Wer in den frühen Morgenstunden vor dem Einsatz der Strandreinigung einen Spaziergänger sieht, der mit starr gesenktem Blick am Meer entlanggeht, hat es höchstwahrscheinlich mit einem Sammler von Meeroliven zu tun. So werden zumindest im Spanischen die Früchte genannt, die das Poseidongras in diesen Wochen abwirft und die zum Teil an den Strand gespült werden. Grün, eiförmig, bis zu einem Zentimeter lang - der Name olivas de mar passt.

Auch wenn sich viele Badegäste dessen nicht bewusst sein dürften - sie begegnen beständig den Elementen der Seegraswiesen, die vom Meeresgrund an den Strand gelangen. Wie Laubbäume werfen die Pflanzen im Jahresrhythmus ihre Blätter ab, die dann ans Ufer gespült werden, mal in Blattform, mal als von den Wellen kugelig verfilzte Meerbälle. Ganze Abschnitte am Es Trenc, an der Playa de Muro oder in Son Serra de Marina sind mit dem Poseidongras bedeckt.

Die Meeroliven dagegen muss man mit der Lupe suchen. „Das Poseidongras treibt nur wenige Früchte", erklärt Jorge Terrados, Leiter des Meeresforschungsinsti­tuts Imedea. Um möglichst viele einzusammeln, hat die Forschungseinrichtung einen Mitarbeiter vollständig zur Suche abgestellt, rund 300 Früchte hat er bislang gefunden. Die olivas de mar werden geöffnet, der Samen entnommen und in Käfigen am seichten Ufer bei Port de Pollença gezogen.

Hier, an der Punta l´Avançada, sprießt derzeit der Bosque Marino, ein „Meereswald", der zeigen soll, wie die bedrohte und ökologisch so wichtige Posidonia oceánica wieder angesiedelt werden kann. Nach kleineren Feldversuchen vor der balearischen Küste wird jetzt in großem Maßstab gedacht. Zwei Hektar groß ist das Gebiet - ein Projekt, von dem der gesamte Mittelmeerraum profitieren soll und das weltweit seinesgleichen suche, so Terrados. Und da die Landesregierung gerade ein ambitioniertes Gesetz zum Schutz des Poseidongrases auf den Weg bringt, setzt der Forscher darauf, dass das Projekt langfristig Früchte trägt.

Die Feinde des Neptungrases

Das Denken in langen Zeitabständen entspricht dem Zyklus des Poseidongrases, das pro Jahr gerade einmal einen bis fünf Zentimeter wächst. Die Zerstörung dagegen geht schnell. Da wären zum einen Yachten, die ihre Anker im Poseidongras ablassen und auf diese Weise Pflanzen herausreißen. Da wären zum anderen die zahlreichen Ableiter von Kläranlagen, über die weiterhin unzureichend geklärtes Abwasser ins Meer gelangt. Während die Landesregierung besonders die Anker im Visier hat, schimpft die Segelbranche über das Abwasser - ein Schwarzer-Peter-Spiel, bei dem die Imedea-Forscher nicht mitmachen möchten: „Beides richtet Schaden an", sagt Terrados. Jeder sollte seine eigenen Probleme in den Griff bekommen.

Denn auf dem Spiel steht der Bestand einer Pflanze, die aus dem ökologischen Gleichgewicht nicht wegzudenken ist. Die Wiesen gelten als das am höchsten entwickeltes Ökosystem des Mittelmeers. Das Poseidongras filtert das Wasser, absorbiert Nitrate, schwächt den Wellengang ab und stabilisiert die Küste. Zugleich bietet es einen wichtigen Lebensraum, in dem sich kleine und mittlere Fische zurückziehen und Nahrung finden könnten. Und schließlich betreibt es genauso wie ein Laubbaum zu Lande, Photosynthese und leistet somit einen fundamentalen Beitrag zum Klimaschutz.

Hilfe von den Kabellegern

Die Posidonia steht also nicht ohne Grund im Fokus der Meeresforscher. Dass die Projekte zur Wiederanpflanzung in Gang kamen, verdankt die bedrohte Art aber ausgerechnet den Stromkabeln, die seit dem Jahr 2007 zwischen den Balearen-Inseln einerseits und dem Festland andererseits verlegt wurden. Da der spanische Netzbetreiber REE seine Kabel dabei auch durch Poseidongraswiesen ziehen musste, kam ein Abkommen mit dem Meeresforschungsinstitut zur Wiederaufforstung zustande. Rund 400.000 Euro flossen dafür im Zeitraum 2013-2016. Vergangenes Jahr wurde dann ein zweites Abkommen über 500.000 Euro abgeschlossen.

Im Vergleich zu den Ankern und den Abwässern richten die Kabel nach Einschätzung des Imedea vergleichsweise geringen Schaden an. Borja Álvarez, Umweltbeauftragter von REE auf den Balearen, verweist nicht nur auf die vorgeschriebenen Umweltgutachten, sondern auch auf den Fortschritt der Technik. So sei etwa vor Santa Ponça ein rund 500 Meter langer Kabeltunnel unter einer Poseidongraswiese gebohrt worden. Vor Talamanca (Ibiza) habe man dann dank neuer Technologien sogar 750 Meter geschafft. „Das hätten wir zu Beginn des Projekts nicht für möglich gehalten."

Es war auch an diesen beiden Orten, an denen das Imedea in der ersten Phase des Projekts zunächst im kleinen Rahmen erprobte, inwieweit sich die Wiesen wieder ansiedeln lassen. Beispiel Santa Ponça: 2015 und 2016 wurden jeweils 240 Pflanzenfragmente, die nach Stürmen am Strand aufgesammelt worden waren, am Meeresboden eingesetzt - nicht direkt in den sandigen Untergrund, sondern in kleinen Substratkissen, die in einem Abstand von 15 bis 25 Metern ausgebracht wurden. Eine geringe Menge, aber „es ging uns nicht um die Fläche, sondern um das Prozedere der Anpflanzung", erklärt Biologin Inés Castejón vom Imedea.

Von diesem Wissen profitiert nun der bosque marino in der Bucht von Pollença. Er unterscheidet sich nicht nur durch seine Größe von den bisherigen Feldversuchen. Von Poseidongras war zuvor nichts mehr zu sehen. Erst die Analyse des Bodens und der Fund von Rhizomen, wie das Sprossachsensystem der Wurzeln genannt wird, brachte die Forscher auf die Spur, dass es auch hier früher Wiesen gegeben haben muss.

Im Gegensatz zum sandigen Untergrund vor Santa Ponça, wo viele Pflanzen von Wellen herausgerissen wurden, sind die Überlebenschancen der Setzlinge in Pollença besser. Hier fließt kein Abwasser ins Meer, und da die Anpflanzung im militärischen Sperrgebiet liegt, sind die Biologen und die Pflanzen auch von Booten ungestört. Das spanische Verteidigungsministerium stellt den Forschern Räumlichkeiten zur Verfügung. Profitieren dürfte das Projekt zudem durch das geplante Landesgesetz, das den bosque marino speziell unter Schutz stellen soll.

Wo in vielen Jahrzehnten wieder Poseidongraswiesen wogen könnten, findet sich bislang nur ein Fleckenteppich. Gepflanzt wird seit einigen Monaten, zunächst mit der erprobten Methode der Pflanzenfragmente, von denen inzwischen rund 1.800 ausgebracht worden sind. Nun beginnt das gleiche Spiel mithilfe der Samen aus den Früchten. 2019 soll dieser Rhythmus dann wiederholt werden und die Zahl der Poseidonflecken immer weiter steigen. Wobei die Geschwindigkeit von der Menge des verfügbaren Pflanzmaterials abhängen wird.

Eine Art „lebendes Labor"

„Das erste Jahr wird entscheidend sein", meint Terrados. „Wir hoffen, dass die Segmente am Meeresboden mit der Zeit zusammenwachsen und so eine Art lebendes Labor entsteht." Denn die Biologen haben nicht nur die Pflanzen im Blick, sondern auch das sich wieder bildende Ökosystem. Lassen sich etwa vermehrt Fische im bosque marino beobachten?

Prinzipiell wäre ein solcher Prozess der Regeneration zwar auch ohne menschliches Zutun denkbar. Doch das ginge extrem langsam vonstatten. Die Zahl der Früchte in den Wiesen ist gering - auf zehn Quadratmeter kommt im Schnitt nur eine Blüte -, und so eine oliva de mar muss sich dann auch im richtigen Moment öffnen, um ihre Samen freizugeben. Ohnehin aber vermehrt sich das Neptungras vor allem vegetativ über die Verzweigungen des Rhizoms am Meeresgrund. Ist eine Wiese erst einmal zerstört, wächst sie nicht einfach nach.

Die Aufforstung scheint zwar möglich, wird aber teuer und langwierig. Umso wichtiger ist der Schutz der bestehenden Poseidongras­wiesen. Die immer wieder versprochene Aufrüstung von Kläranlagen ist ein langwieriges und teures Unterfangen. Immerhin noch in diesem Jahr soll das geplante Schutzdekret in Kraft treten, das auf der Basis eines landesweiten Gesetzes von 2007 unter anderem verstärkte Kontrollen von ankernden Yachten vorsieht. Die Sanktionen sollen dann erstmals auch ausgesprochen werden. Darüber hinaus legt das Umweltministerium weiter Bojenfelder an, an denen die Boote festmachen können.

Das von REE finanzierte Projekt sieht im Übrigen nicht nur die Wiederaufforstung der Wiesen vor, sondern fördert auch Schulprojekte und Kampagnen. „Wir haben vergangenes Jahr 40.000 Info-Blätter an Skipper verteilt", so Álvarez - aus wasserfestem Material. Und auch die Strandbesucher müssten eigentlich besser aufgeklärt werden, um das Poseidongras am Strand zu schätzen, statt irrtümlich über stinkende Algen zu schimpfen. „Wo viele Blätter angeschwemmt werden, gibt es auch viele Wiesen vor der Küste und somit ein intaktes Ökosystem", erklärt Terrados. Die Behörden sollten deswegen in ihrer Tourismuswerbung auch das Poseidongras in all seinen Facetten zeigen, statt nur mit Fotos von geleckten Stränden Werbung zu machen, die eher an die Karibik als ans Mittelmeer erinnern.