Wer schon einmal in dem provisorischen Verhandlungssaal der balearischen Verwaltungsschule an der Ausfallstraße nach Sóller war, kann sich die Nöte der Organisatoren vorstellen. Der Raum mag mehr Platz bieten als der größte Saal im herrschaftlichen Gerichtsgebäude Can Berga in Palmas Altstadt. Doch wie sollen hier ab dem 11. Januar ­18 Angeklagte plus ihre Anwälte, das Publikum und vor allem die knapp 600 Journalisten Platz finden, die sich inzwischen für den Prozess Nóos akkreditiert haben? Reporter erinnern sich an das Geschiebe beim bislang größten Drogenprozess Mallorcas vor drei Jahren - damals war erstmals eine Verhandlung hierher ausgelagert worden.

Die Bedeutung

Der Prozess ist spektakulär: Auf der Anklagebank - in diesem Fall Stühle mit royalblauem Bezug - nimmt auch die Schwester von König Felipe VI., Infantin Cristina, wegen mutmaßlicher Steuerdelikte Platz. Bei der Verhandlung über die Geschäfte ihres Mannes, Iñaki Urdangarin, für den die Staatsanwaltschaft 19,5 Jahre Haft fordert, dürfte so manche Peinlichkeit aus dem Königshaus bekannt werden. Verantworten müssen sich zudem ehemals hochrangige Vertreter der balearischen, valencianischen und Madrider Regionalregierung, etwa Ex-Premier Jaume Matas.

Der Prozess steht stellvertretend für die Abrechnung mit der politischen Korruption in Spanien. Allerdings sind die Vorwürfe aus dem auf mehr als 44.000 Seiten angeschwollenen Untersuchungsbericht während der drei Jahre dauernden Ermittlungen bereits so intensiv in der spanischen Presse ausgebreitet worden, dass viele den Überblick verloren haben und die Angeklagten längst vorverurteilt sind.

Die Anklage

Im Kern geht es um das Firmengeflecht rund um das angeblich gemeinnützige Instituto Nóos, das Urdangarin zusammen mit seinem Geschäftspartner Diego Torres aufbaute. Es soll dazu gedient haben, zwischen 2003 und 2009 bei Geschäften mit politischen Institu­tionen Steuergelder in Höhe von rund 6 Millionen Euro zu veruntreuen. Auf Mallorca flossen 2,8 Millionen Euro für die Organisation zweier Tagungen über „Sport und Tourismus“. Die Infantin war Teilhaberin der Consultinfirma Aizoon, einer mutmaßlichen Tarnfirma, und bestritt mit deren Geld ­Ausgaben für Haus, Reisen und Annehmlichkeiten. Die Organisation Manos Limpias fordert als Nebenklägerin wegen des Verdachts auf Beihilfe zur Steuerhinterziehung acht Jahre Haft.

Die Protagonisten

Der gesellschaftliche Absturz des früheren Traumpaares hat Ausmaße einer griechischen Tragödie. Der ehemalige Handballprofi, der bei den Olympischen Spielen in Atlanta 1996 Bronze sowie auch das Herz der Infantin gewonnen hatte, galt als perfekter Schwiegersohn und Liebling von Altkönig Juan Carlos. Der royale Glanz schuf auch das ideale Umfeld für die wirtschaftlichen Aktivitäten von Urdangarin.

Heute ist er eine Art Aussätziger der spanischen Gesellschaft. Mit seiner Frau flüchtete er 2014 nach Genf, nachdem das Leben in Barcelona zum Spießrutenlauf und der Gang zur Schule für die vier Kinder zum Albtraum geworden war. Den Titel als Herzöge von Palma hat das Paar längst verloren, vom Hofzeremoniell ist es ausgeschlossen. Die Villa in Barcelona ist verkauft. Wenn die Infantin für ihre Arbeit bei der Bank La Caixa einfliegt, steigt sie in einem Aparthotel ab. Statt wie früher zu Fuß zu gehen, fährt sie hinter verdunkelten Scheiben vor. Urdangarin ist arbeitslos und kümmert sich in Genf um Haushalt und Kinder. Nur wenige Freunde hielten dem Paar die Treue, schreibt die Zeitung „El Mundo“, die auch ausführlich über angebliche frühere Affären Urdangarins berichtet.

Völlig zerrüttet ist zudem das Verhältnis zum Ex-Sozius Diego Torres, für den zwischen 16,5 und 22,5 Jahre Haft gefordert werden. Der frühere Dozent der Businessschool Esade, wo auch Urdangarin seinen Abschluss gemacht hatte, veröffentlichte nach dem Zerwürfnis mit Urdangarin Unmengen kompromittierender, auch schlüpfriger E-Mails und hat seine Sicht der Dinge in einem Buch niedergeschrieben: „La hora de la verdad“ (Die Stunde der Wahrheit) soll in Kürze erscheinen und dürfte vor allem das Königshaus in Misskredit bringen. „Behandle meinen Schwiegersohn gut“, habe ihm Juan Carlos am Telefon gesagt, so Torres.

Palma-Valencia-Madrid

Die große Zahl der Angeklagten ist damit zu erklären, dass auch die Kapitel Valencia und Madrid aufgerollt werden - neben dem Team von Urdangarin finden sich die jeweils politisch Verantwortlichen auf der Anklagebank wieder. Im Fall von Valencia ging es um drei „Valencia Summits“ - auch hier standen „Sport und Tourismus“ auf dem Programm - für je 1,04 Millionen Euro und einen Vertrag über 380.000 Euro für die Lobby-Arbeit zur Ausrichtung von Europa-­Spielen, die nie stattfanden. Die Verträge zwischen dem Instituto Nóos, der Stiftung Turismo Valencia Convention Bureau und der Stadt der Künste und Wissenschaften kamen in Rekordzeit und auf dem kurzen Dienstweg zustande.

Im Fall von Madrid geht es um 114.000 Euro, die zwischen 2007 und 2009 für Lobbyarbeit gezahlt wurden - Urdangarin wollte helfen, die Olympischen Spiele 2016 nach Madrid zu holen. Für diese Arbeit gibt es allerdings laut Anklage keinerlei Belege oder Nachweise.

Die Strategien

Einer Strategie der Verteidigung, die den Prozess weiter aufgebläht hätte, machte das Gericht einen Strich durch die Rechnung. So sollten zahlreiche Zeugen geladen werden, die die Abhaltung der Konferenzen bestätigten. Das sei jedoch nicht Gegenstand des Prozesses. So müssen nun weder Altmonarch Juan Carlos und sein Sohn Felipe aussagen, noch die Deutsche Corinna zu Sayn-Wittgenstein, Freundin des damaligen Königs und Teilnehmerin einer der Tagungen.

Die Hoffnung der Infantin ruht weiterhin in der Doktrin Botín, benannt nach dem verstorbenen Bankier, dem 2007 der Prozess gemacht werden sollte. Sie besagt, dass eine Anklage wegen Steuerdelikten, die nur von der Nebenklage erhoben wird - in diesem Fall Manos Limpias-, nicht zur Verhandlung kommt. Nachdem Untersuchungsrichter Castro die Anwendung dieser Doktrin abgelehnt hatte, soll die Frage zu Prozessbeginn endgültig geklärt werden. Ansonsten darf man sich auf ein Schwarzer-Peter-Spiel einstellen - Urdangarin und Ex-Sozius Torres haben sich schon im Vorfeld des Prozesses die Schuld zugeschoben und den jeweils anderen als Profiteur der Machenschaften dargestellt. Torres und seine Schwager hätten Nóos verwaltet, lautet das Hauptargument von Urdangarin.

Die Vertreter der politischen Institutionen dürften sich damit herauszureden versuchen, dass man ja schlecht dem Königshausvertreter einen Korb hätte geben können. Wäre der Vorschlag für die Tagungen nicht vom „Herzog von Palma“ gekommen, hätte er eine öffentliche Ausschreibung veranlasst, so etwa Ex-Premier Jaume Matas.

Der Zeitplan

Angesetzt für den Prozess sind sechs Monate. Am 11. Januar stehen zunächst einmal nur Fragen zur Vorabentscheidung an - etwa die Doktrin Botín -, für deren Bearbeitung sich das Gericht vier Wochen Zeit nehmen wird. Nach dieser Pause geht es ab dem 9. Februar mit der Vernehmung der 18 Angeklagten weiter, wofür 20 Prozesstage angesetzt sind. Falls die Anklage aufrecht erhalten wird, ist die Infantin erst ganz am Ende an der Reihe. Sie müsste in diesem Fall zu allen Prozesstagen erscheinen. Im März und April sollen dann die Zeugen zu Wort kommen, bevor im Mai die 20 Gutachter an der Reihe sind. Wenn der Prozess im Juni zu Ende geht, dürfte es anschließend noch einmal mehrere Monate bis zur Verkündung des Urteils dauern.

Die Zeugen

Prominent geht es zum Teil auch bei den insgesamt 363 geladenen Zeugen zu. Da wären: Ex-Wirtschaftsminister Rodrigo Rato - er hatte ebenfalls mit Urdangarin verhandelt -, der frühere valencianische Ministerpräsident Francisco Camps, die Ex-Bürger­meisterin von Valencia, Rita Barberá, die früheren Bürgermeister von Madrid, Alberto Ruiz Gallardón und Ana Botella sowie hoch­rangige Verwaltungsangestellte des Königshauses.

Die Richter

Vorsitzen sollte dem Prozess Juan Pedro Yllanes. Der Richter, der Erfahrung mit zahlreichen Korruptions­prozessen hat, ließ sich jedoch Anfang Dezember überraschend als Kandidat der Linkspartei Podemos für das spanische Parlament aufstellen. Nun rückt die Richterin Samantha Romero nach, sodass zusammen mit den Beisitzerinnen Eleonor Moyà und Rocío Martín ein weibliches Trio über den Fall richten wird. „Der Prozess ist in besten Händen“, ließ sich Yllanes nach seinem Weggang in die Politik zitieren.

Letzte Vorbereitungen

Trotz der räumlichen Engpässe dürfte niemand außen vor bleiben: Die Justizverwaltung will ähnlich wie im Prozess um die Anschläge vom März 2004 in Madrid ein TV-Signal einrichten, vier Kameras sollen live aus dem Verhandlungssaal senden. Für die Journalisten wird das Signal in einen separaten Presseraum übertragen. Dennoch dürfte der Rummel das gesamte Gewerbegebiet Son Rossinyol gegenüber von Palmas Gefängnistoren lahm legen, allein die Flotte der TV-Übertragungswagen wird für ein Verkehrschaos sorgen. Wer nichts mit dem Fall Nóos zu tun hat, ist gut beraten, das Gebiet ab dem 11. Januar großräumig zu umfahren.