Die Anspannung ist Francesc Antich nicht anzumerken. Der balearische Ministerpräsident und Spitzenkandidat der Sozialisten empfängt im Gegensatz zu seinem konservativen Vorgänger Jaume Matas nicht im Regierungssitz Consolat de Mar zum Interview, sondern in der Parteizentrale in Palmas Innenstadt. Eine Neuauflage des Mitte-Links-Bündnisses auf den Balearen ist laut Umfragen unwahrscheinlich, der 52-jährige Jurist aus Algaida, der auch schon von 1999 bis 2003 regierte, gibt sich jedoch kampflustig.

Korruption, Wirtschaftseinbruch und Regierungskrisen überschatten die Legislaturperiode. Haben Sie sich eher als treibende Kraft oder als Getriebener gefühlt?

Wir haben stets Initiative gezeigt. Auch wenn ein großes Unwetter über uns hinweggezogen ist, hatten wir immer eine Antwort parat. Die Krise hatte natürlich auch die Balearen im Griff. In einer solchen Si­tuation wurde aber auch die Konsensfindung leichter – mir war und ist sehr wichtig, mich mit Unternehmern und Gewerkschaften an einen Tisch zu setzen. Bei solchen Umbrüchen müssen alle in dieselbe Richtung rudern.

Im Wahlkampf haben manche Genossen statt der Krise lieber die Korruptionsfälle des politischen Gegners thematisiert. Ist das Ihr Argument für die ­Wiederwahl?

Nein, das Hauptargument ist unser Programm: Wir wollen die Wirtschaft ankurbeln und die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Wichtig sind uns zudem Investitionen in Bildung und Innovation – der Unternehmens­park Parcbit etwa soll doppelt so groß werden. Trotz Krise werden wir nicht bei der Sozialpolitik kürzen. Wenn jemand ein Zukunftsprojekt hat, dann sind das wir.

Haben Sie den Eindruck, dass diese Botschaft bei den Wählern auch angekommen ist?

Wir arbeiten daran. Manchmal ist man sich nicht sicher, ob es gelingt. Aber die Menschen hören genau hin und können unser Programm von den vagen Vorschlägen der anderen unterscheiden. Die PP missbraucht die Krise, um uns anzugreifen. Konstruktive Vorschläge waren von der Volkspartei bisher kaum zu hören.

Dafür war Ihr Herausforderer Bauzá im Wahlkampf präsenter, organisierte Ideen-Workshops und lud über Facebook auf ein Glas Bier ein.

Auch bei uns reiht sich ein Termin an den anderen. Den Menschen ist es wichtiger, Lösungsvorschläge zu hören als ein Bierchen mit ihrem Kandidaten zu trinken.

Die Teilnahme von Spanien-Premier Zapatero am Wahlkampf auf den Balearen war lange Zeit unsicher. Wäre sein Ausbleiben ein großer Verlust gewesen?

Die Zentralregierung hat massiv auf den Balearen investiert, ich nenne nur das Untersee-Stromkabel oder den Ausbau der Flughäfen. Da finde ich es nur logisch, dass der Premier Präsenz zeigt.

Dennoch haben sich viele auf ­Mallorca von Madrid mehr erhofft. Jetzt stehen auch noch 240 Millionen Euro, die bereits den Balearen zugesagt waren, wieder auf der Kippe.

Die spanische Regierung hat die Balearen finanziell nie so gut gestellt wie in diesen vier Jahren. Wir erhielten zuvor 190 Millionen Euro pro Jahr, in dieser Legislaturperiode waren es 400 Millionen Euro.

Einen harmonischen Eindruck machen die Beziehungen trotzdem nicht. Selbst der Residenten-Rabatt sollte gekappt werden…

Man reibt sich immer ein bisschen aneinander. Das ist genauso wie in Deutschland, Sie wissen besser als ich, wie Föderalismus funktioniert. Auf der einen Seite stehen die Interessen des Zentralstaates, der in finanzieller Schieflage ist, auf der anderen die der Region. Deswegen müssen wir ständig für unsere Interessen kämpfen. Beim Thema Residenten-Rabatt haben wir uns letztendlich durchgesetzt.

Sie haben sich mit dem Begriff „stille Investitionen" bewusst von den Großprojekten der Matas-Regierung distanziert. Nur hat man den Eindruck, dass auch Vorhaben wie Zug und Straßenbahn auf der Strecke geblieben sind. Fielen diese Investitionen etwa „zu leise" aus?

Mit „still" meinen wir Investitionen, die nicht auf Kosten des Landschaftsschutzes gehen – anders als etwa die überdimensionierten Autobahnen von Ibiza. Zum Beispiel wurde auf den Balearen nie so viel in Schulen investiert. Insgesamt sind 60 Schulen erweitert oder neu gebaut worden. Nie wurde so viel in Gesundheitszentren investiert, in insgesamt 40 Projekte – das entspricht der Versorgung der Hälfte der Balearen-Bevölkerung. Nie wurde so viel in Tageszentren und Seniorenheime investiert. Unter Matas gab es keine Politik des sozialen Wohnungsbaus, jetzt sind mehr als 4.000 Wohnungen dazugekommen. Vom Konjunkturprogramm Plan E ganz zu schweigen. Inzwischen erhalten auch mehr als 10.000 Bedürftige Hilfen der Pflegeversicherung.

Ihre Regierung wird dennoch vor allem mit den Zug- und Straßenbahn-Projekten in Verbindung gebracht, die nur schleppend vorangekommen sind.

Es gab mit diesen Vorhaben ein paar Probleme. So hatten wir aber die Möglichkeit, zunächst eine vernünftige Grundlage zu schaffen, nämlich die Elektrisierung der Bahnstrecken. Damit bin ich zufrieden. Die Krise hat überall Kürzungen erzwungen.

Die Zahl der neuen Schulen ist beeindruckend – die hohe Quote der Schulabbrecher aber auch. 40 Prozent der Schüler schließen die Sekundarstufe nicht ab.

Die Investitionen in die Infrastruktur sind eine wichtige Grundlage, auf der man jetzt aufbauen muss. Meine Regierung hat aber auch 24.000 Computer für die Schulen angeschafft. Die öffentlichen Kinderkrippen wurden ausgebaut, die Zahl der Berufsschullehrer um 40 Prozent erhöht. Und wir haben jetzt eine Strategie für eine bessere Schulbildung auf dem Tisch: Die Schulen sollen mehr Handlungsspielraum erhalten. Weitere Schwerpunkte sind die Fortbildung der Lehrer und die Förderung der Fremdsprachenkenntnisse.

Gerade der Bildungspolitik täte ein Konsens zwischen den großen Parteien gut. Was bringen diese Ansätze, wenn sie alle vier Jahre umgeschmissen werden?

Ich bin auch dafür, dass wir zu einem überparteilichen Konsens kommen – und damit meine ich nicht die Katalanisch-Politik, sie spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Wir haben ein solides Projekt, auf dieser Basis sind wir zu Gesprächen bereit.

Thema Tourismus: Wir hatten in vier Jahren vier verschiedene Tourismusminister. Darf man das Ressort einem dubiosen Bündnispartner wie der Unió Mallorquina (UM) überlassen?

Natürlich ist dieses Ministerium äußerst wichtig, und zu viel Wechsel nicht gut. Aber wir haben in dieser Legislaturperiode auch fünf verschiedene Fraktionssprecher der PP erlebt. Statt von Ämtern rede ich lieber von Inhalten. Wir haben zum Beispiel mit einem Gesetz die Renovierung von älteren Hotels erleichtert, zusammen mit den Hoteliers die Vergabe von Hotelsternen neu geregelt oder auch 200 Prozent mehr russische Urlauber auf die Balearen geholt.

Ihre Regierung hat aber auch wegen Geldmangel einen Werbevertrag mit Tennisstar Rafael Nadal aufgelöst und die Modernisierung der Playa de Palma vermurkst.

Wir haben mehr Geld für Tourismus ausgegeben als die Vorgängerregierung. Die Gelder aus Madrid flossen zum Beispiel in den Hafen von ­Ciutadella, in Palmas Kongresspalast oder den Landschaftsschutz in der Serra de Tramuntana. Was die Playa de Palma angeht, gab es zunächst einen Konsens aller Parteien. Aber nach dem ersten Protest sprangen einige Parteien ab.

Sie selbst hatten die Enteignungspläne in Can Pastilla gestoppt.

Das habe ich getan, nachdem Can Pastilla instrumentalisiert wurde. Daraufhin traf ich mich erneut mit Vertretern aller Parteien und bemühte mich um einen Konsens, der dann auch wieder zerbrach. Die Wahlen rückten näher, es musste Ruhe einkehren. Die Modernisierung der Playa de Palma ist aber nicht gestoppt worden. Es wurde weiterverhandelt und weitergeplant. Und nach den Wahlen möchten wir mit der nötigen Ruhe weiterarbeiten.

Gab es auch Proteste von Reise­veranstaltern?

Nicht mir gegenüber. Sie unterstützen das Projekt. Zwischendurch hatte es den Anschein, dass alle Fünf-Sterne-Hotels wollten. Wir brauchen aber auch gute Drei-Sterne-Hotels. Das war eine Sorge der Reiseveranstalter.

Können Sie eigentlich ausschließen, dass es auch unter Ihrer Regierung zu Korruptionsfällen gekommen ist?

Ich war schon einmal balearischer Ministerpräsident, und nach jener Amtszeit gab es auch keine Korruptionsfälle. Ich hoffe, dass ist diesmal genauso. Wobei ich natürlich nicht ausschließen kann, dass sich irgendjemand irgendetwas zu schulden kommen ließ.

Die PP ist im Umfragehoch. Ist den Wählern die Korruption unter der Matas-Regierung egal?

Bedenken Sie, dass die PP vor zwei Monaten in den Umfragen auf 37 Abgeordnete kam. Vor einem Monat waren es noch 34. Jetzt ist von 30 die Rede. Jeder muss für seine Fehltritte bezahlen, genauso wie dafür, kein echtes Projekt für die Balearen zu haben. In der PP gibt mehr und mehr der rechte Flügel den Ton an, auch wenn man Carlos Delgado, dem Bürgermeister von Calvià, offenbar einen Maulkorb verpasst hat.

Auf Mallorca ist häufig der Satz zu hören: ´Die Rechten sind korrupt, die Linken unfähig." Was ist dran an diesem Satz?

Das ist ein Vorurteil. Wozu die Palma Arena, wenn dort keine Renn­räder fahren konnten? Was soll man von einer U-Bahn halten, die nach 15 Litern Regen pro Quadratmeter absäuft? Und wie effizient ist ein Regionalsender, der 120 Millionen Euro pro Jahr verschlingt? Von den Planungen für eine Oper ganz zu schweigen. Die PP hat während einer Zeit der Bau- und Finanz­spekulation regiert. Und wir müssen nun mit den Schwierigkeiten fertig werden. Ich hätte gerne gesehen, was für ein Bild die PP in dieser Situation abgegeben hätte.

Für eine Mehrheit brauchen Sie die Stimmen von Convergència per les Illes, der UM-Nachfolge-Partei. Die dürfte aber an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Wie sieht Ihre Strategie aus?

Jetzt muss zunächst jede Partei ihr Programm erklären. Und wenn wir wissen, wie viele Stimmen jeder erhält, reden wir über Koalitionen.

Ich soll Ihnen glauben, dass Sie keine Zahlenspiele betreiben?

Ich bin derzeit damit beschäftigt, allen unser Programm vorzustellen. Nach dem 22. Mai werden wir sehen, welche Möglichkeiten es gibt. Man sollte aber niemanden vorzeitig für tot erklären. Die Umfragen sind Umfragen, und manche Parteien schneiden dabei erfahrungsgemäß schlechter ab.

Sie versprechen mehr Investitionen in Bildung und Gesundheit sowie Flugtickets auf die Nachbarinseln für 30 Euro. Wie wollen Sie das finanzieren?

Alles deutet darauf hin, dass sich die Wirtschaft erholt. Wir gehören zu den Regionen, die mit als erste die Arbeitslosenzahlen in den Griff bekommen. Zudem verschlanken wir die Verwaltung und reduzieren die Zahl der öffentlichen Körperschaften von 160 auf 40. Wir nehmen das Sparen ernst.

In Ihrem Facebook-Auftritt geht es mehr um Ihren Garten und Ihre Hündinnen als um Politik. Finden Sie in Algaida Entspannung und auch Trost, falls es mit der Wiederwahl nicht klappt?

Ich kann in der Tat gut abschalten, wenn ich mit meinen Tieren zusammen bin, aber auch beim Fahrradfahren. Dabei werde ich übrigens regelmäßig von Ihren Landsleuten überholt. Manchen Politikern steigt bekanntlich die Politik zu Kopfe. Ich versuche, ich selbst zu bleiben. In meinem Garten bin ich Mensch.