Die Serra de Tramuntana auf Mallorca ist nicht zuletzt für ihre spektakulären Straßen berühmt. Auch deswegen zieht es Jahr für Jahr weit über 100.000 Rad- und Motorradfahrer auf die Insel, vor allem aus Nordeuropa, auch deswegen pflegen hier die großen Automobil- und Motorradhersteller ihre neuen Produkte vorzustellen. Jüngstes Beispiel ist BMW: Die Firma führt derzeit auf der Insel 1.100 Motorradhändlern aus aller Welt sechs neue Motorrad-Modelle vor. Jeden Morgen fahren die Teilnehmer auf der Landstraße Ma-1014 von Palma nach Puigpunyent in die Serra de Tramuntana.

Dort, zwischen Kilometer 9 und Kilometer 11, müssen die Fahrer einen Gefahrenabschnitt passieren, der es in sich hat: Hunderte scharfkantige Begrenzungs­steine verengen die Straße und lassen Auto-, Motorrad- und Radfahrer in Richtung Gegenfahrbahn abdriften. Die Quader finden sich lediglich jeweils an einer Seite und auch nicht durchgehend - und sind doch ein Lehrstück dafür, wie leichtfertig die Behörden mit der Sicherheit auf Mallorcas Straßen umgehen.

Falscher Sandstein

Die ein Meter langen, 40 cm hohen und 26 cm breiten ­Betonblöcke wurden im Dezember aufgestellt. Der Hersteller, die Firma Paviments Lloseta, hat sie dem für Mallorca so typischen Sandstein nachempfunden. Zwischen den einzelnen Quadern wurde jeweils ein schmaler Spalt gelassen, damit das Wasser abfließen kann. Die Mäuerchen sollen die Straße von einer ein bis dreieinhalb Meter tiefen Schlucht trennen, in die in der Vergangenheit schon mehrfach Autos gestürzt waren. Zuletzt kam im April 2010 eine junge Frau bei einem Unfall hier ums Leben.

Anfangs war die Rede davon, dass die neue Konstruktion Pilotcharakter für die ganze Tramuntana habe. Nach Beschwerden bei der Verkehrsbehörde, dem Rathaus von Puigpunyent und dem Inselrat sowie einer Anzeige bei der Guardia Civil von MZ-Fotograf Sebastián Terrassa ist davon nicht mehr die Rede. Zudem wurden daraufhin die scharfen Kanten etwas abgefräst, und die Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h auf 70 km/h herabgesetzt.

Gemeingefährlich ist der Abschnitt immer noch, zumal mit der Installation der Betonklötze die Straße um 47 Zentimeter verengt wurde. Weil die Quader zudem im Auslauf eines kleinen Waldstücks beginnen, erschrecken die Autofahrer zusätzlich und weichen instinktiv in die Straßenmitte aus. In nur drei Stunden beobachtete die MZ 50 Manöver dieser Art. Zum anderen sind auch die abgefrästen Seiten der Betonquader weiterhin scharfkantig ,Auch die Zwischenräume zwischen den Blöcken sind gefährlich. Bei einem Unfall drohen schwerste Verletzungen.

Pep Quetglas, Präsident des mallorquinischen Motorradclubs Media Milla ist denn auch alarmiert: „Diese Klötze sind extrem gefährlich." Quetglas und sein Motorradclub, einer der größten auf Mallorca, haben eine Kampagne gegen die neuen Straßen­begrenzungen gestartet. Mit einem Logo mit der Aufschrift „Auch ich sage ,Nein´ zu den tödlichen Mauern" wollen die Motorradfahrer bei einem Festakt zum Balearen-­Tag auf die Gefahr aufmerksam machen. Quetglas versteht nicht, warum der für die Straßen auf Mallorca zuständige Inselrat nicht Holzleitplanken verwendet hat, wie es sie etwa auf der Panoramastraße Ma-10 gibt. Diese seien deutlich weniger gefährlich. Obwohl zwischen dem Motorradclub und dem Inselrat reger Austausch herrsche, sei man nicht konsultiert worden.

Auch BMW-Pressesprecher Christian Pingitzer, der die Motorrad-Vorführung begleitet, sind die Steinmauern sofort aufgefallen. „Es erschließt sich mir nicht, weshalb es diese Begrenzungen dort braucht. Als Motorradfahrer sind wir nie begeistert, wenn zusätzliche Hindernisse installiert

werden." Aus seiner Sicht wären die Quader deutlich ungefährlicher, wenn sie abgerundet wären.

Weniger Platz für Räder

Ähnlich äußert sich auch Marcel Iseli, Sportdirektor des größten Radveranstalters auf Mallorca, Bicycle Holidays Max Hürzeler. Auch ihm wurde bereits von den neuen Begrenzungen berichtet. Er schickte am Dienstag (25.2.) eine 14-köpfige Gruppe Radfahrer vorbei, um den Abschnitt für die MZ zu begutachten. Die Sportler zeigten ebenso wenig Verständnis für die Arbeiten wie Iseli selbst. „Wir haben Freude an jeder schönen Bruchsteinmauer, aber diese Konstruktion ist alles andere als glücklich."

Das Problem sei, dass Radfahrern aufgrund der Mauern überhaupt kein Platz mehr gelassen werde und sie so auf einer ohnehin engen Straße noch näher an die motorisierten Fahrzeuge heranrücken müssten. Marcel Iseli kann denn auch die Haltung des Inselrats in dieser Frage nicht

nachvollziehen, denn „statt den Radfahrern größere Seiten­streifen zur Verfügung zu stellen, wird ihnen vielerorts immer mehr Platz genommen.

Auch drei von der MZ auf der Insel befragte Straßenbau­ingenieure halten die Konstruktion für höchst zweifelhaft. Da sie regelmäßig mit dem Inselrat zusammenarbeiten, möchten sie nicht genannt werden. In ihrer Bewertung aber stimmen sie überein: Es sei eine grobe

Unverantwortlichkeit, derartige Quader so nahe am Randstreifen zu platzieren. Ihrer Ansicht nach seien die Klötze überhaupt nicht für öffentliche Straßen zugelassen. Die Mauern seien eher für private Fincas gedacht.

Und die Behörden? Sie schieben sich gegenseitig den Ball zu. Weder die Leiterin der Verkehrsbehörde, Maria Teresa Sau, noch der Bürgermeister von ­Puigpunyent, Biel Ferrà, wollen zuständig sein. Beide verweisen auf den Inselrat. ­Dessen Leiter der Straßen­baubehörde, Rafael Gelabert, verteidigt sich im Gespräch mit der MZ: „Wir mussten an dieser Stelle handeln und haben das in diesem speziellen Fall so getan, weil Experten zum Schluss kamen, dass diese Lösung dort die beste ist."

Im Übrigen handle es sich keineswegs um ein Pilotprojekt. Überall in der Serra de Tramuntana, wo über neue Straßen­begrenzungen nachgedacht werde, werde individuell über die zu ergreifenden Maßnahmen entschieden. Und selbstverständlich seien die Blöcke offiziell zuge­lassen. Man habe lediglich danach noch ein wenig die Kanten abgefräst, um die Sicherheit für Zweiradfahrer zu erhöhen.

„Nicht meine Baustelle"

Auch beim Konsortium „Welterbe Serra de Tramuntana", das für die Verwaltung des Gebirges zuständig ist, verweist man auf den Inselrat. Geschäftsführer Tomeu Deyà vertraut darauf, dass alles seine Richtigkeit hat. „Das ist ein technisches Thema und nicht meine Baustelle", sagt er. Er habe zwar nahe der betreffenden Stelle vor Kurzem ein Schild aufstellen lassen, das die Einfahrt ins Welterbe ankündigt, doch das habe nichts mit den Steinquadern zu tun. Mehr könne er zu dem Thema nicht sagen. Es wird spannend, wer etwas dazu sagt, wenn es zum ersten Unfall gekommen ist.

MZ-Kommentar: Gedankenlosigkeit auf der Landstraße

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