Jaime Martínez war unter der konservativen Regierung José Ramón Bauzás zunächst Generaldirektor für Tourismus und von Ende 2013 bis 2015 Tourismusminister. In seine Amtszeit fiel die Ausarbeitung des recht hoteliersfreundlichen Tourismusgesetzes, das unter anderem Hotelsanierungen und -erweiterungen erleichterte. Seit dem Wahlsieg der Linken widmet sich Martínez wieder hauptberuflich seinem Architekturbüro in Palma - das auf Bauprojekte in der Tourismusbranche spezialisiert ist. Zur bevorstehenden Rekordsaison hat er eine gänzlich unaufgeregte Meinung.

Über zehn Millionen Urlauber, mehr als je zuvor, sollen dieses Jahr nach Mallorca kommen. Da wird es ganz schön voll, oder?

Wir müssen bedenken, dass 70 Prozent dieser Touristen sich auf fünf Gemeinden verteilen, der Rest der Insel ist nicht überfüllt - wobei ich statt von überfüllt ohnehin eher von ausgebucht sprechen würde. Überlaufen ist es höchstens punktuell, an bewölkten Tagen in Palma, in

Sa Calobra, auf Straßen, wo viele Radfahrer unterwegs sind, oder wenn gleichzeitig 20.000 Kreuzfahrttouristen an Land gehen. Das ist an sich nichts Schlechtes, das Problem ist vielmehr, dass in den vergangenen 20 Jahren nicht in die Infrastruktur investiert wurde. Hätte man die Straßen für Radfahrer ausgebaut, gäbe es weniger Konflikte. Hätte man Palmas Hafen modernisiert, würden nicht alle 20.000 Menschen an einem Punkt in die Stadt strömen.

Was bringt das, wenn am Ende alle zur Kathedrale wollen?

Nun ja, das ist nun mal eine Touristenattraktion. Und wir leben vom Tourismus. Deshalb sollten wir vielleicht auch mal ein bisschen selbstkritischer sein, statt immer nur auf den Besuchern herumzuhacken.

Sie meinen, ein bisschen mehr Leidensfähigkeit täte not?

Ich würde nicht sagen, dass die Leute es ertragen müssen. Sie sollten einfach dankbar sein, dass all diese Urlauber zu uns kommen. Wenn ich hinter einem Pulk Radfahrer herfahre, kann ich mich

stressen, weil ich nicht überholen kann, oder hinterher fahren, maximal eine Minute verlieren und mich freuen, dass sie im nächsten Ort einkehren und Geld auf der Insel lassen.

Generell macht es in jüngster Zeit eher den Eindruck, dass die Urlaubermassen den Einheimischen mehr und mehr auf die Nerven gehen - dazu braucht es keine Touristen-Raus-Graffitis, das hört man auch immer öfter in Gesprächen.

Ich glaube nicht, dass dem so ist. Allerdings schürt die aktuelle Politik diese Diskussion, obwohl die Situation vor zehn Jahren schon dieselbe war. 2007 und 2008 kamen nicht ganz so viele Touristen, die durchschnittliche Aufenthaltsdauer war aber länger und die Zahl der Übernachtungen dementsprechend höher. Der Druck auf die Insel oder auch auf Palma war damals also genauso groß. Nur jetzt wird auf einmal von Überfüllung gesprochen. Aufgrund der weltpolitischen Lage werden in diesem Jahr etwa eine Million Urlauber erstmals nach Mallorca kommen. Die könnten sich später wieder für andere Ziele entscheiden, wo man sie nicht mit einer Touristensteuer bestraft. Wir sollten diese einmalige Chance lieber nutzen, statt die ollen Kamellen von Überfüllung und Touristenlimits wieder aufzuwärmen.

Es braucht also keinerlei Beschränkungen?

Der Tourismus an sich ist ein globales Phänomen, das sich längst nicht mehr stoppen lässt - und obendrein unentbehrlich für die Wirtschaft unserer Insel ist. Das einzige Limit setzt der Flughafen, der auf eine bestimmte Kapazität ausgelegt ist. Doch Besucherlimits für Orte wie die Kathedrale, Es Trenc oder Sa Calobra halte ich für vollkommen undenkbar. Damit würde Mallorca zu einem Vergnügungspark werden, schrecklich! Das ist doch gerade das Schöne und Bequeme an dieser Insel, dass man überall hinkommt. Solche Beschränkungen wären kontraproduktiv, ich sehe den Sinn einfach nicht. Wir müssen stattdessen auf mehr Qualität setzen. Wenn ein Angebot teurer wird, sinkt automatisch die Nachfrage, und es kommen nur noch die, die es sich leisten können.

Das mögen zahlungskräftigere Touristen sein, die mehr Geld ausgeben, aber trotzdem nur ein Zimmermädchen, ein Mietauto und zwei Liter Wasser pro Tag brauchen. Der Kuchen würde in jedem Fall kleiner werden und nicht mehr für alle reichen €

Das ist richtig. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir noch lange nicht am Ende der Aufnahmefähigkeit der Insel angekommen sind. Mallorca ist fast 100-mal größer als Venedig, und nach Venedig kommen pro Jahr 22 Millionen Touristen.

Und das soll erstrebenswert sein?

So weit soll es natürlich nicht kommen. Aber wir sind noch nicht am Limit, sondern an einem guten Zeitpunkt, an dem wir die Qualität weiter steigern können und zudem versuchen müssen, die neuen Touristen, die Mallorca nun als Ausweichziel gewählt haben, langfristig an die Insel zu binden.

Bereitet es Ihnen keine Sorge, dass Wasser oder Wohnraum immer knapper werden?

Doch, deshalb müssen wir in die Infrastruktur investieren, unsere Entsalzungs- und Kläranlagen auf Vordermann bringen, die Straßen ausbauen. Vor zehn Jahren fiel es möglicherweise nicht so auf, dass die Insel voll war, weil die Infrastruktur besser in Schuss war. Aber jetzt, nach der Krise, in der die öffentlichen Investitionen komplett zurückgefahren wurden, macht es sich eben bemerkbar.

Und welche Investition löst die Wohnungsnot in Palmas Altstadt?

Dort werden viele Häuser instandgesetzt, gerade durch ausländische Investoren. Und die Restaurants und Läden, die sich dank der Boutiquehotels ansiedeln, sind insgesamt eine Bereicherung, für die Touristen, aber auch für die Einheimischen.

€ von denen es sich immer weniger leisten können, dort zu wohnen.

Das ist richtig. Aber ich würde auch gerne dort wohnen, wenn es ginge direkt in vorderster Meeresfront. Nur leider sind uns allen Grenzen gesetzt.