Mit dieser Gruppe von Wanderern stimmt etwas nicht. Vom Dörfchen Deià aus brechen sie an diesem Ostersonntag zu ihrer Bergtour auf – knapp eine Stunde vor Sonnenuntergang. Und dann die Ausrüstung – Hightech-Teleskop-Stöcke, die nur ein paar Gramm wiegen, hautenge Läuferhosen, Sport-Rucksäcke mit Trinkschlauch. Die Gruppe hat es zudem eilig – los geht es mit großen, schnellen Schritten, und schon wird ins Jogging-Tempo gewechselt. Es ist das letzte Training vor diesem Wochenende. Dann wird es ernst, beim „Ultra Trail Serra de Tramuntana": 103,5 Kilometer quer durch Mallorcas Gebirge, über 4.220 Höhenmeter, los geht es in Pollença um 0 Uhr in der Nacht auf Samstag. 24 Stunden später müssen alle in Andratx sein. 200 Wagemutige haben sich angemeldet, es gibt eine Warteliste. „Dafür, dass wir kaum Werbung gemacht haben, ist die Nachfrage enorm", sagt Organisatorin Esther Vidal.

Der „Ultra Trail" findet in diesem Jahr offiziell zum zweiten Mal statt. Was mit Routen-Beschreibungen in Internetblogs, Touren im Freundeskreis und einem ersten Versuchslauf im vergangenen Jahr begann, wird allmählich zu einem Event für Extremsportler. Führte die Route im vergangenen Jahr von West nach Ost, wird dieses Jahr in Pollença gestartet. Von dort geht es über Lluc, Sóller, Esporles und Estellencs bis nach Andratx. „In meinen Träumen bin ich die Route schon drei Mal gelaufen", sagt Samuel Alonso. Eigentlich ist er Mountain-Biker, aber ein Freund hat ihn überredet mitzumachen. Für den 41-Jährigen sind die 833 Höhenmeter in einer Stunde 12 Minuten hinauf zum Es Teix an diesem Ostersonntag wie auch für die anderen in der Gruppe nur ein Warm-up. Samuel kämpft allerdings mit einem Handicap: Sein Wohnort ist Valldemossa – er muss deswegen gegen die Versuchung ankämpfen, vorzeitig bei Kilometer 80 quasi direkt zu Hause einzubiegen, wie er sagt. Samuel rechnet mit allem, mit Krämpfen, Übelkeit, Verletzungen, seine Frau habe ihn für verrückt erklärt. Aber was soll´s. „Es gibt keinen besseren Weg um zu spüren, dass man am Leben ist."

Auf ein Preisgeld kann ohnehin niemand hoffen – das würde der Idee des „Ultra Trails" widersprechen, sagt Dani Salas, der für die technische Vorbereitung des Laufes zuständig ist. Die Organisatoren wollen den „Ultra Trail" vor allem mit dem Stichwort Nachhaltigkeit vermarkten: So ist das Markierungsband, das die knapp 60 Helfer in Abständen von rund hundert Metern anbringen, bio­logisch abbaubar. Die Läufer werden mit Sóller-Orangen, Mandeln und anderen lokalen Produkten versorgt. Und die Fahrzeuge, die das Gepäck der Läufer ans andere Ende der Insel fahren, seien emissionsarm. Als Problem hat sich hingegen erwiesen, dass sich in Zeiten der Krise viele Gemeinden knauserig beim Sponsoring gezeigt hätten – bis auf die Gemeinde Andratx, die für die strapazierten Läufer sogar das Schwimmbad öffnet. Änderungen waren zudem im Streckenverlauf erforderlich, weil einige Besitzer von Ländereien ihre Tore nicht für die Läufer öffnen wollten.

Aber auch so geht es nicht ohne klettern – auf dem Stück zwischen Deià und Valldemossa müssen an mehreren Holztoren Stiegen passiert werden. „Tronco!", schallt es von vorne, die Läufer warnen sich gegenseitig vor Baumstämmen, die in den Weg ragen. Die untergehende Sonne wirft schräg ihr Licht durch die Blätter der Steineichen. Der Blick ist auf die Steine im Weg gerichtet statt auf die Aussicht auf Meer und Steilküste. Die letzten Höhenmeter wird dann noch mal angezogen – um gerade noch zu sehen, wie die Sonne verschwindet. Der Wind, der hier oben aufkommt, fühlt sich auf der schweißnassen Haut doppelt kühl an. Es wird schnell dunkel. „Die Nacht in der Tramuntana werden einige Läufer sicherlich unterschätzen", sagt Salas. Das Organisationsteam rechnet damit, dass nur knapp zwei Drittel der Teilnehmer ins Ziel kommen – bei schlechtem Wetter nur die Hälfte. Wer die Strecke in 24 Stunden schaffen will, muss zumindest in der Ebene und bergab Gas geben. Der Gewinner 2009, Toni Roldan, brauchte nur 15 Stunden und 12 Minuten.

Weibliche Teilnehmer gab es 2009 keine, in diesem Jahr gehen beim „Ultra Trail" elf Frauen an den Start. Eine von ihnen ist Carmen Morey, sie hat mit ihrer Gruppe die vergangenen Wochenenden jeweils 30 bis 40 Kilometer zurückgelegt, auch nachts. „Wir wollen es in 20 Stunden schaffen", sagt die 30-Jährige. Mit dem gleichzeitig stattfindenden „Petit Trail" über 53 Kilometer und maximal 15 Stunden wollte sie sich nicht zufriedengeben. Eine Motivation für viele einheimische Läufer ist, dass endlich ein derartiges Event auf der eigenen Insel stattfindet. Viele auch ältere Sportler hätten ihre Sportschuhe wieder aus dem Schrank geholt, sagt Salas. Aber auch von außerhalb kommen mehr als 80 Teilnehmer, darunter ein halbes Dutzend Deutsche. Unter den Läufern seien auch viele Triathleten, die den kameradschaftlichen Berglauf den immer härter umkämpften internationalen Wettbewerben vorzögen. Nebenbei können Qualifizierungspunkte für den „Ultra Trail du Mont Blanc" gesammelt werden – der geht über 166 Kilometer. So ist auch für José Manuel López der „Ultra Trail" auf Mallorca eher eine Aufwärmübung, bevor es zum „Iron Man" nach Frankfurt und danach hoffentlich nach Hawaii geht. Der 39-jährige Sozialarbeiter plant weitere extreme Leistungen auf den Balearen. Für eine gute Sache will López diesen Sommer Menorca mit dem Fahrrad umrunden, dann 50 Kilometer bis nach Mallorca schwimmen, 110 Kilometer von Capdepera bis Santa Ponça laufen und schließlich im Kanu bis Ibiza paddeln.

Aber auch beim „Ultra Trail Serra de Tramuntana" ist für Adrenalin gesorgt. Es wird vor allem bergab ausgeschüttet, wenn es wie an diesem Ostersonntag im Dunkel der Nacht stolpernden Schritts über Steine und Wurzeln Richtung Valldemossa geht. Der Atem kondensiert im ruckelnden Schein der Stirnlampe, immer wieder rutscht jemand fast aus – aber bremsen ist anstrengender, als es laufen zu lassen. Zur Sicherheit werden rote Rückstrahler umgeschnallt. Alle Teilnehmer sind außerdem gegen Unfälle versichert. Besorgte Familienmitglieder erhalten eine SMS, wenn die Läufer mit ihren Funkchips Zwischenziele passieren – sowie eine Hochrechnung über voraussichtliche Zwischenzeiten, um vor Ort rechtzeitig anfeuern zu können. Das sei wichtig, wie die Organisatoren betonen. „Die Läufer werden es brauchen."

Anfeuern und mitfiebern

Wer die Läufer am Samstag (10.4.) anfeuern will, kann sich an der 103,5 Kilometer langen Strecke postieren: Start in Pollença (Refugi de Romà,

0 Uhr), Lluc (Santuari de Lluc, 1.20 bis 3 Uhr), Font des Noguer

(3.45 bis 7 Uhr), Sóller (Plaça Constitució, 5 bis 9.20 Uhr), Deià (Refugi Can Boi, 6 bis 11 Uhr), Valldemossa (Plaça Bartomeu Estaràs,

7.30 bis 14 Uhr), Esporles (Plaça Constitució, 8.45 bis 16 Uhr), Estellencs (Ses Cotxeries 10.20 bis 19.20 Uhr), Andratx (Gemeindesportzentrum, 12.30 bis 23.40 Uhr). Der „Petit Trail"

(52,5 Kilometer) startet um 8 Uhr in Deià (C/. Arxiduc Lluís Salvador, 12) und endet um 23 Uhr ebenfalls in Andratx.

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