Anzugträger überqueren den Platz zügigen Schrittes auf dem Weg ins Büro. Eine Kehrmaschine fährt umher und beseitigt Weinkanister und leere Bierdosen. Ein Mann mit Warnweste kippt eine gelbe Chemikalie in den Teich vor der Statue von Jaume I. Ein Lieferwagen mit Getränken parkt mitten auf dem Platz. Es ist 8 Uhr morgens an diesem Freitag (5.5.) auf der Plaça d'Espanya in Palma, und es ist schon sehr viel los.

Einzig die Bar Cristal - eines der traditionsreichsten Lokale Palmas - und das Café 1917 haben schon geöffnet. Noch nimmt auf den Außensitzen kaum jemand Platz. Das mag auch an dem Baulärm liegen, der aus dem benachbarten Haus Nummer 3 tönt. In dem Gebäude, in dem es angeblich spukt, soll in Kürze eine McDonald's-Filiale eröffnen.

Die Ruhe weg haben um diese Uhrzeit nur die Obdachlosen, einige schon mit der ersten Bierdose in der Hand. Vor dem Kapuziner-Kloster an der Kreuzung zum Bastió d'en Sanoguera bildet sich eine lange Schlange für die Essens­ausgabe. Man lacht und unterhält sich. „Jetzt geh schon rein", sagt eine ältere Frau zum MZ-Reporter, als sich die Türen öffnen. „Nach dem ersten Mal verschwindet das Schamgefühl."

In dem kleinen Vorraum des Convents verteilen Vater José María und zwei ehrenamtliche Frauen das sogenannte „Pa de Sant Antoni": ein Getränk, ein bocadillo und etwas Süßes. Die bocadillos werden in einer kleinen Küche von drei weiteren Ehrenamtlichen zubereitet. „Wir belegen täglich mehr als 300 Brote", sagt Cati, eine der Helferinnen. Für Muslime gibt es welche mit Käse. Wer früh kommt, hat Chancen auf Thunfisch oder Sobrassada. Alle anderen bekommen Schinken.

Im Convent dels Caputxins wird seit 1913 Essen an Bedürftige verteilt. Zuvor war in dem Gebäude ein Gefängnis. „Wenn du böse bist, kommst du zu den caputxins, haben mich meine Geschwister früher gehänselt", sagt Angela, eine der

Küchenhelferinnen.

Draußen öffnen nach und nach die 16 umliegenden Lokale und Geschäfte, darunter auch um Punkt neun Uhr die dreistöckige Filiale der deutschen Drogeriemarktkette Müller. Zwischen Reiterdenkmal und Bar Cristal haben indes drei Zeugen Jehovas einen kleinen Stand aufgebaut. Etwas teilnahmslos stehen sie daneben, während hin und wieder ein Passant kurz verweilt und auf die Flyer schaut. „Wir dürfen die Leute nicht ansprechen", sagt Jesús González. Nur bei Interesse würden Flyer angeboten und Fragen beantwortet. Drei Stunden lang müssen sie heute auf der Plaza stehen. Dann kommt die Wachablösung. „In London ist das wohl etwas spektakulärer", scherzt González.

Eine Taube hat auf dem Boden etwas zu Essen erspäht. Wenige Sekunden später versammeln sich mehr als 100 ihrer Artgenossen um sie herum. Ein Kind scheucht die Vögel weg. „Das war in unserer Jugend eines unserer Highlights", sagt Cati Clar, die Kollegin von González. „Da wurden hier kleine Säckchen mit Vogelfutter verkauft. Heute ist das verboten." Bei der Anzahl an Tauben, die den Platz bevölkern, ist das verständlich. Die Steinplatten sind mit Vogelkot übersät.

Hinter den Zeugen Jehovas haben sich ältere mallorquinische Herrschaften in einer Sitzecke niedergelassen. Einer davon ist Alejandro Coronado. Jeden Tag kommt er am Morgen ins Zen­trum, um seine Freunde zu treffen und zu plaudern. Er echauffiert sich über den Zustand der Plaza. „Das ist das Herz unserer Stadt - und weit und breit ist keine einzige Blume zu sehen." Stattdessen prägen hohe Bäume das Bild des Platzes. „Aber selbst das bisschen Grün wird durch Holzpflöcke mit Metalldraht verunstaltet."

„Früher gab es auch mehr Bänke", sagt Coronado. „Die wurden aber alle entfernt, um für die Marktstände Platz zu schaffen, die hier immer wieder zu Festen aufgebaut werden." Die Bankgruppe, auf der sich die Mallorquiner niedergelassen haben, hat der Architekt Gaspar Bennàssar entworfen. Genauso wie das Gebäude der Bar Cristal oder die Säule mit der Wetterstation. Neben der Säule steht ein verrosteter und mit Graffiti besprühter Metallständer mit einer Plakette, auf der auf Katalanisch an den Erbauer der Stierkampfarena erinnert wird. „Bennàssar hat so viel geleistet und bekommt so eine schreck­liche Gedenktafel", beschwert sich Coronado.

Auf der anderen Seite des Platzes steht ein leeres Häuschen, in dem früher eine Touristen-Information untergebracht war. „Heute werden da nur noch Reinigungs­geräte gelagert", sagt die Verkäuferin vom Kiosk nebenan. Der Zeitungsstand existiert schon seit vielen Jahren. Neben Briefmarken und Getränken kann hier auch die Busfahrkarte aufgeladen werden.

An den Haltestellen kommen zur Mittagszeit immer mehr Menschen an. Es sind hauptsächlich Touristen, die sich an der Statue vorbeidrängen. Auf der Plaza verweilt kaum jemand. Ein schnelles Foto mit Erobererkönig Jaume I., und dann geht es auch schon weiter Richtung Fußgängerzonen. Vorsicht ist beim Überqueren des Radweges geboten, der seit 2011 einmal quer über den Platz verläuft. Über Passanten fluchende Radfahrer sind keine ­Seltenheit.

Ein junges Pärchen nimmt sich die Zeit und setzt sich mit einem Eis auf die kleine Bühne, die vor dem Reiterdenkmal aufgebaut ist. „Wir sind hier entlanggeschlendert und fanden es einen geeigneten Ort für eine kleine Pause", sagt der Berliner Max Kühn. Ihm gefalle der bunte Mix an Nationalitäten, sagt er, und blickt herum.

Am Nachmittag ändert sich der Charakter der Plaça d'Espanya. Die Wetterstation zeigt 25 Grad an. Die Touristen verschwinden. Jugendliche mit Rucksack und Schuluniform stehen gruppenweise herum und unterhalten sich lachend. Die Sitzplätze der Fast-Food-Restaurants füllen sich. Besonders im „Cien Montaditos" ist es schwer, noch einen freien Platz zu finden.

Einzelne Passanten warten mit dem Smartphone auf die Ankunft ihrer Freunde. „Die Plaça d'Espanya war durch seine zentrale Lage schon immer ein Treffpunkt", sagt ein Taxifahrer kurz angebunden, weil die Schlange vor ihm sich bewegt. Viele Leute haben es satt, an der überfüllten Bushaltestelle zu warten und nehmen ein Taxi.

Kurz vor 19 Uhr versammeln sich Mütter mit Kinderwagen auf der Plaza. Sie tragen Mottoshirts mit dem Spruch „Bailando con la mamá". Eine Frau stellt einen großen Lautsprecher in die Mitte und macht Musik an. Schnell hat sich ein Kreis aus gut 100 Zuschauern gebildet. 21 Mütter tanzen mit ihrem Baby umgeschnallt im Takt. Nach dem ersten Lied ruft die Vortänzerin in die Runde: „Das ist für alle Mütter zum Muttertag." Zu den Klängen von Luis Fonsis „Despacito" geht es weiter. Nach jeder Einlage küssen die Frauen sanft ihre Kinder auf den Kopf. Einigen Babys scheint die Bewegung zu viel zu sein. Sie fangen an zu schreien.

So schnell die Tanzeinlage begonnen hatte, so schnell ist sie auch wieder vorbei. Zeit für eine caña in der Bar Cristal. Die Traditionsbar bildet einen Gegenpol zur Jugend in den Fast-Food-Läden. Die Stammgäste kommen seit Jahrzehnten. In ein paar Monaten könnte damit Schluss sein. Der Mietvertrag des Eigentümers läuft aus, und die großen Ketten zeigen Interesse an dem Eckgebäude. „Es dauert noch bis Ende Mai, ehe eine Entscheidung gefallen ist", sagt ein Kellner. „Ich finde den Wandel, den die Plaza in den vergangenen Jahren durchgemacht hat, nicht gut. Immer mehr Franchise-Unternehmen ersetzen mallorquinische Läden."

Mitten auf der Plaza hat sich mittlerweile ein großes Polizeiauto postiert. Sechs Beamte beobachten gelassen die Lage. „Die Plaza gehört zu den sichersten Sehenswürdigkeiten Palmas", sagen sie. Es komme zwar immer wieder zu kleineren Zwischenfällen, aber durch die zentrale Lage seien die Polizisten schnell vor Ort. Viel Arbeit kommt nur bei Demons­trationen und Großveranstaltungen auf sie zu. Heute sehen die Beamten einer ruhigen Nachtschicht entgegen. „Hier gibt es doch kaum Bars, die bis spät geöffnet sind. Nachts ist der Platz meistens wie leer gefegt."

Es ist nach 22 Uhr. Einige Gäste feiern in den Bars und Fast-Food-Restaurants den Start ins Wochenende. Doch auf dem Platz herrscht kein Leben mehr. Nur im Haus mit der Nummer 3 scheint es tatsächlich zu spuken: Im dritten Stock scheint ein mysteriöses blaues Licht. Wenn McDonald's hier einzieht, könnte es damit vorbei sein.