Carlos hat seinen Lieblingsplatz: eine Bank im Park Bellver, von der aus man über viel Wald, ein bisschen Stadt und das Ausflugsrestaurant Na Burguesa blicken kann. „Ideal um den Alltag hinter sich zu lassen, in ein paar Minuten bist du hier mitten in der Natur", sagt der Argentinier, der seit zehn Jahren in Palma wohnt. „Und wenn du noch ein bisschen weiter reinläufst, kannst du sogar die Hobbits treffen", fügt er grinsend hinzu und seine blonde Begleiterin beginnt zu kichern. Der Bellver-Park, mit 150 Hektar die mit Abstand größte Grünanlage der Stadt, ist Palmas grüne Lunge, Tag für Tag Ziel Hunderter Einheimischer, Urlauber, Outdoor-Sportler oder Hundebesitzer, am „Engelsfest" am zweiten Sonntag nach Ostern Treffpunkt zahlreicher palmesanos zum gemeinsamen Picknick - und ein Ort voller Geschichte und Geschichten.

Die Historie

María Cristina von Österreich war es, die Palmas Bürgern 1894 erstmals Zutritt zum Park Bellver gewährte. Dabei soll die Regentin, die Spaniens Geschicke damals stellvertretend für ihren noch minderjährigen Sohn Alfons III. lenkte, ihre Unterschrift auf der Verordnung zunächst verweigert haben - weil sie, so berichteten die Madrider Zeitungen, der felsenfesten Überzeugung war, der einst Königshaus und Armee vorbehaltene Wald rund ums Schloss Bellver stünde der Bevölkerung längst offen.

Unerlaubterweise in den Wald geschlichen hatten sich hingegen noch die Gelbfieber-Flüchtlinge im 19. Jahrhundert. 1821 sollen Palmas Bürger Baracken aus Holz im Bellver-­Park errichtet haben, um sich vor der innerhalb der Stadtmauern wütenden Epidemie in Sicherheit zu bringen, erzählt Historiker Gaspar Valero. „Hierfür wurden zig Kiefern gefällt." Ein weitaus größerer Teil des Waldes fiel allerdings einige Jahre später dem Terreno-Viertel zum Opfer, das ab 1838 mit ausdrücklicher Erlaubnis der Armee gebaut werden durfte. Zuvor hatte der Park bis ans Meer gereicht.

Zu Beginn der zweiten spanischen Republik 1931 ging das Schloss samt Park schließlich in den Besitz der Stadt Palma über - wobei diese Begebenheit eine makabere Pointe hat: Ausgerechnet der Abgeordnete, der sich hierfür stark gemacht hatte, nämlich Alexandre Jaume von den Sozialisten, sei während der Franco-Diktatur im Kerker des Schlosses eingesperrt und später erschossen werden, berichtet Historiker Valero.

Unter regelmäßigen Park­besuchern erzählt man sich auch gern die Geschichte von dem Vorhaben, aus dem Bellver-Wald eine künstlich gestaltete Parkanlage im Stile des Madrider „Parque del Retiro" zu machen. Die Pläne hätten jahrelang in den Schubladen der Stadtoberen gelegen - dass sie nie umgesetzt wurden, scheint allerdings auch niemand wirklich schlimm zu finden.

Das Schloss

Zwischen 1300 und 1311 von Architekt Pere Salvà als Residenz für König Jaume II. erbaut, wurde das auf 112 Metern über dem Meeres­spiegel gelegene Schloss im 18. Jahrhundert in ein Gefängnis verwandelt. Einer der Insassen war der Gelehrte Gaspar Melchor de Jovellanos, der während seiner Gefangenschaft von 1802 bis 1807 unter anderem ein von Ramón Llull verfasstes Geometriebuch erstmals ins Spanische übersetzte. Noch heute ist Jovellanos eine Statue im Park gewidmet.

1932 richtete die Stadt im Castell ein Museum ein - das war Bedingung des Staates für die Schenkung gewesen. Seit der Renovierung 1976 beherbergt das Schloss Palmas Historisches Museum und eine Skulpturensammlung des Kardinals und Kunstsammlers Antonio Despuig. Rund 310.000 Menschen haben das Schloss 2014 besichtigt, knapp 60.000 davon allein im besucher­stärksten Monat September. Dank neuer kultureller Angebote und speziell auf Schüler und Familien zugeschnittener Veranstaltungen sei die Besucherzahl in den vergangenen Jahren stark angestiegen, berichtet die Verantwortliche, Isabel Pérez-Miró. Im Gegenzug wurde allerdings die Zufahrt für Touristenbusse auf maximal acht pro halber Stunde limitiert. Neben Führungen auf Spanisch, Katalanisch und Englisch steht Besuchern seit Neuestem eine Guide-App fürs Smartphone zur Verfügung, die auch in deutscher Sprache heruntergeladen werden kann.

Trotz frühlingshafter Temperaturen nach wie vor verwaist ist das vor rund zwei Jahren erstmals eröffnete Café neben dem ebenfalls erst zwei Jahre alten Museums-Shop. Der erste Pächter habe seine Konzession nicht verlängern wollen, berichtet Pérez-Miró, und auf die im Winter erfolgte Ausschreibung habe sich kein einziger Bewerber gemeldet. „Es muss wohl an der Krise gelegen haben." Jetzt versuche man es eben noch einmal und hoffe, dass das Café bis Anfang April in Betrieb gehen kann. Für die einheimischen Parkbesucher steht indes längst fest, warum das Geschäft bisher so gar nicht laufen wollte. „Es war extrem überteuert, der totale Touristennepp", schimpft eine Passantin.

Der Untergrund

Die für den Schlossbau benötigten Steine wurden einst aus dem Innern des Bergs abgetragen, wodurch mehrere Tunnel entstanden. Einer Legende zufolge solle einer bis zum Almudaina-Palast an der Kathedrale führen und den Königen einst als Fluchtweg gedient haben. Eine ähnliche These vertritt der Historiker Pere Galiana, der 2009 ein Buch über die „Coves de Bellver" veröffentlichte. Seiner Ansicht nach hätte Jaume II. keine Festungsanlage bauen lassen, ohne ein Entkommen im Falle einer Belagerung zu gewährleisten. Allerdings geht Galiana davon aus, dass der Fluchtweg unter dem durch den Park verlaufenden Torrent de Mal Pas nach Can Barbarà führte, heute ein Teil des Terreno-Viertels. Dort befand sich im Mittelalter der Hafen. Eine Verbindung zwischen Schloss und Höhlen konnte zwar bisher nicht entdeckt werden, jedoch gebe es mehrere Hinweise auf ihre einstige Existenz, schreibt der Historiker. Die cuevas, die während des Bürger­kriegs als Munitionslager dienten und nach Ende der Diktatur von der Stadt als Lager genutzt wurden, waren der Öffentlichkeit zuletzt nur noch an den Feiertagen San Sebastià und am „Día de Baleares" zugänglich. Seit zwei Jahren sind aus Sicherheitsgründen überhaupt keine Besichtigungen mehr möglich. Und das dürfte bis auf Weiteres auch so bleiben: Pläne, die Höhlen zu restaurieren, gebe es derzeit nicht, heißt es im Rathaus.

Die Bauten

Etwas unterhalb des Schlosses wurde zwischen 1879 und 1885 eine dem jesuitischen Heiligen Alphonsus Rodríguez gewidmete Kapelle erbaut. „Ihm soll einst ein Engel erschienen sein, der seinen Schweiß trocknete", weiß Eugenio López, ein älterer Anwohner aus dem Terreno, der den Park fast täglich besucht. Jeweils am letzten Samstag im Monat um 10 Uhr wird in dem Kirchlein Messe gefeiert - an der López zufolge an die 30 Personen teilnehmen. Dazu sei die Kapelle für Trauungen beliebt.

Zu den Pferdewegen, die seit jeher durch den Park führten, kam 1859 ein breiterer Karrenweg. Gefangene, die infolge des Putsches von 1936, der zum Bürgerkrieg führte, in den Kerkern von Bellver eingesperrt wurden, mussten den Weg vom Eingang an der Carrer Bellver bis zu den Höhlen anlegen. Die Straßen, über die man mit dem Auto unter anderem bis zum Schloss gelangen kann, wurden ebenfalls während des 20. Jahrhunderts gebaut. Eine davon führt zu den Reitställen von Palmas berittener Polizei, die seit rund 40 Jahren auf dem Gelände des Bellver-­Parks untergebracht sind. Polizeisprecher Ángel García zufolge verfügen die Beamten derzeit über knapp 20 Pferde. Die Reiter­polizisten patrouillieren im Park, aber auch in Palmas Innenstadt und während der Sommermonate an der Playa de Palma.

Gleich links neben dem für Autos passierbaren Haupteingang an der Carrer Camilo José Cela steht ein kleines Häuschen, in dem einst der Parkwächter saß. Sein Wohnhaus soll sich ein Stückchen weiter unten am Rande des Parks befunden haben, berichtet Anwohner Eugenio López. Zu einem gelben Haus, das in der Nähe des südlichsten Eingangs an der Carrer del Polvorí direkt in den Fels gebaut ist, hat Miguel Rodríguez, der als professioneller Hundeausführer mehrmals täglich im Park unterwegs ist, eine Legende parat. Dort soll sich einst die Höhle der Hexe Joana befunden haben, die im Wald ihr Unwesen trieb. Inzwischen sei die Höhle einem Häuschen gewichen, dessen Bewohnern „ganz normale Leute" seien. Eine makabere Geschichte fällt Miguel zu einem laut Inschrift 1686 erbauten Brunnen ein. „Das ist der Selbstmörder-Brunnen, hierher kamen die Leute, um sich aufzuhängen." Der dazu nötige Baum stehe aber schon lange nicht mehr.

Die Pflanzen

Botanisch gesehen ist der Bellver-­Park kein Wald, sondern ein großes Gebüsch. Die Vegetation besteht heutzutage vor allem aus Sträuchern, wobei der Mastixstrauch, auch Wilde Pistazie genannt, dominiert. Die am stärksten vertretene Baumart ist die Aleppokiefer, daneben finden sich wilde Oliven- und Johannisbrotbäume sowie vereinzelte Eichen. Wissenschaftler gehen deshalb davon aus, dass Bellver einst ein großer Eichenwald war. Und zur Zeit der Mauren wuchs an den Südhängen des Parks sogar Wein, so heißt es.

Spätestens ab Ende März werden die zahlreichen Orchideen des Parks wieder in voller Blüte stehen. Der Schwede Sven Jonasson, der ihnen 2011 ein Buch gewidmet hat, zählte 18 verschiedenen Arten. „Auf der Insel gibt es kaum Orte, wo man so viele verschiedene auf einem Fleck findet", sagt er. Das liege am vielen Licht, das durch den recht offenen Park dringt. Zudem gäbe es keine gefräßigen Ziegen oder Schafe.

Vernachlässigt wirkt ein kleiner Gemüsegarten gleich unterhalb des Schlosses, der einst im Rahmen eines Projekts für Drogensüchtige angelegt wurde. In den Beeten wuchsen Salat und Kräuter, auf einem kleinen Teich trieben Seerosen. Heute sind nur mehr ein paar Stauden Kapuziner­kresse und ein Salbeibusch übrig. „Wahrscheinlich gab es kein Geld mehr", sagt Miguel Rodríguez.

Der Unterhalt

Dass auch beim Unterhalt des Parks gespart wird, wie Rodríguez vermutet, bestätigt sich beim Blick in die Haushaltsbücher nicht. Das Budget beträgt seit 2013 gut 127.000 Euro pro Jahr. Als die Stadt Ende 2013 die 27,5 Hektar große Finca Son Berga hinzukaufte (der Park reicht seither im Westen bis zur Ringautobahn), kamen sogar noch einmal 48.000 Euro (2014) und 64.000 Euro (2015) hinzu. Laut Stadtverwaltung sind derzeit fünf städtische Angestellte im Bellver-Park im Einsatz, die mit ihrer Arbeit vor allem Waldbränden und Baumkrankheiten vorbeugen, aber auch die Erosion, die dem Park zunehmend zu schaffen macht, bekämpfen sollen. Vor 2012 seien die Unterhaltsmaßnahmen auf die drei Spielplätze und den Picknickplatz beschränkt gewesen, so die Stadtverwaltung. Zusätzliche Arbeiten, etwa entlang der Hauptwege, betritt der Freiwilligentrupp einer Sozial­stiftung. Dies habe sich aber wegen der fehlenden fachlichen Ausbildung als unzureichend erwiesen.

Riesige Prozessionsspinner-Kolonien, die nicht mal vor den Spielplätzen Halt machen, bereiten derzeit eher Eltern und Hundebesitzern Sorge. Im Rathaus heißt es lediglich, dass der Park vom balearischen Umweltministerium zuletzt auf einer Befalls-Skala von 1 bis 4 unter dem niedrigsten Wert eingestuft wurde. Möglicherweise habe aber der milde Winter zu einer erneuten Vermehrung der giftigen Raupen geführt.

Öffnungszeiten: 7.30 bis 18.30 (Okt.-März) bzw. 20.30 Uhr (April-Sep.)