Die Österreicher Beat Kammerlander (55) und Bernd Zangerl (35) sind zwei große Namen im Klettersport. Beat Kammerlander ist seit Jahrzehnten ein Extremkletterer, der viele Strecken zum ersten Mal bewältigt hat und eine Menge zur Entwicklung am Klettersport beigetragen hat. Zu seinen größten Erfolgen zählen die Begehungen „Unendliche Geschichte" im Rätikon, „Prinzip Hoffnung" an der Bürser Platte und die Eiger-Nordwand. Bernd Zangerl ist einer der weltbesten Boulderer, einer Kletterdisziplin mit hohem Schwierigkeitsgrad bei geringer Höhe. Durch die Klettertouren sind beide viel auf Reisen: Im Frühjahr geht es nach Norwegen, im Sommer nach Süd­afrika, immer den kühleren Temperaturen nach, die ideal zum Klettern sind. Finanziert werden sie von namhaften Sponsoren: Adidas und Red Bull. Im Robinson Club Cala Serena boten beide vom 18.5. bis 22.5. eine Kletterwoche an, um ihren Erfahrungen weiterzugeben. An der Insel schätzen sie die einzigartige Kombination aus Felsen, Bucht und Meer. Sie sei geeignet für Kletterer aller Leistungsklassen. Die MZ bat die Profis zum Interview.

Zwischen Ihnen liegt eine Generation. Wie sehen Sie sich gegen­seitig?

Zangerl: Beat ist mein Mentor, aber in erster Linie ein guter Freund. Ich weiß, was er erreicht und für den Sport getan hat.

Kammerlander: Wir helfen uns gegenseitig. Ich kann jetzt nicht auf dem Niveau Bouldern wie der Bernd - der Zug ist schon ewig abgefahren. Er ist Weltklasse. Aber wir machen auch Touren zusammen: Vor zwei Jahren war er bei einer Erstbegehung mit dabei, hat mir geholfen und ist vorneweg gestiegen. Dabei steht die Freundschaft im Vordergrund. Es ist eine gegenseitige Motivation: Sich nicht anzulügen, sich positiv zu ­pushen und sich über die Erfolge des anderen zu freuen.

Herr Zangerl, haben Sie da auch manchmal einen Rivalitätsgedanken, nach dem Motto: Der Kammerlander war da oben, da kann ich das auch?

Zangerl: Nein, ich bin einfach nur voller Ehrfurcht vor dem, was der Beat erreicht hat.

Kammerlander: Man kann das nicht vergleichen. Was vor 20 Jahren das Schwierigste der Welt war, ist heute überholt. Heutzutage ist das Level der Kletterer viel höher.

Woher kommt das?

Kammerlander: Ganz entscheidend ist, dass die Kinder heute von klein an in den Kletterhallen trainieren können. Bei uns in Österreich ist Klettern fast schon ein Breitensport - in jeder Schule gibt es eine Kletterwand. Zudem trainieren die Kinder mit dem Wissen, das wir jetzt haben, richtig. Das hatten wir damals nicht. Niemand konnte dir sagen, ob etwas gut oder schlecht ist. Da musstest du selbst durch Schmerz und Verletzungen lernen, wenn eine Übung falsch war.

Klettern ist nicht ungefährlich. Haben Sie schon mal einen schweren Unfall erlebt?

Zangerl: Unfall war es keiner, aber ein Aha-Erlebnis. Ich hing mit 16-17 Jahren an einer großen Wand und da ist ein riesiger Stein von oben auf mich herabgestürzt und dicht neben mir aufgeschlagen.

Kammerlander: Mit solchen Situationen lernt man umzugehen. Ausweichen kann man nicht, und Umkehren ist meistens die schlechtere Lösung. Das Schlimmste ist, wenn man die Nerven verliert, denn dann wird es echt gefährlich.

Da spielt dann auch die Psyche eine große Rolle, oder?

Kammerlander: Eine extreme psychische Belastung entsteht eigentlich nur, wenn jemand in einem hohen Schwierigkeitsgrad alleine frei klettert, also ohne Absicherung. Dann geht es um die Konsequenz: hoch oder Tod. Du musst es aus deinem Herzen heraus wollen. Das ist vergleichbar mit einem Künstler, der weiß: Wenn ich es nicht tue, dann setze ich meine innere Existenz aufs Spiel. Intensiv zu leben, heißt in diesem Fall auch, Risiken eingehen zu ­müssen.

Und man kommt nie in die Versuchung, aufzugeben?

Kammerlander: Natürlich gab es das schon ein paar Mal, und auch ich hatte oft Glück bei Stein- oder Eisschlägen. Einmal ist es mir auch passiert, dass ich mich an einem langen Seil abseilen wollte und dann sah, dass ich das falsche Ende gegriffen hatte, das nur zwei Meter lang war. Dann heißt es: OK, stay cool! Umhängen, passt! Du darfst nicht verlieren.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie Kletterer nicht ausstehen können, die die Strecke vorher ­untersuchen. Wie ist das zu verstehen?

Kammerlander: Bei einer Erstbe­gehung im Gebirge geht es für mich darum, dass man von unten durch das Niemandsland klettert. Da weiß man nicht, was auf einen zukommt. Es gibt jedoch eine Tendenz, dass Kletterer zu feige für diesen Stil sind. Sie beginnen von oben, checken alles genau ab - und berauben sich somit der Gefahr und des Abenteuers.

Sie werden auch von Managern zu Workshops gebucht. Inwiefern lassen sich Ihre Erfahrungen mit dem Alltag vereinen?

Kammerlander: Manches läuft im Geschäftsleben genauso ab, wie wenn du eine Wand hochsteigst. Man muss lernen, gelassen die Dinge zu akzeptieren, die man nicht ändern kann, und die Dinge, die man ändern kann, immer wieder anzugehen mit all der Kraft und Motivation, die einem zur Verfügung stehen. Wesentlich ist, Mögliches von Unmöglichem zu unterscheiden. Das klingt wahrscheinlich glaubwürdig, weil ich ja etwas vorzuweisen habe. Bei meinen Kletter-Projekten geht es auch darum, eine abstrakte Idee, die niemand für realisierbar hielt, in die Tat umzusetzen.

Was waren denn die schönsten oder auch schwersten Kletter-­Projekte, die Sie gemeistert haben?

Kammerlander: Ich klettere schon seit Jahrzehnten, da sind das einige. Zum Beispiel die „Unendliche Geschichte" im Rätikon 1991. Das war für ein paar Jahre die schwerste ­Route der Welt und wurde bis heute nur einmal wiederholt, obwohl sich die besten Kletterer daran versucht haben. Ich habe diese Route damals erschlossen und die sportliche Stilfrage geklärt: Will heißen, ich bin sie einmal durchgeklettert ohne Hilfsmittel und ohne die Sicherheitskette zu belasten, nur anhand der Struktur des Felses.

Herr Zangerl, Sie sind hingegen vom alpinen Klettern zum Bouldern gewechselt. Ist es der Schritt weg vom Risiko zur Kreativität?

Zangerl: Grundsätzlich schon. Bouldern ist ein sicherer Sport. Bei etwa fünf Metern Höhe soll die Gefahr nicht im Vordergrund stehen, sondern das Kletterproblem.

Kammerlander: Es gibt aber auch das Highball-Bouldern, bei dem man bei zehn Metern Höhe ohne Seil klettert. Da braucht man gute Sicherungspartner und ein Crashpad, das den Sturz abfedert.

Was begeistert Sie am Bouldern?

Zangerl: Dass ich viele schwierige Probleme auf kurzen Strecken meistern kann. Auch kann man im Kleinen die Griffe und Bewegungen üben, die man später vielleicht in anderen Disziplinen an den großen Wänden umsetzen kann.

Kammerlander: Die Boulderer machen viele Erstbegehungen, um neue Strecken zu erschließen. Da ziehst du durch Wälder, findest Wände, wo noch kein Mensch zuvor war. Und du bist dann der Erste, der einen Weg findet, die Wand zu meistern, auch wenn du vorher dachtest: Das ist schier unmöglich. Da entwickelst du einen Schlüssel und musst auch deinen Körper verändern, damit das geht.

Fehlt da nicht die große Anstrengung und Ausdauer, die man beim alpinen Klettern hat?

Zangerl: Auch wenn die Boulderstrecken meist nur ein paar Augenblicke dauern, glaubt man nicht, wie fertig man sein kann. Es geht darum, für zehn Sekunden die Maximalkraft aufzurufen.

Viva la evolution, Anam Cara, Memento. Die Strecken haben manchmal einen seltsamen Namen: Benennen Kletterer sie selbst?

Zangerl: (lacht) Ja, das ist der schöne Teil am Klettern. Die Namensgebung ist schon sehr wichtig. An manchen Projekten habe ich bis zu drei Jahre gearbeitet. Da sind dann die Strecke und der Name etwas Spezielles.

Herr Kammerlander, Sie sind jetzt 55. Kommen da langsam die Gedanken ans Karriereende?

Kammerlander: Nein. Klettern ist mein Leben und ich werde dem Berg immer erhalten bleiben. Wenn ich nicht mehr selber klettere, dann habe ich immer noch meine Touren als Bergführer. Aber: Forever young was never true! Das ist was für Dummköpfe. Ich merke natürlich auch, dass mein Körper an allen Ecken und Enden zwickt.

Haben Sie eigentlich bestimmte Rituale vor dem Klettern?

Kammerlander: (lacht) Schmerzmittel und Kotzen. Nein, das war ein Witz. Wir konzentrieren uns und wärmen uns auf. Zudem müssen wir uns alle vier Tage die Hornhaut von den Fingerkuppen abraspeln. Die ist sonst ein Sicherheitsrisiko. Im Übrigen gilt: Klettern tut gut, nimmt Angst und bringt Mut.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 22. Mai (Nummer 733) lesen Sie außerdem:

- Topschwimmer Alexander Studzinski gibt Top-Schwimmern Tipps in Colònia Sant Jordi

- Insel-Meisterschaften im Springreiten