„Eine Zeit lang haben wir es ja versucht", erzählt Pep Ginet. „Wir haben Jäger zum Ziegenschießen auf die Finca geholt, lange bevor die Balearen-Regierung und der Inselrat ein Geschäft daraus gemacht haben. Das muss 25 Jahre her sein. Ein paar Jahre haben wir das auch gemacht. Lukrativ war das aber nicht. Und es hat nichts geholfen gegen die schiere Menge an Ziegen, die uns unsere Olivenbäume kaputtgemacht haben. Alles knabbern sie an. Irgendwann hat es mir gereicht. Ich habe die Angelegenheit in meine eigenen Hände genommen. Am ersten Tag habe ich 22 Ziegen erschossen. Die Kadaver habe ich vergraben. Im ersten Jahr waren es über 500 Tiere. Im zweiten Jahr so ähnlich. Es wurden trotzdem nicht weniger. Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen", sagt der ehemalige Wächter einer Finca bei Alaró.

Wilde Ziegen auf Mallorca sind seit Jahren ein Problem. Auf etwa 20.000 Exemplare schätzt das balearische Umweltministerium die Anzahl der wild lebenden Hornträger. Noch etwas höher geht die Kammer der Forstwirte. „Natürlich gibt es keine verlässlichen Zahlen, aber wir gehen von 30.000 bis 35.000 wild lebenden Ziegen auf Mallorca aus", sagt Oriol Domènech von der Kammer. Besonders betroffen sei die Tramuntana, aber auch der Parc de Llevant im Nordosten der Insel.

Die Forstwirte hatten erst im Mai eine Medienkampagne gestartet, um auf das Dilemma aufmerksam zu machen. „Die Ziegen haben sich seit Ende der 90er-Jahre rasant vermehrt. In den vergangenen Jahrzehnten sind immer mehr Fincas in der Tramuntana verlassen worden, weil es in anderen Wirtschaftszweigen mehr Geld zu verdienen gab. Die Tiere, die bis zu dem Zeitpunkt domestiziert lebten, wurden sich selbst überlassen."

Die Folgen sind besonders für die heimische Flora dramatisch: „Die endemischen Eibenarten sind fast ausgerottet. Die Ziegen richten zudem in Gegenden Schaden an, die nach einem Waldbrand wieder aufgeforstet werden", sagt Domènech. Steineichen könnten sich nicht regenerieren, weil die jungen Pflanzen aufgefressen werden. Mit einem „leisen Waldbrand" vergleicht Domènech das Wirken der gefräßigen Paarhufer. „Man sieht und riecht diesen Brand nicht, es gibt keine krassen Fotos, aber er ist genauso zerstörerisch."

Präzedenzfall Es Vedrà

Überraschend ist, wie viel Einigkeit darüber herrscht, dass die Überbevölkerung durch Ziegen ein Problem ist. Weder Tierschützer noch Balearen-Regierung leugnen es. Auch der Umstand, dass in den vergangenen Jahren zu wenig gemacht wurde, wird von niemandem groß bestritten. Nur, wie die Lösung aussehen soll, ist hingegen sehr wohl Stoff für Diskussionen. Dass das Erschießen der Ziegen nicht nur für gute Presse sorgt, hat die Balearen-­Regierung im Februar 2016 zu spüren bekommen. Damals wurden auf dem kleinen Felsen Es Vedrà vor Ibiza 45 wilde Ziegen von Jägern erlegt. Angeblich die gesamte Population. Die Folge: Demonstrationen und Proteste im Internet. Rücktrittsforderungen an Umweltminister Vicenç Vidal inklusive. Auch das Töten mehrerer hundert Ziegen in Calvià Anfang des Jahres sorgte für Entsetzen unter den Tierschützern. Das hat das gezielte Töten natürlich nicht beendet. Aber die Chance, dass ein Politiker eine solche Lösung öffentlich fordert, hat sich noch mal verringert.Wer ist eigentlich zuständig?

Die Kompetenzen werden von Balearen-Regierung und Inselrat geteilt, wobei die mallorquinische Institution für den Bereich Jagd zuständig und insofern mehr in das Tagesgeschäft involviert ist. Aber auch das Umweltministerium kümmert sich um die Kontrolle der Ziegenpopulation.

„Ein Problem ist, dass etwa 95 Prozent der Grundstücke in der Tramuntana in Privatbesitz sind", sagt Joan Mayol vom balearischen Umweltministerium. „Wir können deshalb nur auf öffentlichen Fincas und in Sonderzonen agieren." Zu Letzteren gehören etwa Gegenden, die nach einem Waldbrand wieder beforstet werden. Ein weiteres Problem sei die Jagd in der Nähe von Dörfern und auf Landstraßen. „Hier darf natürlich nicht geschossen werden. Also haben wir spezialisierte Jäger, die nach der traditionellen mallorquinischen Methode mit Lasso und Hunden jagen", erklärt Bartolomeu Seguí von der Abteilung für Jagd im Inselrat. So habe man in den vergangenen Jahren die Zahl der Unfälle von Ziegen mit Autos oder Radfahrern deutlich durch Prävention reduzieren können.

Die Ziegen selbst jagen

Daneben gibt es die private Ziegenjagd, ebenfalls eine Zuständigkeit des Inselrates. Dieser unterscheidet bei den Tieren grundsätzlich zwischen dem einheimischen boc balear und anderen Ziegenarten, die

später für den landwirtschaftlichen Gebrauch eingeführt wurden. Die etwas kleinere einheimische Art, die mit den ersten Siedlern auf die Insel kam, war fast ausgestorben. Die Kehrtwende kam 2006 durch ein Gesetz, das den Abschuss des hiesigen Bocks mit dem rötlichen Fell nur da erlaubt, wo der Anteil an reinrassigen Tieren 70 Prozent beträgt. Mittlerweile gibt es zehn Gebiete, in denen die Jagd auf die einheimische Ziegen wieder erlaubt ist. Der Inselrat arbeite zudem daran, den Jagdtourismus als lukrative Einnahmequelle auf Mallorca zu fördern.

„Alle anderen Ziegen, also vor allem solche, die aus verlassenen landwirtschaftlichen Betrieben stammen, können in allen Jagdgebieten der Insel erlegt werden", erklärt Seguí. Rund 85 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche auf Mallorca seien als Jagdgebiet deklariert. „Aber die Ziegen lernen schnell, wohin sie sich bewegen können und wohin nicht", sagt Seguí. „Das erschwert die Jagd natürlich."

Allein mit Sportjägern wird man das Problem mit den Ziegen nicht bekämpfen können. Deshalb kann man beim Umweltministerium und beim Inselrat eine Genehmigung beantragen, um die Tiere auf dem eigenen Grundstück zu erschießen. 2016 wurde beim Umwelt­ministerium die Schießerlaubnis 75 Mal gewährt. Nach bisherigen Erkenntnissen wurden dabei 1.452 Ziegen erlegt. 162 Genehmigungen wurden derweil vom Inselrat erteilt. Wie viele Tiere getötet wurden, konnte der Inselrat noch nicht sagen.Genehmigung für bis zu fünf Monate Jagd

„Mit der Genehmigung erhält man das Recht, für einen bestimmten Zeitraum, meistens vier oder fünf Monate, die Ziegen unter Kontrolle zu bringen." Ein Unterschied zwischen den Ziegenrassen wird dabei nicht gemacht. „Wir bitten die Grundstückbesitzer darum, nicht explizit auf den boc balearic zu schießen", sagt Mayol vom Umweltministerium. „Aber der richtet ja genau den gleichen Schaden wie alle anderen Ziegen auch an. Verschonen kann man ihn deshalb eigentlich nicht."

Bartolomeu Seguí vom Inselrat weist darauf hin, dass jeder Genehmigung seiner Institution eine sorgfältige Prüfung der Sachlage vorausgeht. „Wenn wir uns versichert haben, dass tatsächlich ein Problem besteht, wird je nach Kompetenzen des Fincabesitzers und der Lage des Grundstücks entschieden, wer mit welchen Methoden das Problem beseitigt."

Keine schöne Erfahrung

„Ich erschieße seit Jahren Ziegen", sagt ein Fincabesitzer aus der Tramuntana, der nicht namentlich erwähnt werden will. „Sie zerstören sonst meine Trockensteinmauern und meine Pflanzen. Fünfzig habe ich bestimmt schon getötet. Für mich ist es furchtbar. Vor allem wenn man sie nicht richtig trifft und dann an sie herantreten muss, um den Gnadenschuss zu geben. Das leidende Tier zu sehen, wie es einem in die Augen blickt. Es ist schrecklich. Mich verfolgt das. Aber was soll ich sonst machen?"

Die Ziegen zu scießen sei nicht nur grausam, sagt Guillermo Amengual vom Tierschutzverband Anima Naturalis. „Vor allem bringt es auch nichts. Ziegen vermehren sich viel zu schnell." Wo man heute 1.000 Ziegen töte, gebe es in zwei Jahren 5.000 neue. „Wir fordern stattdessen, dass die Ziegen entweder sterilisiert oder umgesiedelt werden, wie man es etwa in Barcelona mit den Wildschweinen gemacht hat." Aber so ein Projekt kostet natürlich Geld. Vielleicht könnte man einen Teil der Touristensteuer dafür einsetzen, so Amengual.

Forstwirt Domènech hält die Idee der Umsiedlung für schwer umsetzbar. „Die Tramuntana ist sehr zerklüftet. An manche Stellen kommt man nicht ran." Zudem würden Ziegen sehr ­nervös, wenn man sie fange. Und vor allem, was dann? „Könnte man sie irgendwo hinbringen, wo es ihnen gut geht, wo man sie zudeckt und ihnen einen Gutenachtkuss gibt, wäre ich sofort dafür", sagt Domènech. „Aber so etwas existiert nicht." So ganz stimme das nicht, sagt Amengual. Im Fall Es Vedrà habe es einige Auffangstationen gegeben, die ihre Hilfe angeboten hätten.

Leider habe man die brachiale und kostengünstige Methode mit den Schützen bevorzugt.

Mordlust könne man den Forstwirten aber nicht vorwerfen, so Domènech. „Es geht uns nicht darum, 30.000 Ziegen abzuknallen", sagt er. „Sondern darum, dass jemand das Aufkommen und die Verteilung der Ziegen managt." Denn die Tiere, auch das möchte der Forstwirt betonen, können auch viel Gutes bewirken. „In Gegenden mit Waldbrandgefahr können sie sehr nützlich sein, weil sie das leicht brennbare Material fressen."

Toni Muñoz von der Umweltschutzorganisation Gob will vor allem aufklären. „Viele Menschen wissen gar nicht, was für einen Schaden Ziegen anrichten. Dann ergeben sich schnell Social-Media-Kampagnen wie im Fall Es Vedrà." In Australien und Neuseeland etwa werde die Kontrolle von invasiven Tier­arten seit vielen Jahren von der Gesellschaft akzeptiert. „Hier hat die Informationspolitik funktioniert." Der Gob bevorzugt Lösungen, bei denen keine Tiere zu Schaden kommen. „Aber wenn es nicht anders geht, muss die Feuerwaffe eingesetzt werden." Wichtig sei aber, so Muñoz, dass diese Tötungen von geschultem Personal durchgeführt würden. „Es ist essenziell, dass so bald wie möglich gehandelt wird, um die einheimische Flora zu schützen."

„Ein Jäger kann kein Problem mit dem Töten haben", sagt Pep Ginet, der Wächter der Finca aus Alaró. „Sonst braucht er seinen Job gar nicht zu machen. Aber ja, es ist traumatisierend. Wenn man eine Ziege tötet, schreit sie. Dazu kommt dieser Gestank. Obwohl ich seit Jahren keine Ziege mehr getötet habe, träume ich immer noch häufig von ihnen. Sie laufen vor mir weg."