Das Gelage

Eine leicht bekleidete, sonnenverbrannte Frau mit tiefem Ausschnitt reitet rücklings auf einem Spaß-Rodeo, ein Mann mit weißen Beinen schmiegt sich von hinten an sie. Stoßartig reiben sie ihre Körper aneinander - häufiger, als es die wilden Bewegungen des Gerätes erfordern. Die umstehende Menge johlt. Eine Frau im Publikum zieht ihr T-Shirt hoch. Entzückt präsentiert sie den Feiernden ihre Brüste. Ein Betrunkener sieht das als Einladung an, umfasst sie von hinten. "Stag night" steht auf seinem T-Shirt - Junggesellenabschied.

Es ist Freitagnachmittag, 17 Uhr. Obwohl sich das Wetter nass und ungemütlich gibt, ist das Mambos in Magaluf für einige englischsprachige Gruppen auch an diesem Tag der Hotspot für die womöglich letzte Party mit Freunden vor dem Hochzeitstag. Hier ist man sich einig: Junggesellenabschiede wollen gefeiert werden. Und wo geht das besser als fernab der Heimat, auf der "Partyinsel Nummer eins"?

Immer wilder, immer ausgelassener, immer exzessiver werden die stag nights, hieß es jüngst in einem Artikel der britischen Zeitung "The Guardian". Aus netten Abenden mit Freunden seien in den vergangenen Jahrzehnten zügellose Gelage geworden - nicht selten mit dramatischen Folgen. Auf Mallorca sorgte im vergangenen September etwa der Fall eines jungen Engländers für Schlagzeilen. Volltrunken war er vom Hotelbalkon in Magaluf gestürzt, während seine Kumpels weiterfeierten.

Der Spaß

Samstagabend, Bar Chocolate, Cala Ratjada. Mark stellt fünf Biergläser auf den Stehtisch. "Auf uns, auf die Freundschaft", sagt er und seine Kumpels erheben die Gläser. Es ist 22.30 Uhr, doch die Truppe aus Essen scheint noch recht nüchtern zu sein. "Wir haben ja morgen noch einiges vor", sagt Daniel. Er wird es sein, der Mark in rund vier Wochen am Altar beistehen wird - und ist als Trauzeuge traditionell auch derjenige, der den Wochenendtrip auf die Insel organisiert hat. Auf bedruckte Gruppenshirts haben die fünf Freunde verzichtet, auch ein Bauchladen ist nicht zu sehen. Stattdessen stehen Strand, Sonne, lecker Essen und ein bisschen Tanzen auf dem Plan. "Und morgen um zehn Uhr haben wir Mountainbikes gemietet." Peinlichkeiten und Stripshows, das passe einfach nicht zu ihnen. "Nur weil einer von uns heiratet, muss man ja nicht gleich ausrasten", sagt Daniel. "Wir wollten einfach ein paar nette Tage zusammen verbringen. Und Mallorca ist dafür einfach super."

Ob auf der Suche nach maximaler Eskalation oder entspannter Urlaubsatmosphäre - bei vielen Freundesgruppen von ­zukünftigen Brautleuten ist Mallorca ein beliebtes Reiseziel. 2,3 Prozent aller deutschen Junggesellenabschiede werden auf der Insel zelebriert, laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Splendid Research GmbH aus dem Jahr 2017 ist kein anderes Ziel im Ausland bei den Gruppen beliebter.

Carsten Sallmann kann das bestätigen. Vor sieben Jahren gründete er die Firma Lingo Events, ein Unternehmen, das sich von Offenbach aus auf die Organisation von Junggesellenabschieden in Deutschland und im Ausland spezialisiert hat. Mallorca sei aus dem Sortiment nicht wegzudenken, sagt er. Zwar seien Amsterdam und Prag bei seinen Kunden ebenso beliebt wie die Insel. "Aber nach Mallorca fahren natürlich auch viele ohne Reiseveranstalter auf eigene Faust, die einfach nur am Ballermann feiern wollen und nicht auf spezielles Programm aus sind", sagt er. Kneipen-Touren auf der Insel anzubieten, das mache ­keinen Sinn. "In den Megapark und den Bier­könig kommen die Feierlustigen auch ohne unsere Hilfe."

Doch es gebe immer mehr Menschen, die mehr suchten. Etwas Schönes, etwas Außergewöhnliches. "Gerade heutzutage, wo man im Internet seine Erlebnisse teilen möchte." Die Auswahl auf der Homepage von Lingo Events ist groß: Von Wassersport in Pollença oder Cala Ratjada über Paintball in Sa Pobla, Klettern in Santa Ponça und Quadtouren im Inselinneren wird viel Freizeitspaß aufgelistet. Auch Mitbewerber wie Pissup, CrazyJGA und Sunbonoo werben mit vielfältigen Angeboten. "Das Bewusstsein, dass die Insel viel zu bieten hat, steigt", sagt Sallmann.

Abigail Bermejo hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Seit zwei Jahren organisiert die Mallorquinerin von Palma aus mit ihrer Agentur Golden Show despedidas de solteros. Ihre Kunden sind überwiegend Landsleute vom Festland. Es sei eine Entwicklung hin zu mehr Vielfalt und Gruppenaktivitäten, berichtet die 30-Jährige. Flyboard, Spa und Bootpartys statt dem ewigen halb nackt aus einer Torte springenden Stripper lägen im Trend. "Von gemeinsamen Aktivitäten profitieren alle, von Torten-Überraschungen nur der Bräutigam beziehungsweise die Braut", so Bermejo.

Der Alkohol

Und dennoch: Dass hoher Alkoholkonsum weiterhin bei vielen despedidas de solteros dazugehört, ist nicht zu bestreiten: 66 Prozent der deutschen Junggesellenabschieds-Feierer geben in der Umfrage von Splendid Research an, dass Alkohol trinken auf jeden Fall dazugehört, auf Platz zwei und drei folgen "essen gehen" (62 Prozent) und "tanzen gehen" (53 Prozent). 45 Prozent der Befragten geben zudem an, dass zu viel Alkohol getrunken wurde, zwölf Prozent haben einen Platzverweis erhalten.

Auch bei den Angeboten von Golden Show ist barra libre, also ein Festpreis beim Trinken, bei jedem Paket dabei. Planerin Abigail Bermejo erinnert sich noch gut an Gruppen, bei denen das Programm nicht wie geplant stattfinden konnte, weil die Gäste zu betrunken waren und ihnen alles egal war.

Vor allem passiere so etwas, da sind sich Sallmann und Bermejo einig, bei den Briten. "Die wollen oft komplett durchdrehen", sagt der Deutsche. Vielleicht, weil die stag nights in Großbritannien eine viel längere Tradition haben als in Deutschland. "Da ­stecken sie ja praktisch noch in den Kinderschuhen." Während Deutsche meist mit einer Handvoll Leute anreisten, seien es bei den Briten oft Gruppen von 20 Männern oder Frauen. Da sei der Gruppenzwang ebenso hoch wie das Unfallrisiko.

Der Sex

Im Mambos in Magaluf nimmt die wilde Rodeo-Show ihren Lauf. Das britische Pärchen auf dem künstlichen Ochsen wirkt immer enthemmter, die Kleidungsstücke spärlicher. Ein Mann im Publikum schwankt leicht, vom Alkohol benebelt, und lässt dann seine Hose ein Stück he­runter. Sein bestes Stück ist nicht zu übersehen. Wenige Meter entfernt kichern die Teilnehmer einer Frauengruppe und fuchteln wild mit einer nackten ­Gummipuppe herum. Freiheit - auch im sexuellen Sinne - scheint in der angeheizten Stimmung im Mambos dazu­zugehören, nach Verlobungsringen an den Fingern der Feiernden hält hier kaum jemand Ausschau, Treueschwüre scheinen in weiter Ferne. Eine Ausnahme?

Zumindest ein bisschen nackte Haut scheint auch bei Deutschen beliebt zu sein. Während etwa die Hälfte der Kunden von Lingo Events den Besuch von Stripshows ablehne, buche die andere Hälfte Lapdance-Shows oder Strip-Dinner -

Frauengruppen genau wie ­Männer. Dabei gehe es aber gar nicht so sehr um die sexuelle Komponente, sondern vielmehr um Unterhaltung, glaubt Gründer Sallmann. Mit Fremdgehen habe das nichts zu tun. "Und Bordellbesuche organisieren wir generell nicht", stellt er klar. Was letztlich beim Feiern passiert, liege aber natürlich nicht in der Hand der Veranstalter. Laut Statistiken gehen hier 5,8 Prozent der deutschen Junggesellen und 1,6 Prozent der Junggesellinnen fremd.

Auch die Spanier scheinen sich in der Regel mit leicht bekleideten Tänzern zu begnügen. "Die spanischen Mädels sind da verrückter als die Jungs", beurteilt Abigail Bermejo. "Bei Stripshows gehen sie hin, berühren die Tänzer. Die Männer sind da meist zurückhaltender." Im Trend sei auch "Body Sushi" - roher Fisch japanischer Art serviert auf leicht bekleideten Körpern. Nur in seltenen Fällen erreichten sie Anfragen nach mehr. "Genauso gibt es aber auch Fälle, in denen der Bräutigam eine harmlose Stripperin ablehnt, weil er sich unwohl damit fühlt oder es aus Treue-Denken heraus nicht möchte."

Einmal habe sie einen Junggesellenabschied erlebt, bei dem die zukünftigen Eheleute samt Freunden gemeinsam loszogen. Die als Überraschung geplanten Stripper seien da gar nicht gut angekommen. "Meiner Erfahrung nach werden die Abschiede von Braut und Bräutigam nur dann zusammen gefeiert, wenn das Paar generell sehr eifersüchtig ist."

Das Budget

Unterschiede zwischen den Geschlechtern finden sich vor allem beim Budget, das die Gruppenmitglieder bereit sind auszugeben. "Für ein Mallorca-Wochenende geben Männer rund 200 Euro pro Person aus. Das ist Frauen meist zu viel. Deshalb sind 80 Prozent unserer Mallorca-Kunden auch männlich", so Sallmann. Und Frauen seien bei der Planung oft wählerischer. "Bei den Jungs entscheidet der Trauzeuge meist weitgehend allein, die Mädels stimmen oft alles gemeinsam ab. Das macht es natürlich komplizierter."

In Cala Ratjada macht sich die Truppe um Bräutigam Mark und Trauzeuge Daniel auf den Weg in die Disco Bolero gleich nebenan. Mittlerweile ist ihr Alkoholpegel deutlich gestiegen, das Unterhaltungsniveau eher nicht. "Bei uns ist nichts kompliziert. Wir waren schon öfter hier im Ort, wir kennen uns aus, wir brauchten nichts vorher zu planen", sagt Daniel und schwankt ein wenig. Außer die Mountainbike-Tour am nächsten Morgen natürlich. Daniel lacht. "Vielleicht war zehn Uhr morgens doch ein bisschen optimistisch geplant."