Für das Verhältnis zwischen den Balearen und Katalonien lassen sich viele Bilder finden. Sind die beiden Regionen wie zwei ungleich große Geschwister? Oder vielleicht eher wie ferne, vom Meer getrennte Verwandte? Sind sie gleichberechtigte Partner, die ein gemeinsames Erbe teilen? Oder vielleicht sogar mehr als das, eine eigene Kulturnation?

Eine gemeinsame Sprache, ein gemeinsamer Kulturraum - die Balearen und Katalonien sind seit Jahrhunderten verbunden. Knapp 7,5 Millionen Menschen leben in Katalonien, etwa siebenmal mehr als auf den Balearen. Der Austausch zwischen beiden Regionen scheint eine eher einseitige Angelegenheit zu sein - die Festlandbewohner zieht es stärker auf die Inseln als umgekehrt. So lebten laut den neuesten verfügbaren statistischen Daten von 2012 knapp 35.000 Katalanen auf den Balearen, jedoch nur 11.000 Insulaner auf dem Festland.

Unterschiede werden auch in der aktuellen politischen Debatte über die Unabhängigkeit sichtbar. Während Katalonien voran schreitet, ist auf den Balearen die Stimmung angesichts der Bestrebungen zur Loslösung von Spanien eher verhalten, die Meinungen sind mehrheitlich zurückhaltend (siehe S. 5).

Geschichte: das gemeinsame Erbe von Jaume I.

Historisch gesehen sind Katalonien und die Balearen seit dem 13. Jahrhundert verbandelt. Im Jahr 1229 eroberte König Jaume I. Mallorca von der Arabern. Über die folgenden fünf Jahrhunderte war man eng verbunden: Beide Regionen unterstanden der Krone von Aragonien.

Im Jahr 1714 wurde die Krone allerdings im Erbfolgekrieg in ein gesamtspanisches Königreich unter der Monarchie der Bourbonen eingegliedert - die einzelnen Regionen verloren den Kontakt zueinander, was an den Bestrebungen der Bourbonen lag, das ehemalige Aragonien kulturell und politisch zu isolieren.

Erst im 19. Jahrhundert entstanden wieder Verbindungen zwischen Katalonien, den Balearen und Valencia. Zu dieser Zeit beschränkten sie sich allerdings auf die kulturelle Ebene, vor allem die gemeinsame Sprache.

Im 20. Jahrhundert gab es wieder erste Bestrebungen, auch politisch wieder die Gemeinsamkeiten hervorzuheben. Die Franco-Diktatur (1939-1975) allerdings unterband diese Versuche. Auch das Verbot der gemeinsamen katalanischen Sprache in dieser Zeit schwächte das Zusammengehörigkeitsgefühl mehr, als dass es dieses hätte stärken können.

Kultur: Politische Misstöne zwischen den Regionen

Die Geschichte der Kulturinstitute zeigt, dass die beiden Regionen nicht immer gemeinsame Wege gegangen sind. Im Jahr 2002 gründeten die Regierungen der beiden Regionen das Institut Ramon Llull (IRL), das das Ziel hatte, die katalanische Sprache und Kultur in allen ihren Ausführungen im In- und Ausland zu fördern. Im Jahr 2012 jedoch brach die konservative PP-Regierung diese Kooperation auf. Dabei wurde auch die Position der General­direktion für Sprachpolitik abgeschafft. Die Aufgaben fielen fortan dem bereits bestehenden balearischen Kulturinstitut Institut d´Estudis Balearics (IEB) zu.

Seitdem die neue Linksregierung an der Macht ist, wird wieder die Nähe des katalanischen Instituts gesucht. Allerdings betonte der neue IEB-Leiter Josep Ramon Cerdà vor Kurzem in einem Interview mit der MZ, dass man keine Fusion mit dem IRL suche, sondern vielmehr ein „Rahmenabkommen zwischen zwei gleichberechtigten Institutionen".

Auch die Position der Generaldirektion für Sprachpolitik wurde wieder besetzt. Die Beauftragte Marta Fuxa Vidal sieht die Wiederaufnahme der Beziehungen als stetigen Prozess. „Wir müssen jetzt auf den verschiedenen institutionellen und politischen Ebenen neue Strategien entwickeln. Die Politik der vergangenen vier Jahre hat den kulturellen und künstlerischen Austausch erschwert."

Der mallorquinische Schriftsteller Biel Mesquida sieht ebenfalls ein Versagen in der Politik, kritisiert aber auch ein mangelndes Interesse am Austausch bei Künstlern und anderen Kulturschaffenden. „Wir sind in einer sehr schlechten Situation, es gibt keinen echten Austausch. Teilweise ist es gar nicht möglich, mallorquinische Bücher in Katalonien zu kaufen." Die prekäre wirtschaftliche Situation mache es zudem für viele Künstler unmöglich, ihre Arbeiten in der Nachbarregion zu zeigen. „Verleger etwa zahlen heute kaum noch etwas."

Mesquida selbst versucht diesem mangelnden beiderseitigem Interesse entgegenzuwirken. „Ich habe immer versucht, Brücken zu bauen. Es reicht nicht nur, dass unsere Sprache uns verbindet. Wir müssen daran arbeiten, dass wir uns begegnen. Deshalb fahre ich auch nach Katalonien und stelle meine Bücher dort vor - selbst, wenn ich draufzahlen muss."

Wirtschaft: Es lief schon mal besser

Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Katalonien und den Balearen seien hervorragend, sagt Joan Lladó, der als Mallorca-Vorsitzender der Esquerra Republicana die beiden wirtschaftsstarken Regionen am liebsten in einem eigenen Staat vereint sähe. „78 Prozent der Ware, die den Hafen von Palma verlässt, geht nach Barcelona." Das mag richtig sein, dürfte aber vor allem an der geografischen Nähe liegen. Denn die Statistiken sprechen nicht gerade dafür, dass der Handel zwischen den Inseln und Katalonien besonders floriert. Zumindest nicht mehr.

Katalonien ist zwar nach wie vor der Hauptabnehmer der Waren, die die Balearen in andere spanische Regionen exportieren. Dem valencianischen Wirtschaftsforschungsinstitut Ignasi Villalonga zufolge betrug das Exportvolumen im Jahr 2011 fast 1,9 Milliarden Euro. Allerdings ging der Anteil der nach Katalonien verkauften balearischen Güter zwischen 1995 und 2011 von 38 auf 30 Prozent zurück, wie das katalanische Wirtschaftsministerium errechnet hat.

Und auch als Versorger spielt der große Bruder für Mallorca und die anderen Baleareninseln eine immer geringere Rolle: Während die Balearen 1995 noch über 52 Prozent ihrer aus anderen spanischen Regionen importieren Ware in Katalonien einkauften, waren es 2011 nur noch gut 38 Prozent. Mit keiner anderen Autonomie­region haben sich die Handelsbeziehungen derart verschlechtert. Der Wert der von Katalonien importierten Güter lag 2011 nur mehr bei 207 Millionen Euro.

Nichtsdestotrotz sind die beiden Regionen eng verbandelt, schließlich haben zahlreiche Unternehmen Filialen in Katalonien und auf den Balearen. Die Modebranche hat sogar einen eigenen Verband Catalunya i Balears. Daneben haben Transportunternehmen, Anwaltskanzleien oder Fitness-Studios Niederlassungen in beiden Regionen.

Ein besonderes Beispiel ist die Kooperative Abacus, die Schreibwaren, Bücher und Schulutensilien vertreibt: Nach knapp 40 Filialen in Katalonien und Valencia - das aufgrund der eng verwandten Sprache ebenfalls zum katalanischen Kulturraum gerechnet wird - eröffnete die Genossenschaft im vergangenen Herbst ihren ersten Laden in Palma. Zwar sei eines der Hauptanliegen, die katalanische Sprache zu bewahren, sagte Abacus-Verkaufsleiterin Marta Rodríguez damals zur MZ. Ein Expansion über den katalanischen Sprachraum hinaus sei aber dennoch nicht ausgeschlossen. Moderne Wirtschaftsdenke kennt eben keine (Regionen-)Grenzen.

Studium: Präferenz für Barcelona

„Barcelona war mein Erstwunsch, was Universitäten angeht. Das liegt vor allem an der Sprache", sagt Coloma Gibert. „Ich spreche zwar Spanisch, aber ich fühle mich wohler, in meiner Muttersprache zu studieren." Die 17-jährige Mallorquinerin hat Mitte September an der Universitat Barcelona ihr Pharmazie-Studium begonnen. Sie habe sich zwar an anderen Unis in Spanien beworben, sei aber letztendlich froh, dass es die katalanische Hauptstadt geworden ist. An der Balearen-Universität habe es ihr Wunschstudium leider nicht gegeben.

Gibert ist nicht allein. 1.846 Studenten von den Balearen waren laut den Daten im Studienjahr 2014-2015 an der Universitat Barcelona eingeschrieben. Die drei von den Insulanern am meisten nachgefragten Studienbereiche waren Wirtschaft, Rechtswissenschaft und Philologie. Unter den insgesamt knapp 64.800 Studenten der Universität macht das einen eher kleinen Anteil aus. Allerdings war für Gibert die Gewissheit, Kommilitonen aus der Heimat zu haben ein ausschlaggebender Grund für die Wahl des Studienortes. „Es gibt einem das Gefühl, nicht ganz allein zu sein."

Das Nationalgefühl: auf der Suche nach der Identität

„Enmig de la mar

s´aixeca ma terra

fins tocar el cel

que es besa en la serra

banderes de blau

jo sóc balear

jo sóc de mallorca

català insular"

(„Mitten im Meer,

erhebt sich mein Land,

bis es den Himmel berührt,

und ihn im Gebirge küsst,

blaue Fahnen,

ich bin Baleare,

ich bin von Mallorca

Inselkatalane")

Der mallorquinische Liedermacher Biel Majoral veröffentlichte 2008 den Song „Jo soc català", basierend auf dem Gedicht des 1954 verstorbenen, mallorquinischen Dichters Pere Capellà i Roca. Darin besingt er das Zugehörigkeitsgefühl zu Katalonien.

Dieses Gefühl teilen nicht alle. Bei einer Umfrage 2011 bekannten sich 56 Prozent der Mallorquiner zur Zugehörigkeit zu den Països Catalans. Biel Majoral sagt, das Gefühl des Katalanentums der Mallorquiner sei durch das Franco-Regime zerstört worden. „Der Hass auf Katalonien, den man immer noch in Teilen der mallorquinischen Gesellschaft sieht, geht auf das zurück was in der Diktatur gelehrt wurde."

Nichtsdestotrotz hätten sich die Verhältnisse normalisiert. „Heute fühlen sich die Mallorquiner als Teil des katalanischen Kulturraums. Der Umstand, dass das Balearen-Statut Katalanisch als Sprache der Inseln festlegt, hat dabei sehr geholfen."

Dass es dennoch auf den Balearen nicht das Nationalbewusstsein gibt, das etwa die Katalanen haben, hängt für Majoral mit der Schwierigkeit der Definition zusammen. „Was für eine Nation soll das denn sein? Mallorca? Die Balearen?"

Die Mallorquiner müssten sich aber in Sachen Stolz nicht vor den Katalanen verstecken. „2013 sind über 100.000 Menschen gegen die Sprachpolitik der Regierung Bauzá auf die Straße gegangen. Das zeigt, dass die Mallorquiner ihre Kultur verteidigen."

Aber was ist die Identität der Mallorquiner? Der Historiker Onofre Vaquer Bennasar argumentiert in seinem Buch „L´origen dels mallorquins" (Die Ursprünge der Mallorquiner, 2008), dass Mallorca spätestens seit dem Mittelalter aus einer sehr heterogenen Gesellschaft besteht, deren vorrangig einendes Merkmal die katalanische Sprache ist. Seine Befürchtung ist, dass die massive Zuwanderung in relativ kurzer Zeit, so wie in den vergangenen Jahrzehnten geschehen, zu einem Verlust dieses einenden Merkmals führen könnte.