Deutschland scheint ein Paradies für mallorquinische Sportler zu sein. Nicht selten schließen sich Elite-Athleten verschiedener Sportarten von der Insel deutschen Teams in der höchsten Liga an. Da gibt es den regen Austausch des Turnvereins Xelska mit dem Club Tittmoning in Oberbayern. Da gibt es den mallorquinischen Ringer Vicente Lillo, der ausgiebig in der deutschen Liga kämpfte. Und da gibt es seit diesem Jahr Fabián González, einen bescheidenen jungen Mann, der mit 22 Jahren schon viel erreicht hat.

Der Mallorquiner ist Spaniens derzeit wohl bester Kunstturner. Bei den Olympischen Spielen 2012 in London landete er zwar mit Platz 9 nicht in der Nähe der Medaillen­ränge. Doch kein anderer Landsmann schaffte es, sich vor ihm zu platzieren.

Dieser González also tritt seit diesem Jahr für den Kunstturnverein (KTV) Obere Lahn im mittelhessischen Biedenkopf an. Das Kleinstädtchen mit seinen schiefergedeckten Häusern und den dichten Wäldern des Marburger Hinterlandes ist so ziemlich das genaue Gegenteil von Mallorca. Doch in Biedenkopf wächst turntechnisch zurzeit etwas Großes heran. Der KTV Obere Lahn, gerade mal seit eineinhalb Jahren in der Turner-Bundes­liga, schickt sich an, diesen Sport in Deutschland über die nächsten Jahre zu dominieren. Der 1991 gegründete Club stieg in den vergangenen Jahren achtmal auf und steht inzwischen auf dem ersten Platz in der Bundesliga. Ein Wettkampf und das Liga-Finale sind noch zu absolvieren. „Wir haben diesen Erfolg durch eine langfristige und konsequente Jugendarbeit geschafft", erzählt Teammanager Philipp Wiemers.

Mindestens genauso wichtig für den Erfolg sei aber auch das Zugpferd des Vereins, der Wetzlarer Kunstturner Fabian Hambüchen. Der 26-jährige Silbermedaillengewinner von London ist Deutschlands Aushängeschild im Turnsport schlechthin und tritt seit der vergangenen Saison für den KTV Obere Lahn an. Durch Zufall. Wiemers, der früher selbst aktiv turnte, ist der gleiche Jahrgang wie Hambüchen. Man kannte sich, und schnell war der Kontakt wieder hergestellt. Dazu kam die räumliche Nähe von Biedenkopf zu Hambüchens Heimat Wetzlar.

Und wenn schon mal so einer wie Hambüchen im Team steht, dann müssen natürlich weitere große Namen verpflichtet werden. Denn das Budget gab es her. Wiederum ein Zufall half dabei, Fabián González in die hessische Provinz zu locken. Ein Freund von Wiemers aus Kiel, der nach Mallorca ausgewandert war und hier ein Restaurant eröffnet hatte, trainierte in derselben Halle in Palma wie González. So wurde er auf den mallorquinischen Turner aufmerksam und legte ihn Wiemers nachdrücklich ans Herz. „Wir haben Fabián ausfindig gemacht, und er zeigte sich sofort interessiert", sagt Wiemers.

Der Mallorquiner ist sehr dankbar für die Möglichkeit, in Deutschland antreten zu können. „In Spanien haben wir leider keine Liga, da können wir nur ein paar Mal im Jahr bei Meisterschaften turnen", erklärt González. Regelmäßiger Wettbewerb sei aber natürlich viel nachhaltiger. „Außerdem ist es super, dass man in der Liga Mann gegen Mann turnt. Bei Welt- oder Europameisterschaften turnt jeder für sich und sammelt Punkte. Aber das ist für Sportler wie Publikum nicht annähernd so interessant."

González gerät ins Schwärmen, wenn er von seinen Einsätzen in Biedenkopf erzählt. Dass die Atmosphäre in Deutschland bei den Wettkämpfen einzigartig sei - etwa 1.500 Zuschauer kommen regelmäßig in die Halle -, und das Niveau der Liga erstaunlich hoch. Der Mallorquiner hat mit Andrey Likhovitskiy eine internationale Größe als direkten Konkurrenten. Da nämlich pro Gerät - sechs gibt es insgesamt - nur ein nicht-deutscher Sportler antreten darf, muss sich González die Disziplinen mit dem Russen teilen. Der ist - wie González - einer der weltbesten Athleten am Barren, deshalb muss der Mallorquiner hin und wieder zurückstecken und Likhovitskiy ranlassen. Hambüchen dagegen startet an allen Geräten.

Doch Neid gibt es da bei González nicht. „Nein, er zeigt mir ja auch vieles. Wir sind zwar im Verein und vor allem bei internationalen Wettkämpfen Rivalen, aber uns verbindet auch eine enge Freundschaft. Der eine feuert den anderen an." Und so ist auch „Turnfloh" Hambüchen voller Lob über seinen mallorquinischen Teamkollegen: „Fabián ist ein super sympathischer Typ und ein klasse Turner. Er hat die richtige Einstellung zum Sport und weiß was er will", lobt der Wetzlarer González gegenüber der MZ. Deshalb arbeiten die beiden eng zusammen. „Fabián ist sehr ehrgeizig und zielstrebig. Genauso bin ich auch im Training, daher passt das gut", so Hambüchen weiter.

Wie es aber im kommenden Jahr weitergeht, weiß González bisher nicht: „Ich hoffe, dass ich wieder in Biedenkopf antreten kann. Denn mit dem Geld, das ich dort verdiene, unterstütze ich meine Familie auf Mallorca. Mein Vater ist arbeitslos und meine Mutter Hausfrau. Da wird jeder Cent gebraucht, und ich helfe gerne." Vor allem aufgrund der finanziellen Situation in Spanien ist Deutschland also ein Paradies für Mallorcas

Elitesportler.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 14. November (Nummer 706) lesen Sie außerdem:

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