Einsam, verlassen, menschenleer: Es gibt so einige Adjektive, die die winterliche Stimmung an Mallorcas Stränden widerspiegeln. Nur in Son Serra de Marina ist zwischen Oktober und Juni Hochsaison. Dann verwandelt sich der eineinhalb Kilometer langen Küstenabschnitt am östlichen Rand der Bucht von Alcúdia in ein Mekka für Wochenend-Ausflügler, Individualtouristen, Hippies, Naturfreaks, Surfer, Beachboys, FKK-Fans, Hundeliebhaber und hoffnungslose Romantiker.

Zwei von ihnen heißen Nadine und Andreas. Seit einer Stunde lassen sich die beiden auf kurzen Surfbrettern und von 30 Meter über ihren Köpfen rauschenden Kite-Schirmen durchs Wasser ziehen. Jede Welle ist eine Rampe, auf der die beiden Deutschen mehrere Meter in die Höhe schießen, um nach der Landung Gischt spritzend weiter über die See zu rasen.

Und sie sind nicht allein. Fast ein Dutzend bunter Drachenschirme gleitet seit dem frühen Vormittag am östlichen Rand von Son Serra über den blauen Himmel. Es ist einer der beliebtesten Hotspots für die seit Jahren wachsende Kite- und Surf-Community auf Mallorca. „Der Wind bläst hier oben einfach verdammt gut. Gerade wer Wellen mag, kommt auf seine Kosten", sagt Andreas, der ebenso wie Nadine seit sieben Jahren fast jedes Wochenende dort ist, um mit den Naturkräften ein wenig zu spielen.

Regelrecht süchtig nach dem Adrenalin-Kick auf dem Wasser ist der Brite Nick, den es vor sieben Jahren aus der Grafschaft Devon im Südwesten Englands an die Nordostküste Mallorcas zog. „Natürlich kann man auch bei mir daheim sehr gut Wellenreiten. Aber es macht unter der mediterranen Sonne einfach mehr Spaß. Gerade im Winter", sagt der 28-Jährige, der auf der Insel für einen britischen Yachthersteller tätig ist.

Als er zum ersten Mal nach Son Serra de Marina kam, sei er sofort hin und weg gewesen. „Der Ort ist einfach cool, es gibt hier keine Hotels, kaum Touristen, alles wirkt verlassen und das macht wohl auch den Reiz aus."

Tatsächlich scheint in Son Serra der Hund begraben zu sein. Außer im Juli und August, wenn sich einheimische und ausländische Apartmentbesitzer für ein paar Wochen hier niederlassen, wirkt der kleine Ort ausgestorben wie eine Geisterstadt. Drei Restaurants und zwei Tante-Emma-Läden sind die einzigen Alternativen, um die Zeit nicht entweder im Wasser, am Strand oder beim Spaziergang durch die Dünen zu verbringen.

Doch es gibt auch einen gesellschaftlichen Dreh- und Angelpunkt. Denn so wie sich die Welt um die Sonne dreht, so dreht sich das Leben in Son Serra um „El Sol", die angesagteste Chill-out-Bar am scheinbaren Ende der Welt. Da, wo die Zivilisation aufhört und der weitläufige, vor Jahren zum Naturschutzgebiet erklärte Dünenstrand beginnt.

„El Sol" erinnert dabei in gewisser Weise ans „Restaurant am Ende des Universums" aus der Freak-Trilogie „Per Anhalter durch die Galaxis" von Douglas Adams, in dem man mitunter jegliches Raum- und Zeitgefühl verliert – spätestens bei einem Sundowner auf der Terrasse. Und wenn sich dort am Abend dann auch noch das Rauschen von Wind und Wellen mit sanften Chill-out-Klängen vermischt, ja spätestens dann rücken das „El Sol" und sein ibizenkisches Pendant „Café del Mar" ganz eng zusammen.

„Wir haben den Laden vor sechs Jahren erst so richtig aufgepeppt, ihm das chillige Ambiente verpasst, das ihn heute kennzeichnet", sagt Frederico, der das „El Sol" zusammen mit einer attraktiven Truppe aus etwa 15 Kellnern und Kellnerinnen an 365 Tagen im Jahr betreibt. „Wegen uns setzen sich sogar Leute aus Andratx ans Steuer, um hier rauf zu fahren", sagt der gebürtige Baske mit akzentfreiem Deutsch nicht ohne Stolz.

Er selbst lebte viele Jahre zuvor in Berlin, betrieb dort anfangs eine Disco, später ein Restaurant. Irgendwann strandete er auf Mallorca und entschloss sich, ganz auf der Insel zu bleiben. „Es gibt schlimmere Ecken auf der Welt", sagt er mit dem für ihn typischen schelmischen Lächeln.

Was die Leute denn seiner Meinung nach am „El Sol" so fasziniert? „Bei uns gefällt ihnen einfach alles: das Essen, die Musik, die Stimmung und die Aussicht." So einfach ist das. Auf den Tisch kommt bei Frederico jedenfalls hauptsächlich italienische Kost.

Neben Pizza und Pasta wird frischer Fisch und Fleisch serviert, die Preise sind durchaus moderat, die Bedienung ist je nach Gästetyp freundlich reserviert oder charmant kumpelhaft, aber stets zuvorkommend. Besonders beliebt ist auch die samstagabendliche Pizza-Flatrate-Aktion. Für 8 Euro heißt das Motto ab 19 Uhr nämlich „All you can eat". Es darf gegessen werden, bis der Arzt kommt.

Zu den Stammgästen im „El Sol" gehört auch Stefan, der im zehn Kilometer entfernten Santa Margalida wohnt. Neben dem Wellenreiten, dem der Regionalleiter eines österreichischen Radreiseanbieters seit etwa fünf Jahren mit Haut und Haaren verfallen ist, zieht es den Deutschen auch wegen seiner hier ansässigen Freundin Uli nach Son Serra. „Wir sind hier schon so etwas wie eine kleine Familie und von diesem Ambiente lassen sich auch auswärtige Besucher gerne anstecken", sagt Stefan, der dank Waschbrettbauch und strammer Oberarme locker auch als Model für die neue Bademode-Saison durchgehen könnte.

Dabei gehören Protzen und Zurschaustellerei genauso wenig zu Son Serra wie eine Rolex an den Arm von Amy Winehouse. Statt mit Porsche- und Ferrari-Modellen wie in Portals oder Port d´Andratx füllt sich der Parkplatz am Strand von Son Serra eher mit Kombis, Vans und Campingbussen, an denen spanische, deutsche oder britische Kennzeichen kleben und in denen es fast immer reichlich Platz für Surfboards, Segel, Kites und Masten gibt. Tarifa lässt grüßen.

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