Lidl und Müller expandieren, Media Markt hat gerade mit einem ­24-Stunden-Schnäppchen-Marathon seine erste Mallorca-Filiale eröffnet, der Baumarkt-Riese ­Bauhaus macht im Sommer 2013 auf, und sogar ein Teil von ­Mallorcas Spielotheken erstrahlt neuerdings unter der ­Merkur-Sonne. Spaniens Unternehmer sind angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage in eine Art Schockstarre gefallen - aber auf Mallorca vergeht kaum eine Woche ohne eine neue deutsche Geschäftseröffnung. Und das auf einer Insel, auf der es ohnehin nicht an Unternehmen aus Alemania mangelt. Wird der Witz vom 17. Bundesland, so abgedroschen er auch sein mag, allmählich Realität? Wird die Lieblingsinsel der Deutschen auch wirtschaftlich immer deutscher?

Nein, sagt Joan Gual, Vorsitzender der Handelskammer Mallorca. Er könne keine gesteigerte Aktivität deutscher Investoren erkennen. Die Konzerne Media Markt und Bauhaus seien international präsent, nun kämen sie eben auch nach Mallorca. So einfach sei das.

Vielleicht aber sollte er genauer hingucken. Denn nicht nur die großen Konzerne sind auf dem Vormarsch. Drei Beispiele aus Palma: Ein deutscher Kunsthändler, Harry Mensing, hat in der Innenstadt kürzlich seine neunte - und nach eigenen Worten „größte und schönste" - Galerie eröffnet. Auf der edlen Einkaufsstraße Jaume III. geht ein deutscher Tourismusfachmann, Helmut Clemens, mit einem großen Café mit ­mallorquinischen Spezialitäten an den Start (siehe auch S. 39). Und im Santa-Catalina-Viertel expandiert rasant eine von zwei Deutschen aufgebaute Laden- und Immobilienkette namens ­B-Connected.

„Kein Zweifel, gerade die Deutschen investieren derzeit besonders viel", sagt ­Immobilienunternehmer Lutz ­Minkner, der ihnen seit fast 20 Jahren Häuser verkauft.

Schnittmenge Mallorca

Ein Grund, vielleicht der Grund, dürfte die Schere sein, die sich mittlerweile zwischen der spanischen und der deutschen Volkswirtschaft auftut: Hier bereits die zweite Rezession innerhalb kurzer Zeit, dort seit Jahren brummendes Wachstum, hier Massenarbeitslosigkeit, dort mancherorts Vollbeschäftigung, hier Tourismuswirtschaft, dort Industrie, hier eine geplatzte Immobilienblase, dort steigende Haus- und Wohnungs­preise, hier ein Loch in der Staatskasse, dort sprudelnde Steuereinnahmen. Oder vereinfacht ausgedrückt: Die Deutschen haben Geld, die Spanier haben keins. Und auf Mallorca kreuzen sich ihre Wege.

Das eröffnet schon deswegen Geschäftsmöglichkeiten, weil die Mieten für Räumlichkeiten fallen, und die Behörden neuerdings auffallend zuvorkommend gegenüber Investoren sind. Darüber hinaus aber ist die Kundschaft dank der kaufkräftigen ausländischen Urlauber oder auch Residenten garantiert. Die Insel sei ein guter Standort - nicht nur wegen des deutlich besseren Wetters, sondern auch wegen des internationalen Publikums, sagt Galerist Harry Mensing. „Als Tourist ist man eher in Kauflaune."

Mallorca ist nach wie vor eine strahlende Marke, die nur richtig eingesetzt werden muss. ­Helmut Clemens vertraut in seinem „Es Rebost" ganz auf diesen Effekt. Er verkauft in großem Stil Einheimischen und Besuchern den Geschmack der Insel. „Cafés gibt es viele, aber keine, in denen Mallorca die Hauptrolle spielt", sagt er. „Krisenzeiten sind gute Zeiten, um etwas aufzubauen. Man muss antizyklisch denken."

Doch hätte auf diese Geschäfts­idee - wie auch, ein schon ­fast historisches Beispiel, auf die der Vermarktung des Es-Trenc-Salzes - nicht auch ein Mallorquiner ­kommen können? „Vielleicht haben sie nicht so den Weitblick", formuliert Helmut Clemens vorsichtig.

Auch das fällt auf: Wie selbstbewusst diese Unternehmer auftreten. „Man muss mit Fleiß und Konti­nuität an einer Sache arbeiten", sagt Christine Leja von B-Connected. Zusammen mit Andree Mienkus betreibt die Schwäbin derzeit vier, bald fünf Läden in Palmas In-Viertel Santa Catalina. Im Sortiment sind nicht nur Immobilien und ganze Wohn- und Lebensraumkonzepte, sondern auch hippe Möbel, ausgefallene Einrichtungsgegenstände und Edel-Secondhand-Mode. „Die Geschäftswelt auf einer Insel tickt anders", sagt Leja. Weil sich durch das Kommen und Gehen der Kundenkreis ständig ändere, müsse man flexibel sein und auf neue Trends und Bedürfnisse reagieren.

„Deutsche sind innovativer"

Es sind klassische Unternehmertugenden gefragt, und die Deutschen glauben sie zu besitzen. „Man muss sich anstrengen, etwas Besonderes bieten und aus dem Einheitsbrei herausstechen", formuliert es ­Immobilienunternehmer Lutz ­Minkner im Hinblick darauf, dass in Santa Ponça ein Schuhgeschäft neben dem anderen liegt. In dieser Hinsicht seien die Deutschen nun mal besser als die Einheimischen, ist er überzeugt. „Sie sind innovativer."

Willi Plattes, Inhaber der Beratungsfirma European Consulting, geht sogar noch einen Schritt weiter: „Die Spanier haben nicht gelernt, kreativ zu sein, weil sie es nicht nötig hatten," sagt er. Seit 1990 habe das Land, was die wirtschaftliche Entwicklung angeht, nur eine Richtung gekannt: nach oben. „Die Menschen hier können mit einer Krise nicht umgehen." Bei den Deutschen sei das anders, sie seien nach der Wieder­vereinigung und dem Platzen der New-Economy- und Internet-Blase krisenerfahren.

Indirekt mache sich das auch bei den deutschen Handwerksbetrieben auf der Insel bemerkbar, so Plattes. Im Gegensatz zu den meisten ihrer spanischen Kollegen würden sie, sicherlich auch dank ihrer zahlungskräftigen ausländischen Kundschaft, weiterhin Umsatzzuwächse verbuchen. Ihr Wett­bewerbsvorteil aber heiße Qualität. „Denn genau die war bei den Spaniern bis 2007 egal - sie konnten sich ihre Aufträge aussuchen."

Noch ein Beispiel gefällig? Während seine spanischen Büro­nachbarn von Ernst & Young ächzten, Kunden verlieren und Leute entlassen müssten, sei seine Firma in den vergangenen vier Jahren sogar von 16 auf 25 Mitarbeiter gewachsen, so Plattes. Dabei arbeite man exakt in der selben Branche. Was also ist der Unterschied? „Wenn das Gras auf der Weide trocken wird, sollte man nicht auf Regen warten, sondern die Weide verlassen und nach anderen Wasserquellen suchen", formuliert es der Kölner.

Ja, auch so kann man es ­ausdrücken: Die deutschen Unternehmer grasen auf immer mehr Insel-Weiden. In der Fläche gilt ­das insbesondere für die großen Handelsketten. „Wir wollen weiter wachsen, das ist kein Geheimnis", sagt Achim Becker, Lidl-Bereichsleiter auf den Balearen. Zu den derzeit 13 Geschäften auf Mallorca sollen im kommenden Jahr ein oder zwei weitere dazu kommen. Wo genau, das sei noch nicht spruchreif.

Auch Drogerie-König Erwin Müller plant eine weitere Expansion, inklusive mehrerer Neueröffnungen. „Herr Müller sieht noch Möglichkeiten auf der Insel", lässt eine Mitarbeiterin mit unüberhörbarem schwäbischen Dialekt wissen. Derzeit verfügt die Kette über neun Standorte auf der Insel. Ähnlich wie bei Media Markt im Elektronik­bereich setzt man bei Müller auf eine Produkt­vielfalt, die auf der Insel ihresgleichen sucht. Dazu braucht es Platz: Die Filiale in Manacor etwa zieht am 29. November um und kann sich zukünftig auf 900 statt 200 Quadratmeter ausbreiten.

Gute Voraussetzungen

Zugute kommt den Ketten, die dank ihrer schieren Größe die Einkaufspreise mitbestimmen können, die bisherige Zersplitterung des ­mallorquinischen Einzelhandels. Der stand bis vor zwei Jahren unter einer Art Bestandsschutz. Dann wurde, nicht zuletzt wegen des Drucks aus Brüssel, die Handelsgesetzgebung an die EU-Dienstleistungsrichtlinie angepasst. Zuvor sei es deutlich schwieriger gewesen, neue Niederlassungen auf der Insel aufzumachen, bestätigt Lidl-Manager Becker. Jetzt würden die Anträge im Handelsministerium zügig bearbeitet. Wobei das, so Becker, auch am Rückgang der Zahl der Anträge in Folge der Krise liegen dürfte.

Noch eine weitere strukturelle Veränderung, die Arbeitsmarkt­reform von Anfang 2012, wird von den deutschen Unternehmern goutiert. Besonders begünstigt davon ist das Callcenter „Communication Center España 24", das von der Insel aus bisher vor allem deutsche Kunden des Internetanbieters 1&1 betreut. Für Mallorca entschied man sich, weil es hier ausreichend potenzielle deutschsprachige Mitarbeiter gebe. Erst durch die Gesetzes­reform aber war es der Firma möglich, ihre Angestellten wie gewünscht nicht nach einem branchenweiten Tarifvertrag, sondern nach einem ­flexibleren und angeblich sogar ­besseren Haus-Tarifvertrag zu bezahlen.

Zu den rund 250 deutschsprachigen Mitarbeitern kamen seit der Inbetriebnahme im April rund 30 spanischsprachige hinzu. Und es sollen noch deutlich mehr werden. „Wir sind mit verschiedenen spanischen Firmen im Gespräch", sagt Geschäftsführer Markus Geisert. „Ich will nicht oberlehrerhaft sein, aber in Sachen Kundenbetreuung können sich die Spanier noch eine Scheibe von uns abschneiden." Für 2013 seien 200 Neueinstellungen geplant, bis 2018 könnten es insgesamt 2.000 an mehreren spanischen Standorten sein. „Wobei Mallorca immer die Zentrale bleiben wird", sagt Geisert.

Und was haben die Mallorquiner von all der deutschen Geschäftstüchtigkeit? Vor allem Arbeitsplätze. Eine genaue Zahl, die auch die vielen kleinen und mittleren Insel­unternehmen in deutscher Hand einschließt, gibt es nicht. Aber die Zahlen einzelner, teils schon lange auf der Insel tätiger Unternehmen vermitteln eine Ahnung der Größenordnung: Die ­Schörghuber-Gruppe, die auf der Insel drei Hotels und vier Golfplätzen betreibt, bringt es auf rund 700 Mitarbeiter, rund 200 sind es bei Müller, 133 bei Air Berlin und 120 bei Media Markt. Mit der neuen Bauhaus-Filiale werden weitere 100 bis 150 Festangestellte dazukommen. Und die großen Reise­veranstalter beschäftigen in der Hauptsaison jeweils weit über 1.000 ­Mitarbeiter.

Der Generaldirektor für Industrie und Handel der ­Landesregierung verzichtet trotz mehrerer Nachfragen auf eine Stellungnahme. Anscheinend ist ihm das Thema zu heikel, er ist bereits dafür angegriffen worden, dass er die deutschen Handelsketten hofiert. Fest steht auch so, dass die Landesregierung diese Entwicklung begrüßt. Es bleibt ihr auch nicht viel anderes übrig.

MZ-Branchenbuch: Schaufenster für die Insel-Wirtschaft