Einen freien Raum im Parteisitz der Ciudadanos in Palma zu finden, ist gar nicht so leicht. Weil gerade alle Büros belegt sind, nimmt Toni Capilla kurzerhand im Versammlungssaal Stühle vom Stapel und bittet zum Gespräch. Die junge Partei expandiert, die Mitglieder der verschiedenen Arbeitskreise und neu entstandenen Ortsgruppen geben sich im Parteisitz am Innenstadtring die Klinke in die Hand.

„Im Moment treffen sich alle hier in Palma", erklärt der Sekretär für Kommunikation der Ciudadanos auf den Balearen. Sein orangefarbenes Armband identi­fiziert ihn schon von Weitem als Parteigänger. Rund 500 Mitglieder hat die liberale Zentrumspartei inzwischen auf den Balearen. Neben Palma sind Ortsgruppen in den Gemeinden Calvià, Andratx, Llucmajor, Marratxí, Inca, Manacor, Binissalem und Bunyola entstanden.

Telegenes Spitzenduo

Der Aufbau einer Basis in den Gemeinden ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die „Bürger", wie die Ciudadanos wörtlich übersetzt heißen, weiter wachsen können und dem Erfolg der Partei in Katalonien sowie im restlichen Spanien nicht nachstehen. Als Gegen­bewegung zum Regionalnationalismus in der nach Unabhängigkeit strebenden Region vor zwölf Jahren ursprünglich als Regionalpartei gegründet, fordern die Ciudadanos ähnlich wie die linke Partei Podemos, aber unter liberalen Vorzeichen eine grundlegende Erneuerung des von zahlreichen Korrup­tionsskandalen geschüttelten politischen Systems in Spanien. Inzwischen hat sich der charismatische Parteiführer Albert Rivera im spanischen Parlament unverzichtbar gemacht. Die Meinungsforscher sehen die derzeit viertstärkste Partei Spaniens massiv im Aufwind, eine Umfrage im Auftrag der Zeitung „El País" sieht sie landesweit mit 28,3 Prozent vor allen anderen Parteien. In Katalonien, wo sich die rhetorisch mindestens ebenso gewandte Inés Arrimadas im Unabhängigkeitskonflikt profiliert, hat die Formation die konservative Volkspartei praktisch von der politischen Bühne verdrängt.

Auch auf den Balearen dürfte 2019, wenn Regional­parlament, Insel- und Gemeinderäte neu gewählt werden, ohne die Ciudadanos nichts gehen. Bislang noch ohne eigene Fraktion im Balearen-Parlament, sehen Meinungsumfragen sie derzeit als drittstärkste Partei hinter Volkspartei (PP) und Sozialisten (PSIB). So könnten sie zum ­Mehrheitsbeschaffer der derzeit oppositionellen PP werden, die es aus eigener Kraft zu keiner absoluten Mehrheit mehr schaffen dürfte. Zwar haben die Ciudadanos auf nationaler Ebene in beide Richtungen Bündnisse ausgelotet, auch zu den Sozialisten. Doch auf den Balearen ist die Schnittmenge zwischen der Partei von Ministerpräsidentin Francina Armengol und den Liberalen geringer.

Das mag daran liegen, dass die PSIB auf den Balea­ren dem regionalnationalistischen Lager nähersteht und dem Junior­partner Més per Mallorca viele Zugeständnisse machen muss. Die Insel-Ciudadanos setzen jedoch in der politischen Debatte just auf trennende Themen - vor allem die Sprach- und Bildungspolitik.

Zankapfel Sprache

„Ich habe als Lehrerin bereits drei Bildungs­reformen erlebt", berichtet Gaël Thyus, die an einer Schule in der Gemeinde Calvià unterrichtet. Die Parteipolitik müsse aus den Schulen verbannt und die Lehrerschaft besser ausgebildet werden, fordert die französisch-stämmige 33-Jährige. Die Ciudadanos kritisieren, dass Schüler auf den Balearen im Sinne der Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens indoktriniert würden. „Das ist kein generelles Problem, aber es gibt schwerwiegende Fälle", so Thyus. „Ich käme ja auch nicht auf den Gedanken, mit orangefarbenen Armbändchen zum Unterricht zu erscheinen."

Auch die Dominanz des Katalanischen als Unterrichtssprache im öffentlichen Bildungssystem ist den Ciudadanos ein Dorn im Auge. Der Parteivorsitzende auf den Inseln, Xavier Pericay, fordert ähnlich wie früher die Balearen-PP die Wahlfreiheit der Eltern, distanziert sich aber im Interview mit der MZ von der Art, wie das letztendlich gescheiterte Drei-Sprachen-Modell (TIL) umgesetzt werden sollte.

Unter der derzeitigen Linksregierung werden in vielen Bereichen die Katalanisch-Auflagen verschärft. Die Koalition aus PSIB und Més bekämpfe dabei Probleme, wo es gar keine gebe, kritisiert Pericay mit Verweis auf strengere Vorgaben für Ärzte und Krankenpfleger im öffentlichen Gesundheitssystem. Von zuletzt jährlich 7.000 Patienten-Beschwerden sei es nur bei sieben um Verständigungsprobleme gegangen. „Zwei haben sich beschwert, dass mit ihnen Katalanisch gesprochen wurde, fünf hingegen, dass der Arzt Spanisch sprach." In der Praxis gebe es dank der Ähnlichkeit beider Sprachen und mit einem bisschen guten Willen keine Verständigungsprobleme, aber sehr wohl einen Fachkräftemangel, so Pericay.

Der Philologe, Schriftsteller und Journalist, der zwar die Gründung der Ciudadanos in Katalonien mit vorangetrieben hatte, aber erst zu den Wahlen 2015 in die aktive Politik eintrat, erklärt das im ruhigen Duktus eines Universitätsprofessors - und klingt so ganz anders als etwa die feurige Arrimadas. Fehlt es dem Ciudadanos-Frontmann auf den Inseln an Ausstrahlung? Pericay habe eben einen anderen, ruhigeren Charakter, meinen Thyus und Capilla. Mit Blick auf die Wahlen im Jahr 2019 werde es aber ohnehin darum gehen, dass mehr Gesichter der Ciudadanos in der Öffentlichkeit sichtbar seien, damit die Partei als Bewegung wahrgenommen werde.

Erster Deutscher an Bord

Um neue Mitglieder zu gewinnen, gibt es niederschwellige Angebote - Treffen in Cafés, zu denen jeder kommen und Kontakte auf lokaler Ebene knüpfen kann. „Die Menschen sollen sehen, dass es uns nicht nur im Parlament und im Fernsehen gibt", so Thyus. Unter den neuen Mitgliedern sind laut Capilla überdurchschnittlich viele Selbstständige, Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung und junge Leute vertreten. Hoffnung setzt die Partei auf Erstwähler, die keine Lust auf alteingesessene Parteien haben. Und auch bei den EU-Ausländern sieht Capilla Potenzial, wegen der europafreundlichen Politik, aber auch der Position in der Sprachpolitik.

Der erste Deutsche bei den Ciudadanos auf Mallorca dürfte Hans Bacher gewesen sein. Das frühere Mitglied der inzwischen in der Versenkung verschwundenen Zen­trumspartei UPyD ist in der Indus­trie-Kommission aktiv und setzt sich vor allem für die Erneuerung des politischen Systems ein. „Spanien braucht eine neue, vernünftige Partei, die nicht nach links oder rechts ausschert", ist Bacher überzeugt. Was Korruption in einem abgenutzten Zwei-Parteien-System heiße, habe er während vieler Jahre in Venezuela erlebt. Er sei überzeugt, dass sich die Ciudadanos bis zu den nächsten Wahlen gut positionieren und dann hoffentlich mitregieren. „Bis nächstes Jahr werden noch Leute dazukommen", so Bacher zum Rückstand auf den Inseln. „Das kann man nicht forcieren."

Ein Interview mit Xavier Pericay lesen Sie im E-Paper (Ausgabe 928 vom 15. Februar)