Mallorquiner schimpfen gerne über Madrid, doch als die Weinkellerei Ribas in Consell vergangene Woche zu einer „Verkostung verbotener Weine" einlädt, fliegen alle Giftpfeile Richtung Palma. Die Bürokraten der Balearen-Regierung, so klagen die anwesenden Winzer, seien schuld, dass zwei historische Weinsorten der Insel nicht im Handel verkauft werden dürfen. Bereitwillig wurden Interessenten in das Lager der Bodegues Ribas geführt, wo Schachteln mit nahezu 300 Flaschen Rotwein liegen, der mallorquinischer nicht sein könnte und trotzdem von Beamten der Agrarbehörde versiegelt wurde.

Unter diesen Bedingungen schmeckten die dargebotenen Tropfen natürlich allen Anwesenden ganz ausgezeichnet: Weißwein der Rebsorte Giró Blanc und Rotwein der Sorte Gargollassa.

Der Agrarkrimi nimmt in den 90er Jahren seinen Ausgang. Zwischen drei Weinkellereien herrschte schon damals reger Austausch: Andreu Oliver (Can Majoral), Toni Gelabert (Vins Toni Gelabert) und Maria Antònia Oliver (Ribas) fragten sich, warum es der Rebenszene der Insel an Vielfalt mangelte. Gemeinsam beschlossen sie, der Sache auf den Grund zu gehen und machten gleich zu Beginn eine erstaunliche Entdeckung: Mantonegro und Callet, zwei zugelassene regionale Sorten, werden in historischen Dokumenten aus dem 19. Jahrhundert gar nicht erwähnt, sind also „neu" auf der Insel. Dagegen werden mehr als 30 andere aufgelistet, die man heute vergeblich sucht.

Wertvolle Hinweise auf historische Sorten fanden die Winzer in dem mehrbändigen Werk „Die Balearen in Wort und Schrift" von Erzherzog Ludwig Salvator, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Inseln bis ins Detail porträtierte. „Wir besuchten der Reihe nach alte Bauern", erzählt Andreu Oliver, „bis uns einer sagte: Ja, bei mir im Garten wächst noch eine dieser Reben."

So entdeckten die Ethno-Winzer 1995 in Felanitx die Sorten Giró Blanc und Giró Negre, und stießen 1998 bei Inca auf vier Rebstöcke der Sorte Gargollassa. Flugs pflanzten sie die in ihren eigenen Weinfeldern an, und im Jahr 2001 begannen alle drei mit einem systematischen Ausbau. Dabei beschränkten sie sich auf Giró Blanc und Gargollassa.

„Die meisten Kenntnisse über diese Sorten waren verloren gegangen, wir mussten praktisch bei Null beginnen", erzählt Oliver. Also legten sie Experimentierfelder mit jeweils rund 200 Weinstöcken an, damit jeder mit dem Ertrag der Ernte einer Sorte ein 250 Liter-Fass füllen und damit herumprobieren konnte. Dass die drei Produzenten in unterschiedlichen Regionen beheimatet sind – Consell, Manacor, Algaida –, begünstigte das Projekt: Jeder Winzer bauten auf seinem Land alle drei Sorten an. So wurde rasch klar, welche sich unter welchen Bedingungen wohl fühlte.

Doch die Landwirtschaft ist eine strikt reglementierte Branche. Man kann nicht pflanzen und verkaufen, wozu man Lust hat, sondern muss jede Neuerung in einem Verfahren genehmigen lassen. Darauf, wie langwierig und frustrierend das sein konnte, waren die Winzer nicht vorbereitet.

Schon 2001 klopfte die Weinkellerei Ribas beim (mittlerweile abgeschafften) Landwirtschaftsministerium der Balearen an. „Wir wurden angewiesen, eine fünfjährige Studie durchzuführen", erzählt Araceli Servera von der Bodega Ribas.

Vier dieser fünf Jahre waren ins Land gezogen, als die Schreckensbotschaft eintraf: Brüssel habe die Normen geändert, man müsse noch einmal von vorne anfangen. Seither liegt die Angelegenheit bei den Agrarverantwortlichen in Palma, seit 2010 eine direkt dem Ministerpräsidenten unterstellte Abteilung. Ihr Leiter ist der Generaldirektor für Landwirtschaft und Fischerei, Fer­nando Pozuelo. Er muss im ganzen Körper Stiche fühlen, so heftig wird bei der „Verkostung verbotener Weine" in Consell gegen seine Behörde gestichelt.

Auf Anfrage der MZ hält er später dagegen, dass er nicht vom vorgeschriebenen Weg abweichen könne – und der nehme nun mal seine fünf bis sechs Jahre in Anspruch. Zumal die Winzer seinen Unterlagen zufolge erst im Jahr 2004 schriftlich ein Zulassungsverfahren beantragt hätten. „Davor wurde wahrscheinlich alles mündlich abgehandelt und hatte somit keinen offiziellen Charakter", sagt Fernando Pozuelo.

Dass es sich um historische und dokumentierte Sorten handle, spiele für die Zulassungsprozedur keine Rolle: „Uns liegen ja aus der damaligen Zeit keine Proben und biologischen Analysen vor, wir wissen somit nicht mit Sicherheit, ob die vorliegenden Pflanzen den dokumentierten Sorten entsprechen. Der Ablauf für die Genehmigung ist daher genau derselbe wie für eine fremde Sorte."

Fernando Pozuelo gesteht zu, dass der ganze Prozess möglicherweise ein paar Monate schneller hätte laufen können und hat auch Verständnis für die Frustration der Winzer. Die mussten zum Beispiel auf eigene Kosten eine Privatfirma vom Festland mit den Analysen betrauen, weil es auf Mallorca keine gibt. Und die Bodega Ribas wird bald eine Ladung Wein entsorgen müssen, weil die Ware schon schlecht geworden ist.

Aber immerhin: Die Zulassung der beiden Sorten stehe „kurz bevor", so Fernando Pozuelo. Deshalb verstehe er nicht, warum die Winzer jetzt sein Amt unter Beschuss nähmen.

Die Idee dazu hatte Slow Food Illes Balears, der regionalen Ableger einer internationalen Bewegung, die unter anderem für die Wiederherstellung der Artenvielfalt in der Agrarproduktion kämpft. „Wir sehen das als eine Rückversicherung für die Lebensmittelversorgung", sagt deren stellvertretende Vorsitzende María Solivellas.

Radikaler drückt sich Llorenç Payeras aus, der die Prinzipien von Slow Food auf seinem Bauernhof bei Inca bereits in die Praxis umsetzt, indem er mit Milch roter mallorquinischer Schafe auf ganz traditionelle Art und Weise Käse herstellt. Die vorgebliche Sorge der Behörden um die Gesundheit der Konsumenten nennt er schlicht Zensur. „Die Verfahren beruhen auf veralteten und absurden Vorschriften. Wir verlangen, dass alle Sorten und ihre Verarbeitung freigegeben werden." Die industrielle Landwirtschaft habe für viele Arten das Aus bedeutet. Jetzt sei es Aufgabe der Regierung, jene zu unterstützen, die sich um die Wiederherstellung dieses Reichtums kümmern. „Oder sie soll ihnen zumindest keine Knüppel zwischen die Beine werfen."

Immerhin arbeite das staatliche Agrarforschungsinstitut in Madrid in dieser Richtung, und seit den 80er Jahren auch wieder Landwirte und Produzenten. „Aber welch ein Papierkrieg!"

Dass ein kräftiger Impuls ausgerechnet aus der Weinbranche komme, ist kein Zufall, merkt Andreu Oliver von Can Majoral an. „Der Konsument verlangt immer mehr nach Wein, der die spezifischen Charakteristiken eines Ortes aufweist."

Mit der von Fernando Pozuelo angekündigten Zulassung ist allerdings nur die erste Hürde genommen. Dann dürfen die Sorten Gargollassa und Giró Blanc zwar verkauft werden, jedoch nur als Tafelwein, also ohne jegliche Hinweise auf Sorten und Herkunft auf dem Flaschenetikett.

Darüber, wann die beiden historischen Inselweine ihr endgültiges Comeback feiern können, gehen die Einschätzungen auseinander. Während Fernando Pozuelo angibt, dies sei lediglich eine Frage von Monaten, macht sich María Solivellas von den Freunden des langsamen Essens auf eine wesentlich langsamere Prozedur gefasst.

Den Winzern dauert es ohnehin schon seit langem viel zu lang. Araceli Servera erlaubte sich deshalb den Spaß, zu einer offiziellen Veranstaltung im Jahr 2009 im historischen Gebäude der Weinkellerei in Consell den verbotenen Gargollassa der damaligen balearischen Landwirtschaftsministerin Mercé Amer vorzusetzen. Diese habe den illegalen Tropfen, der natürlich aus der amtlich versiegelten Schachtel stammte, für „exzellent" befunden, erzählt die junge Winzerin.

Die Flaschen hätte sie bereits für den Verkauf produziert, gibt sie zu, „das war ein bisschen gewagt", und die Beamten seien ja formal im Recht gewesen, als sie den Wein aus dem Verkehr gezogen hätten. „Aber anderswo wird das alles weniger streng gehandhabt", wundert sie sich. Wenn die beiden Mallorca-Weine endlich auf den Markt kommen, werden die drei Pionierwinzer nicht allein stehen: Sie haben bereits Reben an ihre Kollegen verschenkt. Ohne Gebrauchsanleitung zwar, „aber die Branche ist vorbereitet, die historischen Sorten wachsen schon überall".