„Vamos, vamos, vamos", hallt es durch die Gymnastikhalle im Príncipes de España in Palma. Claudia Colom vom Club Xelska schwingt sich am Stufenbarren von einer Stange zur nächsten, während ihre Teamkameradinnen sie lauthals anfeuern. Noch ein paar Drehungen, sich auf den Abgang vorbereiten und dann per Salto mit den Füßen auf der Matte landen. Begeistert klatscht das Team, auch wenn es nur eine Trainingseinheit ist. „Turnen ist eine Mannschaftssportart", sagt der deutsche Trainer Dieter Koch, der mit dem bayerischen Verein TSV 1861 Tittmoning im Trainingslager auf der Insel ist. „Auch unser Team ist so begeistert dabei, wenngleich die Spanier noch etwas temperamentvoller sind."

Ein kleines Mädchen macht auf der Matte einen Vorwärtssalto nach dem anderen. Dem unerfahrenen Zuschauer wird Angst und Bange, wenn die Turnerinnen nur um Haaresbreite mit den Füßen an der Stange vorbeischrammen oder wie Supermann vom Sprungbrett durch die Luft an den Barren hechten. „Ist doch alles weich gepolstert", beschwichtigt Dieter Koch, ehemaliger Cheftrainer der jetzt von seiner Frau Ulla Koch trainierten deutschen Frauen-Nationalmannschaft. Dennoch wird sich eines der Mädchen an diesem Morgen den Fuß verknacksen, als sie vom Schwebebalken fällt.

Eine Woche lang gastierten die Tittmoninger mit 20 Mädchen im Alter von 9 bis 20 im Trainings­lager beim mallorquinischen Club Xelska. Seit vier Jahren arbeiten die beiden Vereine zusammen. Entstanden ist die Kooperation durch Andreas Greither. Der Haupt­sponsor des deutschen Teams wurde in einem Mallorca-Urlaub auf den Club aufmerksam. Seine Töchter, die selbst im Leistungssport aktiv sind, nutzten die Gelegenheit und trainierten während der Ferien auf der Insel. Man kam ins Gespräch und vereinbarte eine weitere Zusammenarbeit. Seitdem sponsert Greither auch die Mallorquiner und ermöglicht das jährliche Ostertrainingslager. An manchen Tagen wird bis zu acht Stunden trainiert.

In Spanien gibt es keine Turn­liga, und auch ein Leistungszentrum, wie im Sportkomplex Príncipes de España, ist die Ausnahme. Xelska hat auf nationaler Ebene kaum Konkurrenz. Bei den spanischen Meisterschaften haben die Mädchen in den vergangenen sechs Jahren fünfmal den Titel geholt. Der nächste Titel soll am übernächsten Sonntag (4.5.) in ­Guadalajara klargemacht werden.

„Hier gibt es halt einen Verrückten, der sich für den Sport einsetzt", beschreibt sich der Trainer und sportliche Leiter von Xelska Pedro Mir selbst. Der Club wurde 2001 gegründet, Mir organisierte selbst die Halle und die Geräte. Dank der guten Bedingungen und zehn professioneller Trainer schaffen viele der Sportlerinnen den Sprung in das spanische Nationalteam.

Allein die Wettkampfpraxis fehlt, um sich auf die jährlichen Europa- und Weltmeisterschaften vorzubereiten. Um den Mädchen trotzdem Praxis und Erfahrung zu ermöglichen, werden sie ins Ausland verliehen, jeweils eine Turnerin pro Gastmannschaft und Saison. Xelska kooperiert gleich mit vier Vereinen, die jeweils bis zu drei Mannschaften haben. Neben Tittmoning sind das die TG Veitshöchheim und die italienischen Vereine S.G. Forza e Virtú 1892 aus Ligurien sowie S. Ginnica Giglio aus Florenz. „Insgesamt verleihen wir in diesem Jahr neun unserer 35 Turnerinnen", sagt Pedro Mir. „Davon profitieren beide Seiten: Unsere Sportlerinnen gewinnen an Erfahrung und die Gastvereine bekommen Verstärkung."

Was die mallorquinischen Turnerinnen bewirken können, zeigt das Beispiel von Cintia Rodríguez. Die 20-Jährige war einer der ersten Austauschturnerinnen und brachte dem TSV Tittmoning große Erfolge. Nach dem Aufstieg in die zweite Bundesliga 2011 schaffte der Verein im Jahr darauf den Durchmarsch ins Oberhaus des Turnsports. Cintia Rodríguez wurde in beiden Jahren zur besten Turnerin der Liga gekürt. Auch vergangenes Jahr konnte sie in der ersten Liga überzeugen und erturnte mit Tittmoning den fünften Platz.

Was sich nach einem langfristigen Auslandsaufenthalt anhört, beschränkt sich auf vier Wochenenden in Deutschland. Die Bundesliga der Turnerinnen besteht nur aus drei Saison­wettkämpfen und einem Finale, bei dem die besten vier Teams um den Titel des Mannschaftsmeisters antreten. Der erste Wettkampftag steht bereits an diesem Wochenende (26.- 27.4.) in Ulm an.

In dieser Saison wird Cintia Rodríguez von ihrer Teamkollegin Claudia Colom ersetzt. Sie sei auf dem selben Level und dazu noch etwas jugendlicher und frischer, darin sind sich die deutsche Trainerin Natalie Pitzka und Pedro Mir einig.

Die Turnerinnen beginnen ihre Karriere oft sehr früh. Bereits mit zwölf Jahren können die deutschen Mädchen in der Bundesliga der Senioren mitturnen, Ausländerinnen sind ab 16 Jahren zugelassen. Auch bei den Olympischen Spielen gibt es seit 1997 eine Regelung, wonach die Sportlerinnen ein Mindestalter von 16 Jahren haben müssen, da sich der Körper zuvor noch im Wachstum befindet und der Leistungssport bleibende Schäden verursachen könnte.

Um ihrer Karriere noch ein paar Höhepunkte hinzuzufügen, konzentriert sich Cintia Rodríguez mittlerweile auf die Einzelwettkämpfe. Denn mit ihren 20 Jahren gehört sie schon zum alten Eisen. Die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro 2016 werden wohl ihre zweiten und letzten sein, meint Natalie Pitzka. Turnerinnen mit Ende 20 oder gar jenseits der 30 sind eine absolute Ausnahme.

Bei der Weltmeisterschaft im Oktober im chinesischen Nanning beginnt die Qualifikation für Olympia. Denn dort sichern sich 24 Länder die Tickets für die zweite Qualifikationsrunde der Weltmeisterschaft 2015 in Glasgow, in welcher dann zwölf Länder die Teilnahme in Rio de Janeiro unter sich ausmachen. „Die Weltmeisterschaft 2015 zu erreichen, ist für Deutschland und Spanien kein Problem", sagt Natalie Pitzka. „Die Qualifikation für die Olympischen Spiele hingegen wird schwierig." Pedro Mir ist dennoch optimistisch und glaubt, dass Cintia Rodríguez und Claudia Colom auch 2016 erfolgreich sein werden. Und vielleicht verhilft den Mallorquinerinnen die gewonnene Auslandserfahrung dann ja zur großen Überraschung.