarbeiter der Stiftung und viele Freiwillige in der Nähe der Brutplätze Wache. Sie halten Touristen auf und informieren sie über die Mönchsgeier. Um Urlauber von den Geiergebieten fern zu halten, überzeugte die Stiftung auch schon einen Landkarten-Verlag davon, Wanderwege in der Nähe der Horste zu streichen. Nur ein Mitarbeiter der Stiftung nähert sich den jeweiligen Brutplätzen, und das auch nur ein Mal, wenn den Jungtieren Blut abgenommen und ein Ring angesteckt wird und die Federn markiert werden. So können sie weiterhin beobachtet werden.

Auf der Spur bleiben die Geierschützer den Tieren auch mit den fest am Boden installierten bewegungsempfindlichen Kameras, die an den drei Futterplätzen in den Bergen eingerichtet sind. „Die Geier finden eigentlich selbstständig genug zu fressen. Wir bringen aber immer wieder Tierkadaver an bestimmte Plätze. Das hat den Vorteil, dass die Geier eher in einer Gegend bleiben, weniger anfällig für Gift sind und wir sie beobachten können", erklärt Sánchez. Einer der comederos befindet sich etwa auf der Finca Ternelles in der Nähe von Pollença. Der Zugang auf das riesige Landgut der bekannten March-Familie ist eingeschränkt, Wanderer kommen kaum in die Landschaftsidylle mit Steilklippen über dem Meer, das auch Teil des geschützten Natura-2000-Netzes ist. Das macht es zum idealen Geier-Revier.

Vor dem dramatischen Rückgang umfasste die Mönchsgeier-Population auf Mallorca vermutlich mindestens mehrere hundert Exemplare. Alte Ortsbezeichnungen zeugen von ihrer Präsenz. So gibt es eine Stelle namens s´Ingle des Voltor (Geierleiste) im Torrent de Pareis oder die Fonts de Voltor (Geierquellen) hinter dem Puig Major. Auch Bauern und Jäger berichteten immer wieder von Geiern. Viele von ihnen hatten in den 60er und 70er Jahren die Tiere verfolgt, weil der Staat für jeden erlegten Geier eine Belohnung zahlte. Ein landesweites Programm hatte damals die Ausrottung von Raubtieren zum Ziel.

Derzeit beginnt für Geier-Fans eine Art Hochsaison. Im Dezember und Januar umwerben sich die monogam lebenden Geierpaare mit einem beeindruckenden Balzflug. Sie fliegen zunächst parallel übereinander, bis sich einer auf den anderen fallen lässt, sich die Krallen ineinander verschlingen und sich beide zusammen in schwindelerregendem Sturzflug dem Boden nähern. Wenige Meter davor lösen sie sich und steigen wieder getrennt in den Himmel auf.

Seit 2008 auch Gänsegeier

Derzeit kommen auf Mallorca drei der vier europäischen Altweltgeierarten vor. Neben den Mönchsgeiern lebt im Bereich des Kap Formentor ein einziges Brutpaar von Schmutzgeiern (alimoches). Auf der Nachbar-insel Menorca sind es 36 Paare. Seit November 2008 gibt es auf Mallorca außerdem eine Population von Gänsegeiern (buitre leonado). Die Vögel waren auf ihrer jährlichen Reise vom spanischen Festland nach Afrika wegen eines Unwetters mit starken Winden nach Mallorca und Menorca abgetrieben worden und auf den Inseln notgelandet. Während die Vögel von Menorca aus wieder weiterflogen, fanden sie auf Mallorca offensichtlich genügend Futter vor, so dass sich mindestens 40 Gänsegeier auf Dauer einrichteten. Bei der Suche nach Aas waren ihnen offenbar die Mönchsgeier behilflich, obwohl sich die beiden Arten in ihren entsprechenden Gewohnheiten eigentlich unterscheiden. Die Gänsegeier fliegen in Gruppen, die Mönchsgeier sind üblicherweise alleine unterwegs. Am Himmel des Tramuntana-Gebirges sind sie nun aber auch zusammen zu sehen. Nachwuchs der Gänsegeier auf der Insel ist frühestens in zwei Jahren zu erwarten. Die eingewanderten Jungvögel sind etwa drei Jahre alt und werden erst mit rund fünf Jahren, wie die Mönchsgeier, geschlechtsreif. Eine Mischung der Arten ist ausgeschlossen. Mönchsgeier bauen ihre Horste in Bäumen, Gänsegeier brüten in Felsen.

Fundación para la Conservación del Buitre Negro (BVCF), Tel.: 971-51 66 20, E-Mail: bvcf@bvcf.org, Kontonummer: 0128 3680 43 020 150 2968.