Wer Stammkunde von Toni Rodríguez war, kann auch weiterhin sein Auto oder Motorrad bei ihm reparieren lassen. Der Haken: Seine Werkstatt in Palma gibt es nicht mehr, stattdessen wird in einer Garage ohne Firmenschild in einem Dorf außerhalb der Balearen-Hauptstadt geschraubt. Rodríguez (Name v.d.Red. geändert) ist sprichwörtlich untergetaucht, wie im Spanischen das Phänomen der Schattenwirtschaft genannt wird: economía sumergida. „Das ist die einzige Möglichkeit, um zu überleben", sagt der Mallorquiner und spricht scherzhaft von ESS - Economía Sumergida Sostenible, einer zumindest für ihn nachhaltigen Schattenwirtschaft.

Rodríguez befindet sich in bester Gesellschaft, praktisch jeder Spanier kennt in seinem Umfeld Fälle von Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung. Doch die Zentralregierung in Madrid will nicht länger zusehen, wie die Schattenwirtschaft immer weiter zunimmt: Noch bis 31. Juli haben Unternehmer und Angestellte im rechtlichen Zwielicht Zeit, reinen Tisch zu machen.

„Wer eine Stelle des Arbeitsamts aufsucht und seine Situation legalisieren möchte, kann auf eine Minderung der Strafe hoffen", sagt ein Sprecher des spanischen Arbeitsministeriums in Madrid. Ab August würden die Arbeitsinspektoren andere Seiten aufziehen - dann werde man auch auf den Balearen die Zahl der Inspektoren und das Strafmaß heraufsetzen. Um das hohe Haushaltsdefizit zu drücken, braucht der spanische Staat jeden Cent.

Eine Herkules-Aufgabe: Angestellte ohne Vertrag, Einkäufe ohne Rechnung, Jobs zusätzlich zum Arbeitslosengeld - die Schattenwirtschaft blüht auf Mallorca genauso wie im Rest Spaniens. Auch wenn es für die Schwarzarbeit keine offizielle Statistik gibt, haben Wissenschaftler im Auftrag der Sparkassenstiftung Funcas das Phänomen jetzt in Zahlen festgemacht - und zwar auf indirektem Weg. Behilflich waren dabei komplizierte Formeln, in denen auch Werte wie Energieverbrauch, Bedarf an Bargeld oder Steuerbelastung eingesetzt wurden.

Das Ergebnis: Die Schattenwirtschaft hat enorm zugelegt. Der Anteil am spanischen Bruttoinlandsprodukt (PIB) kletterte im Zeitraum 2005-2008 auf 21,5 Prozent - das ist fast doppelt so viel wie Anfang der 80er Jahre. Die Forscher gehen von mittlerweile mehr als vier Millionen Schwarzarbeitern in Spanien sowie Steuerausfällen von im Schnitt 31 Milliarden Euro pro Jahr seit 2000 aus. Während sich die Wirtschaftsleistung in den vergangenen 30 Jahren verdoppelte, hat sich die der Schattenwirtschaft vervierfacht.

Nicht mit Zahlen ausdrücken lassen sich die prekären Verhältnisse, in denen viele Schwarzarbeiter leben müssen. Denn die Initiative gehe meist vom Arbeitgeber aus, der in der Regel am stärksten profitiere, so der Wirtschaftswissenschaftler Santos M. Ruesga von der Autonomen Universität Madrid.

Die Balearen gehören nach einer Studie des Forschers spanienweit nicht zu den Spitzenreitern der Schattenwirtschaft - das sind vor allem Regionen wie Murcia, Kastilien-La Mancha oder Andalusien, wo die Landwirtschaft einen wichtigen Wirtschaftszweig darstellt. Gleich dahinter im Ranking der Schwarzarbeit folgen jedoch die Dienstleistungen und das Gastgewerbe. Ruesga bescheinigt diesem Wirtschaftsmotor Mallorcas einen „Irregularitäts-Index" von knapp 40 Prozent, die Inseln seien insgesamt knapp über dem spanischen Mittel angesiedelt. Der scheidende balearische Wirtschaftsminister Carles Manera (PSOE) bezifferte im April den Anteil der Schattenwirtschaft am Insel-BIP auf 18 bis 20 Prozent.

Die Arbeitsinspektoren auf Mallorca lassen sich verständlicherweise ungern in die Karten schauen und verweisen auf das Madrider Ministerium. Dort wird betont, dass die Behörden auch während der Gnadenfrist bis Ende Juli nicht untätig seien - im Gegenteil. So ist seit April eine umfassende Überprüfung der Arbeitnehmer in Mallorcas Urlaubsgebieten im Gang. Schwerpunkte der Aktion sind die Touristenorte in den Gemeinden Palma, Calvià und Alcúdia. Besonders Betriebe des Nachtlebens würden unter die Lupe genommen, so Behördenleiter Pere Aguiló. Auch Bars, Restaurants und kleinere Hotels stünden auf der Liste der insgesamt 15 Inspektoren auf den Balearen. Jeder von ihnen besucht im Schnitt sieben bis acht Betriebe pro Tag. Um zu verhindern, dass Schwarzarbeiter unauffällig durch die Hintertür verschwinden, werden die Inspektoren zudem auch zu zweit vorstellig. Die Rede ist von mehr als 17.000 Inspektionen im Laufe des Jahres.

Höhere Strafen, mehr Kontrollen, mehr Information - ob die Offensive gegen die Schattenwirtschaft Erfolg hat, ist noch offen. Im Madrider Arbeitsministerium wird darauf verwiesen, dass die Daten der Arbeitsämter erst nach Abschluss der Frist ausgewertet würden. „Die Initiative geht sicherlich in die richtige Richtung", sagt Raúl Sánchez Larrión, Mitautor der Funcas-Studie. Angesichts des Ausmaßes der Schwarzarbeit bleibe dem Staat gar nichts anderes übrig, als aktiv zu werden.

Ruesga von der Autonomen Universität Madrid dagegen ist skeptisch. „Dieser Vorstoß wird wenig bewirken, und der Zeitpunkt ist angesichts der Wirtschaftskrise alles andere als ideal." Gerade auf kommunaler Ebene zeige die öffentliche Verwaltung viel Toleranz gegenüber der Schattenwirtschaft. Der Wirtschaftswissenschaftler bemängelt zudem, dass die Zahl der Inspekteure letztendlich kaum aufgestockt werde. So werde die Erhöhung der Geldbußen kaum abschreckend wirken - erst einmal müsse man erwischt werden.

In der Printausgabe lesen Sie außerdem:

- Strafen: Bis zu 190.000 Euro

- Interview mit Santos M. Ruesga: "Jeder macht seine persönliche Kosten-Nutzen-Rechnung auf"