Úrsula Pueyo fürchtet eigentlich nur eine Gegnerin auf dem Weg zu Edelmetall: sich selbst. „Ich muss meinen Ehrgeiz kanalisieren und darf mich selbst nicht so unter Druck setzen", sagt die 26-jährige Mallorquinerin aus Esporles. Vom 12. bis 21. März wird sie als erste Sportlerin der Balearen überhaupt an den Olympischen Winterspielen für Behinderte in Vancouver teilnehmen. Die alpine Skifahrerin startet in Whistler in den Disziplinen Slalom, Riesenslalom und Super G und rechnet sich auch Chancen auf eine Medaille aus – obwohl sie erst vor sechs Jahren mit dem Skifahren begann.

Als 15-Jährige hatte Úrsula Pueyo einen schweren Unfall mit einem Motorroller. Ein Autofahrer übersah sie beim Überholen und erwischte ihr Zweirad frontal. Úrsula Pueyo wurde durch den Aufprall so schwer verletzt, dass die Ärzte ihr rechtes Bein amputieren

mussten. Bis zu jenem Tag war sie eine begeisterte Volleyballerin gewesen. „Sport hatte immer einen hohen Stellenwert in meinem Leben", sagt sie.

Erstmals stellte sie sich bei einem gemeinsamen Urlaub mit Freunden in der Sierra Nevada auf die Bretter. Das war 2004. Pueyo war auf Anhieb begeistert. „Ich hatte zuvor noch nicht einmal Schnee aus der Nähe gesehen, wusste aber gleich, dass dies eine neue Herausforderung war, die mein Leben verändern würde." Sie traf die Entscheidung, in den Bergen zu bleiben, und suchte sich einen Job in einer Skischule in der Sierra Nevada, um auf den Brettern weiter an ihrer Technik feilen zu können. Nur drei Jahre später wurde das Bewegungs­talent erstmals ins spanische Nationalteam berufen. Ihren Job in der Skischule kündigte sie, um sich ganz auf ihre sportliche Karriere konzentrieren zu können. „Manchmal bietet dir das Leben solche Chancen. Ich bin das Risiko eingegangen und habe es bisher nicht bereut." Mittlerweile ist sie in der Nationalmannschaft eine feste Größe geworden. Vor allem im Slalom, ihrer technisch anspruchsvollen Lieblingsdisziplin, gehört Úrsula Pueyo zu den stärksten Fahrerinnen im Olympiaaufgebot.

Am 6. März fliegt sie nach Vancouver, wo sie mit der Mannschaft im olympischen Dorf Quartier bezieht. Dann bleiben ihr noch zehn Tage Zeit zur Eingewöhnung. Der erste große Wettbewerb startet mit dem Super G am 12. März. Danach folgen der Riesenslalom (18. März) und der Slalom (20.März). Auf den Slalom freut sie sich besonders. „Wenn ich nicht verkrampfe, kann ich da weit kommen", hofft sie. Der Slalom sei vor allem eine Kopfsache. Beim Europacup in La Molina bei Gerona wurde sie Ende Januar in dieser Disziplin bereits Vierte.

Úrsula Pueyo trainiert den ganzen Winter über in Baqueira Beret im Tal von Arán in den Pyrenäen. Besonders im vorolympischen Winter hat sie ein straffes Programm absolviert. Tag für Tag steht sie auf der Piste. Von morgens 8 Uhr bis mittags um 13 Uhr. Am Nachmittag geht sie dann noch einmal zusätzlich in den Kraftraum. Ähnlich wie die nichtbehinderten Sportler nahm sie europaweit an zahlreichen Weltcup-Rennen teil, bei denen sie sich für die Spiele qualifizieren musste.

Pueyo gehört zu den 38 Hochleistungssportlern, die von der Balearen-Regierung finanziell unterstützt werden. Mit 20.000 Euro pro Jahr liegt sie in etwa im Mittelfeld. Athleten wie der Radsportler Toni Tauler oder das Motorrad-Ass Jorge Lorenzo beziehen das Dreifache an Förderung. Aber Pueyo beklagt sich nicht. Auch nicht darüber, dass dem Behindertensport in den Medien und in den öffentlichen Institutionen im Allgemeinen nur recht wenig Beachtung geschenkt wird. „Die Opferrolle liegt mir nicht. Sie bringt einen nicht weiter", sagt sie.

In der Printausgabe vom 25. Februar (Nummer 512) lesen Sie außerdem:

– Ein Tag mit Rafael Nadal

– Torflaute in Real Mallorcas Sturm