Diese Aufnahmen sind in keinem Werbevideo Mallorcas zu sehen: Am Meeresgrund in der Bucht von Palma de Mallorca, dort, wo der Ableiter auf Höhe von Ciutat Jardí endet, quillt aus einem dicken Rohr eine grau-braune Brühe, vermischt sich mit dem Meerwasser und reduziert die Sicht auf wenige Meter. Nicht nur Partikel schweben im ehemals tiefblauen Wasser, auch Kondome und weiterer Müll, der in den Toiletten der Balearen-Hauptstadt Palma de Mallorca heruntergespült wurde.

Das Video ist eines von vielen, das die Initiative Mallorca Blue über die sozialen Netzwerke verbreitet. „Immer wenn es regnet, gelangen sämtliche Abwässer von Haushalten, Krankenhäusern oder Firmen in Palma ins Meer", erklärt ein Sprecher der Plattform, in der sich unter anderem Apnoe-Taucher zusammengetan haben. „Es ist unglaublich, dass eine Stadt mit fast einer halben Million Einwohnern tonnenweise Schadstoffe in die Bucht leitet."

Dass hier Fäkalwasser ins Meer gelangt, ist ein Umstand, den auch die Behörden nicht dementieren. Die Frage lautet vielmehr: Wie oft, in welchem Umfang und wie lange noch? Fakt ist: Bei jedem Regen kommt die veraltete Kläranlage EDAR2 bei Coll d'en Rabassa an ihr Limit, und ein Gemisch aus Regen- und Abwasser fließt über mehrere Ableiter in die Bucht. Sie befinden sich an den Mündungen der Sturzbäche Na Barbara, Gros oder Sa Riera sowie dazwischen.

Studie: Wie schlimm sind die Abwässer für das Poseidongras?

Hinzu kommt: Die Kläranlage kann nur einen Teil des Wassers auch in einer tertiären, also biologischen Reinigungsstufe behandeln - obwohl das eigentlich für die Bucht von Palma als „sensibles Gebiet" vorgeschrieben ist, genauso wie für die Buchten von Alcúdia und Pollença im Nordosten der Insel. Nicht nur, dass hier Badestrände liegen. Hinzu kommt, dass sich das Wasser in einer Bucht wegen des geringeren Austausches mit dem offenen Meer schlechter regenerieren kann. Mallorca verstoße damit gegen Vorgaben aus Madrid und Brüssel, so der Mallorca-Blue-Sprecher.

Investitionen Fehlanzeige

Dass es so weit kommen konnte, liegt wohl vor allem daran, dass Investitionen in die Abwasseraufbereitung viel Geld kosten und kaum politischen Ruhm bringen. Jahrzehntelang wurde nichts oder zu wenig investiert. Während die Stadt immer weiter wuchs, die Zahl der Touristen an der Playa de Palma zunahm und auch die Abwässer der Gemeinden Bunyola, Esporles sowie aus einem Teil von Marratxí im Stadtbezirk bewältigt werden mussten, blieb die in den 60er-Jahren gebaute Anlage EDAR2 auf dem technischen Stand und der Kapazität von 1986. Eine weitere Kläranlage, EDAR1 bei Sant Jordi, wurde immerhin 2005 renoviert.

Zur fehlenden Kapazität der Anlagen kommen Mängel in der Infrastruktur: Vor allem in Häusern der Altstadt, aber auch in der Kanalisation vieler Straßen gibt es keine getrennten Rohre für Regen- und Abwasser. Das Gemisch erweist sich dann als zu viel für EDAR2 - zumal die Kläranlage auch kein Regenrückhalte­becken hat, das als Puffer dienen könnte.

Die Folgen hat Juan Poyatos, Journalist der „Gaceta Náutica", in Form von rätselhaften roten Flecken in der Bucht von Palma exemplarisch zu Gesicht bekommen. Die Sichtung im Sommer 2016 erwies sich als Ansammlung von Cyanobakterien. Sie gelten als Anzeichen für eine ungewöhnlich hohe Anreicherung organischer Verschmutzung, insbesondere mit hohen Phosphat- und Nitratwerten - eine Art Wüste auf dem Meeresgrund, wo früher das für das Ökosystem so wichtige Poseidongras wuchs. „Wenn man das schon mit eigenen Augen sehen kann - stellen Sie sich vor, wie das dann unter dem Mikroskop aussieht", meint Poyatos.

Verhängnis für Seegraswiesen

Wie sich die Abwässer aus den Ableitern auf die Wasserqualität auswirken, hat der Mikrobiologe Jordi Lalucat von der Balearen-Universtität zusammen mit weiteren Forschern analysiert. „Das Abwasser ist der Grund für die Verunreinigung und die Schädigung der Poseidongraswiesen", so Lalucat mit Verweis auf Analysen und Experimente. Die organische Materie setzt sich am Meeresgrund ab. Bakterien bauen sie ab, wobei sie Sauerstoff verbrauchen und toxische Verbindungen wie Schwefelwasserstoff produzieren, die dann den Seegraswiesen zum Verhängnis werden.

Lalucat betont, dass es sich hier um die Folgen für das Ökosystem handle - wie es um die Eignung zum Baden stehe, untersucht das balearische Gesundheitsministerium in gesetzlich vorgeschriebenen, regelmäßigen Analysen. Die Behörden ordnen dann im Fall erhöhter Werte beispielsweise von coliformen Bakterien das Hissen einer roten Flagge als Zeichen für ein Badeverbot an.

„Wir sind uns der Umweltprobleme bewusst, die wir verursachen", sagt Neus Truyols, Chefin von Palmas Stadtwerken Emaya ohne Umschweife. Sie bestätigt im Interview mit der MZ im Prinzip die Bestandsaufnahme der Umweltschützer, relativiert aber die Dimensionen. So betreffe das Problem der Vermischung von Regen- und Abwasser nicht alle, sondern nur rund ein Fünftel der Haushalte in Palma. Dass das Gemisch ins Meer gelange, passiere im Prinzip bei jedem Regenfall, so Truyols, jedoch sei nicht das gesamte Abwasser betroffen. In EDAR2 sei inzwischen die tertiäre Stufe aufgerüstet, sodass zumindest im Normal­betrieb rund die Hälfte der Abwässer ordnungsgemäß geklärt werde. In der Anlage Sant Jordi (EDAR1) sei es das gesamte Abwasser.

Große Projekte geplant

Zugute hält sich die Emaya-Chefin, dass man im Gegensatz zu früheren Regierungen offen mit dem Problem umgehe und bei jedem Zwischenfall umgehend rote Flaggen an den Stränden hisse, noch bevor die Laborwerte erhöhte Konzentrationen von Fäkalbakterien nachweisen. Vor allem aber: Bei den Stadtwerken sind jetzt mehrere ambitionierte Projekte angelaufen, die die Probleme angehen sollen.

Als Erstes soll ab diesem Jahr für knapp 7,2 Millionen Euro ein Rückhaltebecken für EDAR2 gebaut werden, wie die Stadt Palma Ende vergangenen Jahres beschloss. Mit einer Kapazität von 25.000 Kubikmetern könne es das anfallende Wasser zumindest innerhalb der ersten Stunde starken Regens aufnehmen, erklärt Truyols. „Gerade zu Beginn starker Niederschläge schwemmt das Regenwasser viel Schmutz von den Straßen mit."

Damit das Wasser auch zum Rückhaltebecken gelangt, soll für knapp 19 Millionen Euro eine 3,2 Kilometer lange Rohrleitung verlegt werden, die vom Innenstadtring bis zur Kläranlage reicht. Die Rohre mit einem Durchmesser von zwei Metern, die im Schnitt acht Meter unter der Manacor-Straße verlegt werden, sollen Regen- und Abwasser der halben Stadt aufnehmen. „Damit reduzieren wir die Verschmutzung mit organischen Stoffen um rund 500 Tonnen jährlich", so die Emaya-Chefin. In der anderen Hälfte der Stadt seien die Probleme weniger gravierend.

Hinzu kommen weitere Investi­tionen: Eine Million Euro floss 2017 für die Reinigung und Instand­setzung eines Wassergrabens entlang der Promenade der Playa de Palma, der Regenwasser abführen soll, bei Kapazitätsproblemen aber den Schlamm von Jahrzehnten ins Meer ableitete. Weitere sieben Millionen Euro werden für neue Pumpstationen am Paseo Marítimo ausgegeben. Eine solche versagte zuletzt am 16. Februar - einmal mehr floss Fäkalwasser ins Meer. Insgesamt plant Emaya für die nächsten Jahre Investitionen in Höhe von 200 Millionen Euro.

Zweckentfremdete Steuer

Das Geld stammt aus der Abwasser­abgabe, die von allen Haushalten kassiert wird und der Stadt jährlich 30 Millionen Euro einbringt. Der canon de saneamiento darf eigentlich nur für Wartung und Investitionen rund um die Abwasseraufbereitung ausgegeben werden, ist aber in den vergangenen Jahren zweckentfremdet worden. Das Geld für die versäumten Investitionen war also eigentlich vorhanden.

Anders sieht es aus im Fall der überfälligen Modernisierung und Erweiterung von EDAR2 - diese muss das spanische Umweltministerium finanzieren. Das 80-Millionen-Euro-Projekt kommt nun endlich voran, wenn auch langsam. Madrid habe das Bauvorhaben nach einer öffentlichen Ausschreibung jetzt in Auftrag gegeben, so ­Truyols. „Wir haben auch bereits das für die Erweiterung nötige Grundstück erworben." Einen Termin für den Baubeginn gibt es freilich noch nicht.

Dass wegen der bislang mangelhaften Klärung Probleme mit der Zentralregierung drohen, schließt die Emaya-Chefin aus. „Solange uns Madrid keine neue Kläranlage stellt, müssen sie uns auch eine Ausnahmeregelung zugestehen", so Truyols. Das habe man im Übrigen schriftlich vorliegen. Was die EU dazu sagen würde, stehe auf einem anderen Blatt.

Auch wenn die Probleme in der Bucht von Palma am massivsten sind, arbeiten zahlreiche weitere Kläranlagen an Mallorcas Küste am Limit und leiten unzureichend geklärtes Wasser ins Meer. Zufrieden ist man bei Mallorca Blue nur mit EDAR1 auf Höhe von Arenal sowie mit der gerade erneuerten Kläranlage von Alcúdia. Ansonsten gelange weiter im großen Stil Abwasser ins Meer, das nicht die tertiäre Stufe durchlaufen habe.

So schlimm die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte, so gut die Aussichten, wenn die Investitionen dann endlich umgesetzt werden. So hat Mikrobiologe Lalucat im Labor auch untersucht, wie sich die Poseidongraswiesen wieder erholen können. „Ich bin überzeugt, dass das klappen kann, sobald die Verschmutzung aufhört."

Das zeigt auch der natürliche Jahres­zyklus - die Lage bessert sich im Winter, wenn die See aufgewühlter und mit mehr Sauerstoff versorgt wird und auch weniger Abwässer anfallen. Bei seinem letzten Tauchgang im Dezember habe er nur noch verblasste rote Flecken gesehen, so Poyatos. Auch sei nicht alles schuld der öffentlichen Hand. Immer noch entsorgten zu viele Haushalte in der Toilette Medikamente, Reinigungsmittel oder Feuchtigkeitstücher - das müsse sich ändern, egal, ob das Abwasserrohr zur Kläranlage oder ins Meer führt.

Kommentar: Vertrauensvorschuss für eine noch gar nicht grüne Insel