Nicht unter Olivenbäumen auf Mallorca ruht er, wie es sein Wunsch gewesen war, sondern in der düsteren Habsburgergruft im Zentrum Wiens, eingemauert im Kreis seiner erlauchten Familienmitglieder: Kaiser Franz Joseph und dessen Gemahlin Elisabeth, der legendären Sisi, dem Kronprinzen Rudolf, Maria Theresia und ihrem Gatten Franz Stephan, seinen Eltern Leopold II. und Maria Antonia sowie seinen Geschwistern. So befahl es das strenge Hofprotokoll: Ludwig Salvator war von hochadeliger Herkunft, ein Mitglied des österreichisch-ungarischen Kaiserhauses.

El archiduque oder s´arxiduc, wie ihn die Mallorquiner nennen, starb vor genau 100 Jahren mitten im Ersten Weltkrieg, am 12. Oktober 1915, in seinem Stammschloss Brandeis an der Elbe in Böhmen. Er war 68 Jahre alt. Der Krieg verzögerte die Überführung nach Wien in seine letzte Ruhestätte um drei Jahre.

Auf Mallorca erinnern heute Denkmäler an diesen österreichischen Erzherzog aus der Sekundogenitur, dem Nebenzweig des Hauses Habsburg-Lothringen. In Miramar und Son Marroig, den ehemaligen erzherzoglichen Besitzungen an der Nordküste Mallorcas, können Besucher seine Wohnräume besichtigen, Straßen wurden nach ihm benannt, Wanderwege, Aussichtspunkte und Weine; auch Restaurants und Geschäfte bedienen sich seines Namens.

Zudem sind Valldemossa und der Erzherzog untrennbar verbunden. Dabei steht er allerdings im Schatten von Frédéric Chopin, dem weltberühmten polnischen Komponisten, der mit seiner Geliebten George Sand und deren Kindern im Winter des Jahres 1838/39 einige Monate in dem mallorquinischen Bergdorf verbrachte. Scharen von Touristen reiben an seiner scharfkantigen Nase, die blankgeputzt in seinem bronzenen Antlitz leuchtet. Bis zum Gedenkraum Ludwig Salvators in der Cartuja schaffen es hingegen die wenigsten Besucher: Die Reiseleiter drängen zum Bus auf dem Parkplatz, man will noch vieles sehen.

Doch für den Erzherzog muss man sich Zeit nehmen, er lässt sich nicht einfach im Vorbeigehen mitnehmen. Zuerst sollte man eine Ahnung davon haben, wer dieser Mann war, den sie hier zwar alle kennen, von dem aber kaum jemand Genaueres weiß. Wissenschaftler, Reiseschriftsteller, Weltenbummler, Naturfreund und Umweltschützer, der erste Grüne und Vorreiter des Tourismus auf Mallorca nennen ihn die einen, einen Sonderling und Lebemann mit lockeren Ansichten die anderen. Er war dies alles und noch mehr, jedenfalls eine schillernde Persönlichkeit. Falsch daran ist nur, dass man diesem Mann immer wieder einen bestimmten Stempel aufdrücken will, der allein ihm nicht gerecht wird.

Ohne Zweifel war er einer der bedeutendsten, klügsten, intelligentesten und phantasievollsten Sprösslinge der Habsburger-Dynastie. Als er am 4. August 1847 im düsteren Palazzo Pitti in Florenz das Licht der Welt erblickte, schrieb sein Vater, der letzte regierende Großherzog der Toskana vor der Vereinigung Italiens unter König Victor Emanuel, in sein Tagebuch: „Es ist ein Junge. Dieses Geschenk erfüllt mich mit großer Freude. Luigi wird er heißen." Das Baby war ein Wunschkind, das seine Eltern, Leopold II. und dessen Gemahlin, Maria Antonia, eine Tochter des Königs von Sizilien, über den Tod des zweieinhalb Jahre zuvor verstorbenen Brüderchens Rainer hinwegtröstete. Von zehn Buben und Mädchen erreichten nur sechs das Erwachsenenalter, doch das war Mitte des 19. Jahrhunderts keineswegs ungewöhnlich.

Bis zum Alter von sechs Jahren wuchs Ludwig Salvator - wie es im Hause Habsburg-Lothringen üblich war - in der Kindskammer auf, unter der Obhut der Aja, einer Art von Kindermädchen, und dem Ajo, einem männlichen Erzieher. Zusammen mit seinem jüngsten Bruder Johann Salvator genoss er eine exzellente Erziehung. Vor allem die Naturwissenschaften bereiteten diesem aufgeweckten Kind viel Freude am Lernen. Sein Vater erkannte sehr früh, dass dieser Sohn etwas Besonderes war, weshalb er für seine Erziehung und Bildung weder Kosten noch Mühen scheute. Der Palazzo Pitti, die ihn umgebenden Boboligärten und die Museen und Sammlungen der toskanischen Hauptstadt Florenz bildeten das Studierzimmer des jungen Erzherzogs. 1859 aber musste der kleine Luigi sein Paradies verlassen: Die politischen Wirren um die Vereinigung Italiens zwangen den Großherzog und seine Familie zu einer überstürzten Flucht ohne Wiederkehr.

Der neue Lebensmittelpunkt der „Italiener", wie man am Hof in Wien seine toskanischen Verwandten zu nennen pflegte, waren nun Böhmen, die Schlösser Brandeis an der Elbe und Schlackenwerth.

Böhmische Winter sind lang, grau und kalt, mit viel Nebel und Schnee. Luigi begann zu husten, litt an chronischer Bronchitis und Asthma. Die Eltern schickten ihn mit seinem jüngsten Bruder nach Venedig. Zwei Jahre sollte er dort verbringen, bis alle Krankheitssymptome vollkommen verschwunden waren. Am Lido sammelte er Muscheln, machte Ausflüge mit venezianischen Gondeln, lange Spaziergänge an frischer Luft, Abstecher nach Triest, Istrien, später Dalmatien und Montenegro. Die Kinder schrieben Briefe an ihre Eltern, auf Deutsch, Französisch, Ita­lienisch, Englisch, Griechisch; es folgten Reisebeschreibungen, die er mit kleinen Zeichnungen illustrierte. Luigi veröffentlichte, noch im Selbstverlag, sein erstes Buch über Venedig und Venetien, in französischer Sprache, gewidmet seiner geliebten Mutter. Mehr als 70 weitere Bücher folgten, diese allerdings fast ausnahmslos auf Deutsch.

Wieder zurück in Böhmen, nahm der junge Mann seine Studien bei den Professoren der Prager Karls-Universität auf und knüpfte erste Kontakte mit wissenschaftlichen Institutionen. Er begann seine Reisetätigkeit an Bord der beiden „Nixen", kaufte nach und nach Landhäuser und Villen an den Gestaden des Mittelmeers und schuf sich sein mediterranes Fürstentum.

45 Jahre lang lebte und reiste er unter südlicher Sonne; glückliche und höchst abenteuerliche, in jedem Fall erfüllte Jahre eines ungewöhnlichen Mannes, der sich nicht damit begnügte, „hochwohlgeboren" zu sein, für den seine Abstammung weder eine Belastung noch eine Entschuldigung für Untätigkeit war. Niemand beschrieb die mittelländischen Schönheiten mit so viel Kenntnis und Leidenschaft wie er, denn er wurde Zeit seines Lebens nicht müde, zu reisen, zu sehen und zu beschreiben, Neues kennenzulernen und Altes zu bewahren, ohne sich dem Fortschritt zu ver­schließen.

Bis heute unterschätzt wird auch die politische Bedeutung seiner Person und seines Schaffens. Er war ein Freigeist aus absolutistischem Haus und setzte sich entschlossen über diesen Widerspruch hinweg. Auch das Kriegsgeschrei vor 1914 veranlasste ihn nicht, seine pazifistische Haltung aufzugeben. Bereits vor über 100 Jahren erkannte er, dass Europa, der Nahe Osten und Nordafrika einen gemeinsamen Kulturraum bilden, den das Mittelmeer verbindet. Wissen und Verständnis unter den Völkern zu vermitteln, war ihm ein großes Anliegen. Damit war Ludwig Salvator auch Vorreiter einer modernen Europapolitik.

Helga Schwendinger ist Historikerin und hat eine umfangreiche Biografie über Ludwig Salvator geschrieben.