Zwei Kolosse nähern sich Claudia Ernst. „Ey, bist du im Schüler­austausch hier?", fragt einer der Zwei-Meter-Männer belustigt. Angesichts des resoluten Gesichtsausdrucks der Berliner Polizistin schwant ihm wohl, dass er da ein bisschen zu weit gegangen ist. „Nein, im Dienst", stellt die Frau in der blauen Uniform klar und setzt ein charmantes Lächeln auf.

Die 49-Jährige ist gerade mit ihrem spanischen Kollegen Paco Ledesma an der Strandpromenade von Cala Ratjada auf Streife. Den Spruch des Urlaubers aus dem Rheinland nimmt sie nicht krumm, sondern vielmehr zum Anlass für einen kleinen Plausch - und schon nach wenigen Minuten sind Siggi und sein Kumpel Achim ganz angetan von der sogenannten „gemischten Patrouille". „Das ist eine super Sache und sicherlich hilfreich." Da könne man sich als Tourist - im Gegensatz zur Playa de Palma etwa, wo kein Polizist Deutsch spreche - wenigstens verständigen.

Bei Verkehrskontrollen oder wenn auf den Wochenmärkten nach Taschendieben Ausschau gehalten wird, was für Claudia Ernst genauso wie für die einheimischen Kollegen zum Tagesgeschäft gehört, mag ihre Nationalität nebensächlich sein - wenngleich sie auch hier regelmäßig für überraschte Blicke sorgt. In brenzligeren Situationen hingegen ist die deutsche Beamtin - die übrigens fließend Spanisch spricht - willkommene Ansprechpartnerin. Etwa wenn Urlauber beklaut wurden und ihre Aussage zu Protokoll geben müssen.

Oder für die 22-jährige Touristin, die in volltrunkenem Zustand von drei Jungs in ihrem Hotelzimmer vergewaltigt wurde. „Die kam am nächsten Tag mit ihren Freundinnen nach Artà zur Polizeiwache, um Anzeige zu erstatten", erzählt Claudia Ernst. Da sie sich gerade zum Schichtbeginn gemeldet hatte, nahm sie sich der heiklen Sache an. „Das war gut, einerseits weil die Sprachbarriere wegfiel, andererseits weil man über so etwas lieber mit einer Frau spricht." Und die sind bei der Guardia Civil im Raum Artà Mangel­ware: Nur vier der 60 Beamten sind weiblich.

Auch bei den Patrouillen am Strand oder auf nächtlicher Streife möchten die Guardia Civil-­Beamten die Verstärkung aus Deutschland nicht mehr missen. „Mit ihr ist es entspannter, viele Situationen entschärfen sich allein durch ihre Anwesenheit", sagt Paco Ledesma. Während seine Versuche, angetrunkenen Urlaubern klarzumachen, dass man laut Gemeindeverordnung nicht auf die Straße pinkeln darf, oftmals in unsinnigen Diskussionen enden, reicht bei Claudia Ernst meist der Hinweis, dass das in Deutschland ebenso wenig geduldet werde. Sie wirke offenbar glaub- , ja vertrauenswürdiger. „Bei uns dagegen befürchten scheinbar viele, wir würden sie unfair behandeln oder wollten ihnen etwas anhängen."

Dazu kommt der bestimmte Tonfall der deutschen Beamtin. Ein „Bitte von der Straße runter" aus dem Mund einer Berlinerin zeigt bei den Urlaubern, die gedankenlos mitten auf der Fahrbahn zwischen den Läden und Kneipen von Cala Ratjadas Ausgehmeile umherlaufen, umgehend Wirkung. Paco mit seinem „auf den Fußweg" kann sich hingegen kaum Gehör verschaffen - und das obwohl seine Deutschkenntnisse, die er sich als Animateur an der Playa von Alcúdia angeeignet hat, tadellos sind. „Ich bin der Einzige hier bei der Guardia Civil, der Deutsch spricht", erklärt der junge Mann aus Santa Margalida - und stellt sich zwei neugierig lauschenden Passanten als „Klaus Kartoffel" vor.

Kurz vor 22 Uhr macht sich das Funkgerät im Polizeiwagen bemerkbar. Eine Schlägerei vor einem Hotel in der Calle Triptón. Die beiden Beamten springen ins Auto und rasen los, samt Blaulicht und Sirene. Doch schon bei der Ankunft wenige Minuten später gibt der Kollege von der Policía Local Entwarnung: keine Spur von Prügelnden oder gar Verletzten. Alles halb so wild.

„In Cala Ratjada kommt es kaum zu Ausschreitungen", sagt Juan Doblas, der Chef der Guardia Civil-Wache in Artà. „Das hier ist absolut harmlos, wenn man mal Magaluf oder die Playa de Palma gesehen hat." Trotz des hohen Touristen­aufkommens: In die Gemeinde Capdepera, wozu der Küstenort gehört, kommen pro Saison an die 500.000 Urlauber. Die einzigen gewalttätigen Auseinandersetzungen, die Claudia Ernst während ihres Mallorca-Einsatzes miterlebte, spielten sich denn auch nicht zwischen Trunkenbolden, sondern einstmals Verliebten ab. „In einem Fall hatte sich eine Frau gegen ihren Ex mit einem Messer verteidigt, da floss viel Blut." Ein anderes Mal hatte ein deutscher Urlauber seine Frau geschlagen und anschließend das Wochenende in der Arrestzelle verbringen müssen.

Grölende Partyurlauber und ausufernder Sauftourismus sind somit nicht die Dinge, die die deutsche Polizistin mit Cala Ratjada in Verbindung bringt. „Hier kann man es gut aushalten, das Klientel ist sehr angenehm." Wobei das nicht immer so gewesen ist. „Es soll dieses Jahr wieder besser geworden sein. Es war zwar viel los, aber die Besucher wussten sich zu benehmen." Das erzähle man sich im Kollegenkreis von Guardia Civil und Policía Local. Und das bestätigt auch Capdeperas Bürgermeister Rafel Fernández (PSOE). „Die Saison verlief bisher sehr ruhig, es gab kaum Zwischenfälle." Die Besucher zeigten sich immer einsichtiger, was die Gemeindeverordnung angehe, die unter anderem das Trinken von Alkohol auf offener Straße oder am Strand verbietet.

Bis zu dem jungen Mann, den Paco Ledesma und Joaquín von der Policía Local gerade ins Visier nehmen, hat sich das Verbot wohl noch nicht herumgesprochen. Er müsse seine Bierdose entweder direkt am Kiosk, wo er sie erworben hat, austrinken oder wegwerfen - sonst würde ein Bußgeld von 60 Euro fällig, erklärt der Ortspolizist. Der deutsche Urlauber nickt verständnisvoll, sein Freundin schiebt ihn eilig Richtung Mülleimer. „Zum Beginn der Nacht sind die Leute noch vernünftig, sagt Joaquín. „Mit steigendem Alkoholspiegel wird es dann schon schwieriger." Seitdem die Nacht-Patrouille der Policía Local jedoch ausgeweitet wurde und zwischen 22 und 7 Uhr nun durchgehend mindestens neun Beamte in Cala Ratjada unterwegs seien, habe man die Lage deutlich besser unter Kontrolle.

Viele Anwohner sehen das nach wie vor anders. Zu viel feierndes Party­volk, zu viel Lärm zu nachtschlafender Zeit oder auch tagsüber am Strand, lauten die häufigsten Klagen. „An der Cala Agulla ist es jetzt ruhig, weil momentan vor allem Familien da sind", sagt ein Langzeiturlauber aus Berlin, der seit acht Jahren jeden Sommer in Cala Ratjada verbringt. Doch im Juni und Juli, wenn erst die Fußballer und dann die Abiturienten in Scharen kämen, dominierten am Strand Ghetto­blaster und Bierpaletten. „Das ist reinster Ballermann-Tourismus." Wobei auch der Teilzeit-Resident, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, zugeben muss, dass die Partyexzesse nachgelassen haben, seit die Gesetze verschärft wurden.

„Natürlich könnte man immer noch strenger durchgreifen, aber dann besteht eben die Gefahr, dass Urlauber wegbleiben." Und wenn die Lokale die Musik im Außenbereich um Mitternacht nicht nur leiser, sondern ganz ausmachen müssten, wäre das das Ende für die Ausgehmeile. „Die Leute, die sich über den Lärm beschweren, vergleichen Cala Ratjada mit dem, was es vor 15 Jahren war, als es gerade mal eine Disco gab", sagt Paco von der Guardia Civil. Dabei müsse auch heute noch keiner schlaflose Nächte verbringen - außer er wohne direkt neben dem „Physical" oder „Bolero".

Im Bierbrunnen, einem Partyschuppen mit großem Biergarten, ist man bemüht, sich an die Anweisung aus dem Rathaus zu halten. „Ab 24 Uhr fahren wir die Lautstärke runter, das wird seit Neuestem genau kontrolliert", sagt Promoter und Security-Mitarbeiter Patty, ehe er Claudia Ernst per Handschlag begrüßt. „Alles unter Kontrolle." Im Moment zumindest. Doch das könne sich schnell ändern. „Es gibt immer Leute, die zu viel trinken und dann dummes Zeug machen." Die müsse er notfalls vor die Tür setzen - wo sich dann die Polizei um sie kümmert.

Doch auch hier war Claudia Ernsts Einsatz bisher nicht erforderlich. Eitel Sonnenschein war ihr Dienst dennoch nicht immer. Neben Vergewaltigung und häuslicher Gewalt hatte die Berlinerin sogar mit einem Todesfall zu tun. In Cala Bona in der Gemeinde Son Servera war eine 57-jährige Britin, die an Diabetes litt, während des Urlaubs gestorben. „Ich habe mich mitten in der Nacht drei Stunden um ihren Mann gekümmert, das war eine Grenzerfahrung, auch wenn einem so etwas als Polizist öfter passiert", erinnert sich die Deutsche.

Die schöne Seite ihres Mallorca-­Einsatzes sei indes gewesen, dass sie mit sehr vielen Leuten ins Gespräch gekommen sei - und die Menschen sie anschließend wiedererkannten. „Auch in der Freizeit, am Strand." Von den nächtlichen Patrouillen in Uniform ganz zu schweigen. Alle paar Meter trifft Claudia Ernst auf ein bekanntes Gesicht, plaudert ein bisschen, zieht weiter. Ein Mann erzählt ihr aufgeregt, dass seine verlorene Brieftasche, wegen der er Anzeige erstattet hatte, gefunden wurde. „Zwar ohne Geld, aber mit allen Dokumenten."

Ursprünglich hatte sich die Berlinerin für einen Sommer-Einsatz auf Lanzarote beworben. Dass es am Ende Mallorca wurde, stört sie längst nicht mehr. „Die Kanaren wären mir bestimmt zu langweilig gewesen." Die Dienste in Cala Ratjada hingegen werde sie schmerzlich vermissen. „Ich werde mich auf jeden Fall wieder bewerben." Guardia Civil-­Kollege Paco würde es nichts ausmachen: „Von mir aus könnte Claudia das ganze Jahr bei uns arbeiten."