Schon die Eingangshalle zu den Büroräumen des deutschen Call-Centers CCES 24 in Palmas Gewerbegebiet Son Castelló zeigt unmissverständlich, dass sich der Besucher in eine fußballbegeisterte Welt begibt: Die Wand bedecken deutsche und spanische Flaggen (ja, letztere hat man aus Nostalgiegründen noch nicht abgehängt). Daneben ziert ein handgeschriebener Spielplan in Übergröße das Foyer. Das scheint der richtige Ort zu sein, um den Halbfinal-Klassiker Brasilien-Deutschland an diesem Dienstag (8.7.) anzuschauen.

Oben im Großraumbüro sitzt ein knappes Dutzend Mitarbeiter mit Headsets und telefoniert. Sie sind dafür zuständig, für den deutschen Telefonanbieter 1&1 Probleme mit Internet und Festnetz zu lösen. Es ist kurz nach 22 Uhr, und Deutschland führt bereits mit 1:0. Der Ton an den Fernsehern bleibt stumm. Die Stimmung ist gelöst, aber nicht euphorisch. Einer der Nachtarbeiter, Stephan, hat sich eine Deutschland-Flagge an den Arbeitsplatz gehängt.

Anrufe kommen nach Beginn des Spiels - wen wundert´s - nur noch sporadisch. Ganz Deutschland schaut Fußball oder scheint zumindest keine drängenden Internetprobleme zu haben. Wenn Leute anrufen, dann vor allem Kunden mit ausländischem Akzent, denen das Schland-Spiel offensichtlich herzlich egal ist.

Nicht so den Mitarbeitern des Call-Centers. „Die Anweisung von oben war, alle Deutschland- und alle Spanien-Spiele über die

Flachbildschirme zu zeigen", erklärt der Chef der Schicht, Klaus. Gut, Begegnungen mit spanischer Beteiligung waren es dann nicht so viele. Auch 1&1 war mit der Übertragung einverstanden, so lange die Arbeitsqualität nicht leidet.

Wer an diesem Abend leidet, sind die Brasilianer auf dem Rasen. Klose locht zum 2:0 für Deutschland ein, aufgrund des fehlenden Tons bekommt das Tor kaum jemand mit. Stephan tippt schnell noch auf ein deutsches 5:0 - und revidiert auch gleich wieder: „Das schaffen wir ja schon zur Halbzeit." Und tatsächlich - es geht Schlag auf Schlag. Die Nachtschichtler fangen an zu feixen: „Ich glaube, die Brasilianer können schon zum Gesichts­chirurgen gehen. Die können sich nirgends mehr blicken lassen."

In der Halbzeit rufen tatsächlich ein paar mehr Leute an. Zur Halbzeit versagt dann aber auch der Live-Stream von Telecinco. Stattdessen laufen Musikvideos. „Die Brasilianer haben den Stecker der Übertragung schon gezogen", wirft ein Kollege ein, und sagt dann noch: „Wir können ja nicht 5:0 gewinnen, das wäre unanständig."

Irgendwann ist das Bild wieder da. Nach dem 7:0 ist das Mitleid mit den Brasilianern größer als die Freude. Das 1:7 wird beinahe beklatscht. Zum Schlusspfiff sind die meisten Mitarbeiter sicher: Jetzt gibt es auch den Titel.

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