„Die Hospederìa enthält Küche, Speise­zimmer und zwanzig Betten, welche ein jeder unentgeltlich drei Tage lang benützen kann. Bett- und Tafelwäsche, Geschirr, Öl, Oliven und Kohle werden verabreicht, ohne dass etwas hiefür zu entrichten wäre. Weiteren Mundvorrat musz sich jedoch jeder selbst mitnehmen. Es ist sowohl den Angestellten, wie überhaupt allen auf den Dependenzen von Miramar vorhandenen Leuten strengstens verboten, irgendein Trinkgeld anzunehmen," schrieb der Erzherzog Anfang des 20. Jahrhunderts in seinem Büchlein „Winke für den Besucher von Miramar", einer Art Reiseführer für die ersten Mallorca-Reisenden.

Die von ihm eröffnete Herberge war von 1875 bis zu seinem Tod in Betrieb. Madó Pilla, eine Mallorquinerin, sorgte dort viele Jahre für das Wohl der Gäste. Auch der Erzherzog selbst schaute immer wieder in der Hospederia vorbei, wollte seine Besucher kennenlernen, zeigte ihnen seine Besitzungen, erzählte von seinen Reisen und Arbeiten, lud sie zum Frühstück oder zum Essen ein. Ludwig Salvators Gastfreundschaft war allgemein bekannt.

Seine Freunde wurden auf einem der zahlreichen Güter, Son Gual, Son Moragues und Son Galceran, untergebracht - auch wenn Seine Kaiserliche Hoheit selbst nicht anwesend war. Dort konnten sie sich ungezwungen bewegen, ihrer Arbeit oder ihren Vergnügungen nachgehen, malen, schreiben oder forschen. Auf seiner Gästeliste finden sich Maler wie der Katalane Santiago Rusiñol y Prats, Gaston Charles Vuillier aus Frankreich oder der Wiener Alexander Rothaug, die Schriftsteller Charles W. Wood und Alexander Roda-Roda, der Höhlenforscher Eduard Alfred Martel, Adolf von Jordans, der Ornithologe aus Bonn, und der Bankier und Reiseschriftsteller Nathaniel Baron von Rothschild. Auch der europäische und russische Hochadel war prominent vertreten: Wladimir Alexandrowitsch, der ältere Bruder des russischen Zaren, Alexander III., Isabel von Spanien und Kaiserin Elisabeth von Österreich sowie Ludwig Salvators Mutter, Maria Antonia, die letzte Großherzogin der Toskana.

Selbst Fremde hatten Zutritt, denn durch die Anwesenheit des Habsburger-Prinzen aufmerksam gemacht und neugierig geworden auf die Schönheiten der Tramuntana, kamen schon bald die ersten Gesellschaftsreisenden. So organisierte die Zeitung „La Almudaina" aus Palma Fahrten, auf denen man die erzherzöglichen Güter besichtigen konnte.

Während des Aufenthalts des katalanischen Dichters Mosen Jacinto Verdaguer (1845-1902) in Miramar ereignete sich eine Anekdote, die sein Neffe, Mario Verdaguer de Travesi, in seinem Buch „Die Goldene Insel" erzählt: „Am Morgen nach seinem Einzug kam um sieben Uhr ein Trupp ausländischer Besucher im Schlosse an. Die Fremden drangen durch das immer offen stehende Tor ins Innere des Gebäudes und begannen die Gemächer zu besichtigen. Die Tür des Zimmers, in dem Mossen Jacinto schlief, fanden sie natürlich versperrt. Da riefen sie einen Diener herbei und forderten ihn auf, die Tür zu öffnen. Der Diener hielt ihnen vor, dass im Zimmer ein Herr übernachte und es daher nicht möglich sei, einzutreten. Die Touristen beriefen sich erregt auf die Anordnung, dass die Schlösser des Erzherzogs von sechs Uhr früh aller Welt zugänglich sein müssten, und bestanden darauf, das Zimmer mit dem berühmten Bett zu besichtigen. Der Diener sah keinen anderen Ausweg, als meinen Oheim zu benachrichtigen [...] er sprang aus dem Bett, entriegelte die Tür, lief dann zurück und zog sich in aller Eile die Decke über den Kopf. Die zudringlichen Besucher betraten hierauf das Zimmer, bewunderten das Riesenbett und entfernten sich durch die andere Tür. So musste der Nationaldichter Kataloniens zehn Minuten unter der Decke zubringen, um einer allgemeinen Verfügung des Erzherzogs nicht zuwiderzuhandeln, die ihn der Taktlosigkeit jener Leute auslieferte."

Verdaguer spricht von den „Schlössern" des Erzherzogs, aber dies waren keine Schlösser wie der Palazzo Pitti in Florenz, in dem Ludwig Salvator seine Kindheit verbracht hatte, oder das Renaissanceschloss Brandeis an der Elbe in Böhmen, das er 1870 von seinem Vater erben sollte. Es waren mallorquinische Landhäuser; wir würden sagen: Bauernhöfe. 1867, als der junge Habsburger erstmals nach Mallorca gekommen war, gab es in Palma weder ein Hotel noch ein Gasthaus, wo man nächtigen konnte. Fremde gab es wenige, die Kapitäne blieben auf ihren Schiffen, und die Spanier wohnten bei ihren Freunden. Pedro de Alcántara Peña erwähnt in seinem Reiseführer von 1891 lediglich sechs Gasthäuser mit Verpflegung und ebenso viele Familienpensionen. Die erste Luxusherberge mit Badezimmer und dekorierten Salons, das Gran Hotel, wurde erst 1903 erbaut.

So mietete Ludwig Salvator für seinen zweiten Aufenthalt eine Wohnung im Palacio de Formiguera, einem alten mallorquinischen Adelspalast nahe der Kathedrale von Palma, welcher erst für seine Bedürfnisse adaptiert werden musste. Hohe Räume mit Holzdecken, offenen Kaminen und einem aus dem 16. Jahrhundert stammenden Boden aus Santanyí-Gestein bildeten zwar einen prunkvollen Rahmen für seine Arbeitsstätte, waren aber eher für repräsentative Zwecke geeignet; wohnlich waren sie nicht. Ein 16 Meter langer, 6 bis 7 Meter hoher Salon mit Blick aufs Meer war während der Wintermonate auch mit offenen Kaminen nicht zu heizen.

Sein erstes Eigenheim auf der Insel war Miramar, wo der Philosoph, Theologe und Mystiker Ramon Llull im 13. Jahrhundert eine Missionarsschule zur Bekehrung der Ungläubigen gegründet hatte. Es waren halb verfallene Gemäuer, und es dauerte einige Jahre, in denen der Erzherzog weiterhin in Palma wohnte, bis daraus das Miramar werden sollte, das wir heute kennen. 1877 war es endlich so weit und Miramar wurde in Anwesenheit von Ludwig Salvators Mutter ­feierlich eröffnet. Das Fest dauerte drei Tage, die Valldemossiner tanzten und sangen. Kaiser Franz Joseph hatte aus Wien 500 Francs aus seiner Privatkasse geschickt zur „Erbauung einer dem Andenken des seligen

Raimondo Llull geweihten Kirche auf der Insel Mallorca."

Jetzt besaß der junge Erzherzog sein eigenes „Schloss", und es wurde zu seinem Lieblingsaufenthaltsort, denn „der Anblick ist so zauberhaft und mag man ihn auch noch so häufig genossen haben, immer wirkt er überraschend und neu in seiner harmonischen Schönheit."

In den folgenden Jahren erwarb Ludwig Salvator nach und nach die angrenzenden Ländereien, bis ihm der gesamte Küstenstrich von Valldemossa bis Deiá gehörte: Sa Coma und Son Gual im Gebiet von Valldemossa, die große Finca Son Moragues an dessen Ortsende rechts oben am Berg, Son Ferrandell und Son Oleza an der Straße nach Andratx, C´an Costa, wo sich heute das gleichnamige Restaurant befindet, Son Galceran, Son Gallard, Son Marroig mit seinem Wehrturm aus dem 16. Jahrhundert, dem weithin sichtbaren weißen Tempelchen aus Carrara-Marmor und der Landzunge Sa Foradada bis hin zu Sa Pedrissa kurz vor dem Örtchen Deià. In Son Marroig sollen der Überlieferung nach die Mauren den letzten Frauen­raub begangen haben. Von der señora der Familie Marroig hat man nie wieder etwas gehört.

Alle diese Anwesen kaufte, renovierte und bewirtschaftete er. Nur ein kleines Häuschen ließ er selbst erbauen: die weiße, im sizilianischen Stil errichtete s´Estaca, in der seine Verwalterin Catalina Homar bis zu ihrem frühen Tod 1905 lebte - und viele Jahre später Hollywood-Schauspieler Michael Douglas.

Ludwig Salvator hatte sich an der Nordwestküste Mallorcas sein Fürstentum im Kleinen geschaffen, Wie im Testament festgelegt, fielen seine Besitztümer nach seinem Tod 1915 nicht an die Krone zurück, sondern verblieben in den Händen seines langjährigen Freundes und Sekretärs Antonio Vives, der ihn um drei Jahre überlebte, und dessen Kindern Gino, Gigi, Gigetta und Luigina.

Miramar und Son Marroig sind heute im Besitz von Luiginas Töchtern, Silvia und Isabel, alle anderen Anwesen sind in den vergangenen Jahren verkauft worden. Dort, wo die Hospederìa stand, in der man drei Tage lang kostenlos nächtigen konnte, befindet sich heute ein hässlicher Betonklotz, ein Hotel, das nur im Sommer geöffnet ist. Doch abgesehen von dieser Bausünde, die aus der Zeit vor dem Gesetz zum Schutz der Tramuntana-Küste stammt, hat sich in den letzten einhundert Jahren nicht viel verändert. Dieser Küstenstrich, der zu den schönsten Flecken des gesamten Mittelmeerraums zählt, hat seine Ursprünglichkeit bis heute bewahrt. Für Ramon Llull war Miramar „eine Oase des Friedens im Tumult seines orkanartigen Lebens". Und das ist es noch heute. Den Erzherzog würde es freuen.

Helga Schwendinger ist Historikerinund hat eine umfangreiche Biografie über Ludwig Salvator geschrieben (www.ludwig-salvator.com