Zwei Spiele, zwei Siege. Wenn es stimmt, dass der Anfang immer am schwersten ist, darf Spaniens Nationaltrainer Vicente del Bosque das dritte WM-Qualifikationsspiel in Estland am Samstag (11.10.) gelassen angehen. Der Fußball-Europameister liegt auf Kurs Richtung WM in Südafrika, und Del Bosques Befürchtung, nach dem glamourösen Sieg bei der Europameisterschaft in der Schweiz und Österreich könnte sich der Schlendrian ins Team einschleichen, hat sich nicht bewahrheitet. Die Elf hat nichts von ihrer Homogenität und ihrer Entschlossenheit verloren. Und das ist auch ein Verdienst des 57-Jährigen, der darauf verzichtet hat, dem Team bedingungslos seinen Stempel aufzudrücken, nur um in der Öffentlichkeit als neuer Chef an der Seitenlinie wahrgenommen zu werden.

Del Bosque lässt die Spieler an der langen Leine, Das zeigt sich manchmal an Kleinigkeiten: Seit er das Sagen hat, gibt es auf dem Frühstückstisch auch wieder Croissants, die auf dem Speiseplan bei Aragonés nicht zu finden waren. ýIch habe versucht, mich mit den Spielern vertraut zu machen, ohne ihnen das Gefühl zu geben, dass da jetzt jemand kommt und komische Dinge von ihnen fordert", erklärte der ýbescheidene Gewinner", wie ihn jüngst ýEl País" nannte, in einem Interview mit der Zeitung.

Das wäre freilich auch nicht sein Stil gewesen. Del Bosque, der zwischen 1999 und 2003 mit Real Madrid zahlreiche Titel gewann, darunter zwei in der Champions League, war nie der große Zampano, sondern eher ein leiser besonnener Vertreter seiner Zunft. Das kam nicht immer gut an. Weil er für Reals Ex-Präsident Florentino Pérez zu bieder daherkam, musste er gehen, obwohl er das Team zuvor noch zur Meisterschaft geführt hatte. Er passte nicht mehr ins Konzept der ýGalaktischen", die gerade den Superstar David Beckham verpflichtet hatten und die Mannschaft wie eine Gruppe von Popstars vermarkteten. Statt Del Bosque wurde die Leitung des Teams dem Portugiesen Carlos Queiroz anvertraut, der vor allem die weiblichen Real-Fans verzücken sollte. Doch musste dieser nach nicht einmal einem Jahr wieder die Koffer packen. Viele trauerten damals dem vermeintlichen Biedermann nach.

Del Bosque gilt also als weich, und er weiß um das Bild, dass die Außenwelt von ihm hat. Doch ändern wird er sich nicht. ýJeder hat seinen Stil. Wenn ich vorgeben würde, jemand anderes zu sein, wäre das fatal", sagt er. Er setzt auf Menschlichkeit: ýDie beste Art und Weise, Menschen zu führen", sagt er.

Vielleicht hat sich der Verband auch deshalb für ihn als Nachfolger von Aragonés entschieden, weil er so ganz anders ist als sein Vorgänger. Der Europameister-Trainer war nicht leicht zu handhaben und ging auch noch nach dem gewonnenen Endspiel von Wien Verbandspräsident Villar und Sportdirektor Fernando Hierro aus dem Weg. Beiden warf er vor, hinter seinem Rücken bereits einen Nachfolger für ihn gesucht zu haben, obwohl er sich noch nicht über den weiteren Verlauf seiner Karriere entschieden hatte. Als Aragonés jüngst bei einem Uefa-Kongress geehrt wurde, sprach er mit der spanischen Delegation kein Wort - auch mit Del Bosque nicht.

Aragonés hat ihm ein schweres Erbe hinterlassen. Nicht nur weil er mit dem Titel die Messlatte sehr hoch legte. Zurück ließ er auch das ungelöste Problem Raúl. Madrids Stürmer, der ein Jahrzehnt die Nationalelf Spaniens prägte, wurde von Aragonés vor der EM aussortiert, weil er glaubte, Raúls Position sei so mächtig, dass seine Youngsters sich neben ihm nicht entwickeln könnten. Der Erfolg gab ihm recht.

Doch noch immer hat der Mannschaftskapitän Madrids seine Anhänger im Verband. Nicht zuletzt Sportdirektor Fernando Hierro. Er ist nicht nur mit Raúl eng befreundet. Hierro ist auch der Patenonkel eines seiner Kinder und würde es gerne sehen, wenn sein ehemaliger Mitspieler wieder eine neue Chance bekäme.

Del Bosque hat das Dilemma bisher gut gelöst, indem er die Rückkehr des Madrilenen nicht gänzlich ausschloss. Er macht sie von dessen Leistung bei Real Madrid abhängig - mit der sich Raúl bisher noch nicht aufdrängen konnte. Von den heutigen Nationalspielern hat Del Bosque nur Torwart Iker Casillas als Vereinstrainer betreut, in dem er nun einen Schlüsselspieler der selección sieht.

Nach seinem Rauswurf bei Real Madrid arbeitete Del Bosque ein Jahr als Trainer bei Beşiktaş in der Türkei. Als Nationaltrainer von Mexiko hätte er zwei Millionen Dollar pro Jahr verdienen können - dreimal so viel wie ihm der spanische Verband zahlt. Doch Del Bosque lehnte das Angebot ab, weil er ahnte, dass die Ära Aragonés in Spanien nach der EM zu Ende gehen würde.

Sein Vertrag geht bis zur Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika, wo er mit seinem Team Großes vorhat. Bei diesem Thema legt er ausnahmsweise auch schon einmal seine Zurückhaltung ab: ýWir dürfen uns jetzt nicht mit dem EM-Titel zufriedengeben, sondern müssen Höheres anstreben", sagt er und meint damit Spaniens ersten Titel bei einer WM.