So nah wie am Ankunftsterminal von Palmas Flughafen kommen sie sich vermutlich selten. Doch unter den Arkaden von Son Sant Joan sind die unterschiedlichen deutschen Mallorca-Urlauber für einen kurzen Moment auf engem Raum versammelt. Die vier Jungs in Lederhosen und Filzhüten, die sich noch auf dem Weg zum Bus mit Dosenbier auf Arenal-Pegel bringen. Das lässig-elegant gekleidete Golfer-Pärchen Ende Fünfzig, das Koffer und Golfbags (vom selben Hersteller, versteht sich) zielstrebig in Richtung Autoverleiher bugsiert. Und der Familienvater, der mit dem Kinderwagen kämpft, während sich seine Söhne verschlafen an Mamas Beine klammern.

Sie kommen mit Flugzeugen, die innerhalb von nur einer Stunde Urlauber aus Hannover, Hamburg, Karlsruhe und Magdeburg auf die Insel bringen. Rund 60 Prozent aller in Palma landenden Maschinen starten von deutschen Flughäfen aus. Die Deutschen halten ihrer Lieblingsinsel seit Jahrzehnten die Stange – und die Mallorquiner freut das in diesem Jahr ganz besonders. Schließlich bricht der nationale Tourismus wegen der Krise in diesem Jahr um mindestens 20 Prozent ein. Und die Briten reservieren eher zögerlich, zwischen goldenem Thronjubiläum der Queen und den Olympischen Spielen in London ist das Party- und Freizeitangebot vor der Haustür wohl zu groß. Bisher ist die Zahl der Urlauber aus Großbritannien um 5 Prozent zurückgegangen.

Doch obwohl zwei der drei Hauptmärkte schwächeln: Die Deutschen reißen es raus. Schon im Februar prophezeite der mallorquinische Hoteliersverband FEHM in einer Studie, dass die Zahl der deutschen Besucher auch in dieser Saison noch einmal zunimmt. Spanienweit sollte der Anteil an Touristen aus Alemania um weitere 4,2 Prozent zulegen, für Mallorca könne die Zahl sogar noch ein wenig höher ausfallen.

Die neuesten Meldungen geben den Voraussagen zumindest teilweise recht. In den von Deutschen bevorzugten Feriengebieten ist die Auslastung der Hotels wesentlich besser als in rein englischen Gebieten wie beispielsweise Magaluf. Der deutsche Reiseveranstalter Alltours verzeichnet gar eine so starke Mallorca-Nachfrage, dass für die Hauptsaison kurzfristig ein wöchentlicher Zusatzflug ab Düsseldorf in das Programm aufgenommen wurde. Auch das Reiseunternehmen FTI rüstet kurzfristig nach und bietet für die Sommerferien je drei zusätzliche Flüge aus Köln und Berlin sowie vier aus München an. Wie die Fachzeitschrift „Touristik Aktuell" berichtet, steht die Insel auch bei Ferienhausurlaubern in diesem Jahr wieder auf Platz eins der Beliebtheitsskala.

Der Branchenriese Tui zeigt sich ebenfalls äußerst zufrieden mit dem Mallorca-Geschäft. Von den 3,3 Millionen Deutschen, die laut FEHM im vergangenen Jahr ihren Urlaub auf der Insel verbracht haben, beförderte der in Hannover ansässige Konzern allein eine knappe Million und konnte damit seinen Insel-Umsatz um 18,6 Prozent gegenüber 2010 steigern. In diesem Jahr soll dieses hohe Niveau gehalten werden: „Aktuell können wir an den positiven Trend des Sommers 2011 anknüpfen und liegen auf Vorjahresniveau", so der scheidende Chef von Tui-Deutschland, Volker Böttcher, am vergangenen Freitag bei der Vorstellung der Winterprogramme in Portopetro.

Die Insel ist die größte Einzeldestination der Tui, und auch der Chef persönlich ist Mallorca-Fan: „Wir haben ein Haus im Süden der Insel, sind jeden Sommer mit der Familie hier. Manchmal auch noch im Frühling und im Herbst. Mallorca ist für mich ein zweites Zuhause", sagt Böttcher der MZ. Die Qualität des Angebots nehme zu, Palma sei mittlerweile sehr schön geworden und auch in den Urlaubsgebieten hätte sich einiges getan. „Wenn man hier wohnt, nimmt man das vielleicht nicht so wahr. Aber Mallorca hat keinen Grund, sein Licht unter den Scheffel zu stellen", so der Geschäftsführer der Tui Deutschland.

„Die guten Zahlen sind kein hausgemachter Verdienst", gibt Helmut Wacho­wiak zu bedenken, Fachbereichsleiter Tourismusmanagement an der Fachhochschule Bad Honnef. Er konstatiert „Chaos in der Tourismuswerbung und fehlende Kontinuität in der Strategie". Tatsächlich profitierte Mallorca im vergangenen Jahr von den politischen Unruhen in Nordafrika. Und in diesem Jahr von der Lage in Griechenland: Die Deutschen trauen dem krisengeschüttelten Land nicht mehr und gehen mit Mallorca lieber auf Nummer sicher. Anfang des Jahres bezifferte die Tui den Einbruch bei den Griechenland-Buchungen noch auf 30 Prozent. Obwohl das Preisniveau daraufhin um 10 Prozent zurückging, ist die Nachfrage nicht wirklich gestiegen. Der Konzern will keine genauen Zahlen mehr mitteilen, doch die Reservierungen lägen noch immer „im zweistelligen Bereich" unter Normalniveau. Mallorca profitiert auch von den reduzierten Flugkapazitäten in Richtung Griechenland: Viele der Flüge werden nach Spanien und auf die Balearen umgeleitet.

Gleichzeitig ist die Vertrautheit, die Mallorca bietet, nicht zu unterschätzen. In einer 2009 veröffentlichten Studie kam Tourismusforscher Wachowiak zu dem Ergebnis, dass 69 Prozent der befragten Urlauber schon mehrfach auf der Insel waren. Wer zum ersten Mal auf Mallorca urlaubte, der tat es auf die Empfehlung von Freunden oder Verwandten hin. Diese Mund-zu-Mund-Propaganda wird laut Wachowiak mit den neuen Medien noch zusätzlich emotionalisiert: „Wenn der Erfahrungsbericht bei Facebook und Co auch noch mit Fotos vom Sonnenuntergang oder der tollen Party illustriert wird, ist das Aktivierungspotenzial bei Freunden und Bekannten noch deutlich höher."

Der nicht abreißende ­Mallorca-Boom lässt sich auch an der Berichterstattung in Deutschland erkennen. Allein am vergangenen Wochenende wimmelte es in deutschen Medien nur so von Geschichten rund um Mallorca: „Die Zeit" brachte eine Reportage über die Anreise per Zug, „Focus" und die „Hannoversche Allgemeine" teilten sich einen dpa-Artikel über die Entwicklung des gastronomischen Angebots in Palma, die „Berliner Morgenpost" beschäftigte sich unter dem Titel „Reich für die Insel" mit prominenten Mallorca-Urlaubern, die Schweizer „NZZ" bot den Lesern gleich ein mehrseitiges Mallorca-Special, die Internetseite „yahoo.de" empfahl die Cala Santanyí als Geheimtipp, und der Hessische Rundfunk brachte am Freitagabend zur besten Sendezeit einen Bericht über die schönsten Seiten der Insel. Die Meldung der Mallorca Zeitung über das Alkohol-Verbot an der Playa de Palma wurde innerhalb weniger Sunden erst von „Bild", dann von den Online-Ausgaben von „Spiegel" und „Süddeutsche" und im Anschluss von vielen Lokalzeitungen in ganz Deutschland aufgegriffen.

Auch bei der Kultur- und Reisezeitschrift „Mare" hat die Insel es auf das Cover geschafft. ­„Mallorca und die Deutschen" lautet der Titel der aktuellen Ausgabe. „Mallorca ist ein Ferieninsel und als Meeres-Urlaubsziel sicherlich für ´Mare´ geeignet. Zudem trieb uns die Frage um, was die Bewohner der Insel von den Deutschen halten. Denn ich nehme immer nur Diskussionen wahr, wie die Deutschen Mallorca und seine Bewohner sehen", erklärt Chefredakteur Nikolaus Gelpke zur Themenwahl.

Dem eher intellektuellen Ansatz stehen zahlreiche Formate des Privatsenders RTL2 gegenüber, die derzeit auf der Insel gedreht werden. „Mallorca ist des Deutschen liebstes Reiseziel. Da liegt es nur nahe, dass wir dieses einzigartige Inselflair auch in die Wohnzimmer bringen, sei es mit den ´Ballermann Hits´, mit ´X-Diaries´ oder auch mit unserer neuen Doku-Soap ´Die (T)Raumretterin´", so Sendersprecher Carlos Zamorano.

Der Reisejournalist Otto Deppe bringt es auf den Punkt: „Es ist der Wiedererkennungswert, der Mallorca für deutsche Medien so interessant macht. Da stößt man sich dann an und sagt: Guck mal, da war ich auch schon", sagt der Mann, der in seiner Zeit beim Saarländischen Rundfunk ein gutes Dutzend Reportagen über Mallorca produziert hat. Der ehemalige Moderator und Redakteur des ARD-Magazins „Ratgeber Reise" weiß aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung die Vorteile Mallorcas zu benennen: „Es gibt auf der ganzen Welt keine so vielseitige Insel wie Mallorca. Die Strände, die die Deutschen besonders lieben, die unverfälschte Natur, die man im Inselinneren immer noch findet, im Hintergrund das Gebirge."

Und die verschiedenen Ecken locken auch ganz verschiedenes Publikum, weiß ein Reiseleiter am Flughafen von Palma zu ­berichten: „Die Insel spricht einfach alle Kunden an. Alte, Junge, Reiche, nicht ganz so Reiche, Prominente – wer hier alles ein Haus hat, da kommt man schon ins Staunen." Auch dieser Promi-Faktor ist in seinen Augen ein Grund für den Erfolg der Insel: „Jeder will da Urlaub machen, wo Michael ­Douglas ein Haus hat", sagt er.

Und was die Partyurlauber anbelangt, seien das „nicht nur bildungsfremde Leute aus der Unterschicht". Ganze Rechtsanwaltskanzleien würden in Arenal einen draufmachen. Der Mann, der Tag für Tag die Urlauberströme am Flughafen zu koordinieren hilft, bringt es auf den Punkt: „Es ist hier politisch ruhig, und man spricht viel Deutsch. Die Insel stillt die Sehnsucht nach dem Süden in einer doch nicht ganz so fremden Umgebung."