Wenn der Biologe Jorge Terrados die Gefährdung der Neptungraswiesen rund um Mallorca untersucht, dann sind er und sein Team nicht nur am Meeresgrund am Werk. Sie befragen auch die Yachtbesitzer, was sie über die Posidonia wissen und wie viel Rücksicht sie beim Ankern auf die Seegraswiesen nehmen. So soll ein realistisches Schutzprogramm zustande kommen. „Viele Yachtbesitzer machen sich bislang noch wenig Gedanken, aber gerade bei Ausländern hat das Bewusstsein zugenommen", hat der Wissenschaftler des Meeresforschungsinstituts Imedea festgestellt. Einige Eigner hätten sich auch schon an die Mooringtonnen gewöhnt, die versuchsweise in den Gebieten von Cala Blava, Sant Elm oder Portopetro ausgebracht worden waren. An ihnen werden die Yachten festgemacht, das Ankern entfällt dann.

Doch in diesem Jahr fehlt von den Mooringtonnen jede Spur – wegen Finanzierungsproblemen bei der Landesregierung, wie Terrados sagt. Umweltschützer haben zumindest erreicht, dass das balearische Umweltministerium wieder Patrouillenboote zur Bewachung der Schutzgebiete einsetzt, nachdem die Meeresschutzorganisation Oceana vergangene Woche Alarm geschlagen hatte. Sechs Boote sollen nun wieder bis September unterwegs sein, um die Yachtbesitzer zu informieren, aber auch um Geldbußen verhängen.

Seegras, Neptungras, Algen – das Grünzeug am Meeresgrund ist einerseits noch immer weitgehend unbekanntes Terrain und fällt vielen Urlaubern vor allem als unbeliebtes, unangenehm riechendes Strandgut auf. Seegras wie auch Algen haben aber nicht nur eine fundamentale Bedeutung für das Ökosystem im Meer und am Strand, sondern werden auch zunehmend in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung geschätzt.

Die Unterscheidung ist eigentlich ganz einfach. „Das ist so ähnlich wie zwischen Fischen und Walen", sagt Xavier Pastor, Spanien-Vorsitzender von Oceana: Neptungras (Posidonia oceanica) ist ein weiterentwickelte Pflanze mit längeren Blättern, die wie ein Laubbaum Photosynthese betreibt und Blätter abwirft. Diese – und nicht die Algen – werden dann an den Strand gespült, in Blattform oder als von den Wellen kugelig verfilzte Meerbälle.

Algen sind im Gegensatz zum Seegras auch von Experten oft nicht auf den ersten Blick zu identifizieren. Denn Alge ist ein Sammelbegriff für zahllose Arten, die vom Einzeller bis zur größeren Pflanze reichen. Sie lassen sich nach der Art der Pigmente etwa in Rot-, Grün- oder Braunalgen unterteilen sowie auch nach ihrer Form.

Dem Badegast machen sich Algen vor allem dann bemerkbar, wenn es zu viele davon gibt – wie vor kurzem an den Stränden von Peguera, wo sich das Wasser grünlich verfärbte. Schuld sind in solchen Fällen etwa Algenarten, die im nährstoffreichen und stark aufgewärmten Wasser heranwachsen und wieder absterben. Dabei nimmt der Sauerstoff ab, und das organische Material wird unter Freisetzung etwa von Schwefelwasserstoff abgebaut – es stinkt faulig. Im Fall von Peguera ist im Rathaus von Calvià von einem natürlichen Prozess die Rede, der jedes Jahr auftrete – die Wasserproben seien einwandfrei.

Während Algen überall auf der Welt vorkommen, sind das Mittelmeer und besonders die Balearen neben Australien das Eldorado der Posidonia oceanica – hier wachsen sie auch in 40 Metern Tiefe, wenn das Wasser klar genug ist, damit sie Photosynthese betreiben können. Dass die Zerstörung aber kontinuierlich voranschreitet, haben Untersuchungen von Oceana in den vergangenen Wochen gezeigt: Auch im Schutzgebiet Es Freus zwischen Ibiza und Formentera machten Taucher der Meeresschutz-Organisation Ankerketten aus, Tausende Pflanzen seien ausgerissen worden.

Folge: Den Fischen gehen wichtige Rückzugsgebiete verloren – die Neptungraswiesen dienen als eine Art Kinderkrippe für den Nachwuchs. Zudem spielt das Seegras eine wichtige Rolle beim Schutz der Strände: Es bremst Wellen, die den Sand wegschwemmen. Und die abgeworfenen Blätter, die angespült werden, wirken etwa bei Stürmen der Erosion entgegen und dienen Krusten- sowie Schalentieren als Nahrung. „Es ist ein großer Fehler, das Seegras vom Strand zu entfernen, damit dieser wie auf den Fotos der Reisekataloge aussieht", kritisiert Pastor.

Die Insel-Bauern wussten früher das im Mallorquinischen missverständlich als alguer bezeichnete Seegras als Dünger zu schätzen. Global gesehen leistet Posidonia zudem einen enormen Beitrag zum Klimaschutz: „Sie können im Verhältnis fünfmal mehr Kohlendioxid als der tropische Regenwald aufnehmen."

Während Strandbuden-Konzessionäre und Liegen-Verleiher wegen der „stinkenden Algen" Einnahmeausfälle fürchten, machen Umweltschützer ihre eigene Rechnung auf: Die Fachzeitschrift „Nature" beziffert die Leistungen der Posidonia oceanica für Ökosystem und Strandschutz mit 14.500 Euro pro Hektar und Jahr. „Wenn nur ein Prozent dieses Betrags investiert würde, wäre ein ausreichender Schutz möglich", so Pastor.

Und auch die Algen rücken in den Fokus der Wirtschaft. Kosmetikhersteller, Pharmazie, Lebensmittelindustrie oder Papierhersteller nehmen die Algen unter die Lupe. Auf Mallorca erforschte eine Firma, wie sich aus ihnen Bio-Kraftstoff herstellen lässt.

Im Gegensatz zu Seegraswiesen wird das Gedeihen mancher Algenarten mit Besorgnis verfolgt, besonders das der eingeschleppten Exemplare. Nachdem die als „Killeralge" bekannte Caulerpa taxifolia aus unbekannten Gründen wieder nahezu verschwunden ist, beobachtet der Biologe Terrados eine Ausbreitung der Rotalge Lophocladia lallemandii, die Seegras und andere Algen regelrecht überwuchert.

Was genau auf dem Grund passiert, erforschen die Imedea-Wissenschaftler in Feldversuchen. Sie stülpen etwa einen Käfig über Seegraswiesen, um deren Wachstum ohne den Einfluss der Fische zu beobachten. Die Wirkung des Untergrunds, des Lichts oder der Strömung auf das Wachstum wird genauso untersucht wie der Schaden durch Anker. „Ein einzelnes Boot ist unproblematisch", so Terrados. „Aber es konzentrieren sich Hunderte Yachten an wenigen Punkten."

Und im Gegensatz zu den Algen ist Seegras langlebig und wächst extrem langsam. Eine Neptungraswiese von einem Quadratmeter braucht viele Jahre, bis sie wieder zuwachse, betont auch Pastor von Oceana: „Bei Formentera wurde Seegras entdeckt, das 100.000 Jahre alt ist."