Statt im europäischen Parlament tritt der grüne Abgeordnete Raül Romeva i Rueda an diesem Tag im Palma Aquarium auf Mallorca auf. Besser gesagt, er taucht unter. Gemeinsam mit dem Koordinator von Shark Alliance, Alex Bartoli, steht er im schwarzen Taucheranzug mitten im großen Haibecken, erkennbar an seiner Glatze, und hält ein Plakat hoch. „Protege a los tiburones en Europa" (Schützt die Haie in Europa") steht darauf. Dann schwimmt ein großer, dicker Hai vorbei und verdeckt die Aufschrift. Auf der anderen Seite der Glaswand beobachten staunende Besucher, Fotografen und ein Kameramann dass kürzlich zum Wohl der Haie inszenierte PR-Spektakel. Am nächsten Tag berichteten die lokalen, spanischen Medien dennoch wenig über das Thema. Schade. Denn es ist allerhöchste Zeit, sich über Haie und Rochen Gedanken zu machen.

Rückgang um 97 Prozent

Im Mittelmeer geht es den Haien am schlechtesten. Hier leben 56 Arten von Haien und den eng verwandten Rochen. Fast die Hälfte ist laut der Weltnaturschutzunion (IUCN) bedroht oder gefährdet. Die Bestände sind in den vergangenen Jahren in kurzer Zeit massiv geschrumpft. Laut einer Studie sind die Hai-Bestände im Mittelmeer in den vergangenen 200 Jahren sogar um 97 Prozent zurückgegangen. Die Tiere erleiden ein ähnliches Schicksal wie der seit Jahren vom Aussterben bedrohte rote Thunfisch.

Doch anders als beim Thun, für den sich Umweltschutz-Organisationen bereits seit Jahren öffentlichkeitswirksam einsetzen und dessen Fangquoten schließlich deutlich reduziert wurden, steht der Haischutz noch ganz am Anfang. Auch am Image und dem Problembewusstsein der Bevölkerung hapert es. Vielen Menschen gelten Haie bis heute hauptsächlich als gefräßige Schreckgespenste, die Surfern Gliedmaßen abreißen.

Dabei sind die Menschen für die Haie die weitaus größere Gefahr.

Viele Verbraucher glauben zudem fälschlicherweise, dass sie selbst keine Haie und Rochen essen. Doch ist vielen nur nicht bewusst, dass ihr Fisch auf dem Teller manchmal auch ein Hai ist. „Die am meisten in Spanien verzehrten Haie sind Hundshai (span.: cazón, lat.: Galeorhinus galeus) und Mako-Hai (span.: marrajo, lat.: Isurus oxyrinchus). Der Hundshai wird mariniert und fritiert, der Mako-Hai in der Pfanne gebraten. Auch der Blauhai (span.: tintorera, lat.: Prionace glauca) wird oft verspeist", erklärt Alex Bartoli, spanischer Koordinator der Shark Alliance, einem internationalen Bündnis zum Schutz der Haie.

In Deutschland werden etwa die geräucherten Bauchlappen des gefährdeten Dornhais (span: mielga, lat.: Squalus acanthias) unter dem Namen Schillerlocke angeboten. Der gleiche Fisch wird in England für Fish & Chips verwendet. Und schließlich wird ein großer Teil der Haie aus Europa nicht für den Verzehr vor Ort, sondern für die begehrte Haiflossen-Suppe in Asien getötet. Die Delikatesse ist dort ein Status-Symbol, die Nachfrage danach ist in den vergangenen 20 Jahren enorm gestiegen. Denn immer mehr Chinesen können sich das Gericht leisten. Genutzt wird auch das Öl aus der Leber von Haien, etwa in der Kosmetikherstellung und in pharmazeutischen Produkten. Knorpel kommen etwa in der Behandlung von Rheuma und Krebs zum Einsatz.

Finning immer noch möglich

Der Skandal in der Angelegenheit: Bis heute ermöglicht ein Schlupfloch in der europäischen Gesetzgebung das von Meeresschützern heftig kritisierte „Finning". Damit wird die Praktik bezeichnet, den Haien die begehrten Flossen abzuschneiden und den restlichen Körper zurück ins Meer zu werfen). Zwar hat die EU das Finning (span.: aleteo) bereits 2003 grundsätzlich verboten, aber vielen Fischern wird mit einer speziellen Fangerlaubnis gestattet, die Flossen auf See abzuschneiden und sie getrennt vom Körper im Hafen anzulanden.

Wenn die Schiffe dann am europäischen Umschlagplatz, dem Hafen von Vigo in Galicien, ankommen, ist eine Kontrolle sehr schwierig. „Dabei wäre die Lösung so einfach: Man muss einfach vorschreiben, dass die Tiere komplett angelandet werden", sagt Raül Romeva, der sich in der EU für die Verschärfung der Regelung einsetzt. Der Katalane fordert einen grundlegenden Wandel der EU-Fischerei-Politik. „Bislang geht es immer nur um die Interessen der Fischerei-Industrie. Wir müssen aber vor allem darauf hören, was uns die Forscher sagen und was die Gesellschaft will."

In Costa Rica und anderen lateinamerikanischen Ländern ist das Finning-Verbot bereits Realität. Im September soll das Thema von der Fischerei-Kommission des EU-Parlaments diskutiert werden und im Oktober dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden. Romeva ist optimistisch, dass Finning in der EU dann nicht mehr möglich sein wird. Doch während sich der Großteil der Länder, ­darunter ­Deutschland, dafür ­einsetzt, stellen sich die Fischerei-Nationen Spanien und Portugal dagegen. Spanische Flotten bestreiten mit rund 60.000 Tonnen Hai rund die Hälfte des Fangs in der EU.

Die Fischfang-Firmen, die eine Reform verhindern wollen, argumentieren etwa mit der Verletzungsgefahr für ihre Mitarbeiter. Viele Haie werden von Hochseefischern gefangen, die bis zu sechs Monate auf dem Meer verbringen und die toten Tiere in ihren Lagerräumen bei minus 30 Grad tief gefrieren. „Sie sagen uns, dass sich Arbeiter mit den spitzen Haiflossen verletzen können und dass sie weniger Platz haben, wenn sie die Flossen nicht abschneiden. Wir sagen: Warum schneidet ihr die Flossen nicht an und klappt sie ein?", erklärt Romeva.

Etikettenschwindel

Zudem gehen viele Arten Schleppnetzfischern als „wertloser" Beifang beim Gamba-Fang ins Netz. Die toten Tiere werden dann oftmals direkt wieder ins Meer geworfen, ohne dass sie im Hafen registriert werden. Dies ist auch ein Grund, warum es schwierig ist, genaue Angaben zum Stand der einzelnen Populationen zu machen. ­„Oftmals wird auch falsch etikettiert, das heißt die gefangenen Fische werden als eine andere Art registriert", erklärt Alex Bartoli.

Andere Haie wiederum leidern unter der Veränderung ihres Lebensraums. „Der Sandhai (span.: angelote, lat.: Squatina dumeril) lebte auf dem felsigen Meeresgrund, aber die Schleppnetzfischerei hat seinen Habitat zerstört. Jetzt ist er in einem großen Teil des Mittelmeers ausgestorben", erklärt Gabriel Morey. Der auf Mallorca lebende Biologe ist Hai-Spezialist für die Weltnaturschutz-Union (IUCN). Durch die generelle Überfischung gehen den Haien außerdem Nahrungsressourcen verloren. „Zum Beispiel fraß der Weiße Hai gerne Roten Thunfisch."

Ohnehin sind Haie aufgrund ihrer spezifischen Charakteristika besonders anfällig für Überfischung. Denn im Vergleich zu anderen Fischen wachsen sie langsam, werden spät geschlechtsreif und bekommen wenig Nachwuchs. Gleichzeitig sind sie aber sehr wichtig für den Erhalt des natürlichen Gleichgewichts. So wie Landraubtiere auch – etwa Löwen oder Wölfe – sorgen viele Haiarten im Meer dafür, dass sich andere Arten nicht übermäßig vermehren.

Maßnahmen zum Schutz der Haie kommen nur langsam in Gang. Die EU-Kommission brachte zwar schon 2009 einen Aktionsplan auf den Weg. Demnach sollten mehr verlässliche Daten zu Fängen, Beifängen und Rückwürfen gesammelt sowie die Kontrolle der Fangangaben verstärkt und unerwünschte Beifänge verringert werden. Für gefährdete Bestände sollten Fangquoten eingeführt werden. Auch ein Finning-Verbot war schon damals geplant. „Aber bis heute gibt es kein nachhaltiges Management der Haibestände und wenige oder zu hoch angesetzte Fangquoten", klagt Bartoli. Während der europäischen Haiwoche im vergangenen Oktober unterzeichenten mehr als 165.000 besorgte Bürger aus ganz Europa eine Petition, mit der die EU-Fischereiminister dringend aufgefordert werden, den Aktionsplan umzusetzen.

Haie brauchen Fürsprecher

Immerhin ist dies ein Zeichen dafür, dass das Thema die Bevölkerung erreicht. „Die öffentliche Meinung ist sehr wichtig. Wenn die Leute nicht wissen, was los ist, können sie sich auch nicht einsetzen", meint Debora Morrison, die im Palma Aquarium für Artenschutz zuständig ist. In den vergangenen Jahren engagierte sich das Aquarium für den extrem gefährdeten Roten Thun. „Zunächst wussten doch nur Experten und Umweltschützer Bescheid, aber heute ist das Problem vielen Menschen bekannt. Auch für die Haie brauchen wir mehr Fürsprecher."

Im Aquarium an der Playa de Palma sind die beeindruckend großen Fische die größte Zuschauerattraktion. Ihr Betreuer, Roman Grädel, meint: „Es ist toll zu sehen, welchen Eindruck die Haie machen. Die Besucher haben zwar Angst vor ihnen, aber das liegt daran, dass sie nicht genug über diese Tiere wissen."

www.sharkalliance.org

www.sharkproject.org

www.haiwoche.de