Die Aussicht von der Villa, die sich der deutsche Radprofi Tony ­Martin, dreifacher Zeitfahrweltmeister und Silbermedaillensieger bei den Olympischen Spielen 2012, auf Mallorca angemietet hat, könnte kaum inspirierender sein. Von dem Hang in der Urbanisation Puntiró sieht man den gesamten Süden der Insel bis hin zum Meer. Hier, in diesem abgeschiedenen Paradies, hat sich der Cottbuser, der für das belgische Team Etixx-QuickStep fährt, auf den Frühjahrsklassiker Paris-Nizza vorbereitet. Das Rennen startete am Sonntag. Die MZ traf den 29-Jährigen einen Tag vor seiner Abreise nach Frankreich.

Ein schönes Fleckchen haben Sie sich hier ausgesucht. Man merkt, Sie sind nicht das erste Mal auf Mallorca.

Mallorca ist so etwas wie eine zweite Heimat für mich. Ich komme hierher, seit ich im Jugendbereich mit dem Radsport begonnen habe. Klar, jetzt habe ich Verpflichtungen mit meinem Team und meiner Familie gegenüber, aber ich versuche trotzdem, zwei- bis dreimal im Jahr auf der Insel zu fahren. Für mich bietet sie die besten Trainingsbedingungen, die ich mir vorstellen kann.

Kommen Sie immer in das Haus in Puntiró?

Nein, hier bin ich zum ersten Mal. Ich wechsle gerne mal meinen Standort, der allerdings immer in der Nähe von Palma sein sollte. Ich war auch schon in Cala Blava und oft in der Innenstadt von Palma. Inzwischen denke ich darüber nach, vielleicht auf Mallorca dauerhaft ein Häuschen zu mieten. Aber da muss ich mich erst einmal umhören.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Zustand der Straßen

Aus meiner Sicht ist das Jammern auf hohem Niveau. Ich bin immer positiv überrascht, wie oft die Straßen auf Mallorca erneuert werden. Sicher gibt es auch ein paar Schlaglochpisten, aber die kenne ich inzwischen und umfahre sie eben. Zu 90 Prozent ist das Straßen­netz hervorragend ausgebaut, und man kann sicher nicht verlangen, dass jede Ortsverbindungsstraße perfekt asphaltiert ist. Der Zustand der Straßen ist etwa in Deutschland bei Weitem nicht so gut wie auf Mallorca.

Wo trifft man Sie denn hauptsächlich auf dem Rennrad an? Die Gipfel der Serra de Tramuntana werden Sie als Zeitfahr­spezialist ja nur von Weitem sehen ...

Das ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Ich muss genauso in den Bergen trainieren. Mein Training hier unterscheidet sich höchstens in kleinen Details von dem meiner Teamkollegen.

Nervt es Sie, dass Sie oft auf ihre Eigenschaft als Zeitfahrer reduziert werden?

Nein. Immerhin werde ich da ja immer auf die Weltspitze reduziert. Bei drei Weltmeistertiteln kann ich damit leben. Und außerdem habe ich schon mehrfach bewiesen, dass ich nicht nur Zeitfahren kann, sondern auch auf anspruchsvollen Berg­etappen zurechtkomme. Immerhin habe ich so eine Etappe mal bei der Tour de France gewonnen.

Trotzdem ist das Zeitfahren Ihr Steckenpferd. Worin besteht der Reiz, statt unmittelbar gegen andere Fahrer erst einmal nur gegen die Uhr zu fahren?

Man liebt Zeitfahren oder man hasst es. Für mich ist es immer wieder faszinierend. Und mental ist es sicher eine größere Herausforderung als Bergfahren oder etwas anderes.

Wann haben Sie gemerkt, dass das Ihre Stärke ist?

Das hat sich so ergeben. Ich habe das nie besonders trainiert. Für mich passt es einfach. Ich möchte nicht sagen, dass ich ein Einzelgänger bin, aber ich kann sehr gut alleine sein und komme gut mit mir selbst klar. Das hilft sicher beim Zeitfahren.

Wobei Sie ja während der Fahrt Anhaltspunkte bekommen, wie es gerade läuft ...

Ja, es gibt eine Funkverbindung mit dem Teamleiter, der im Auto sitzt. Der sagt dir immer wieder die Zwischenzeiten an. Außerdem kann er Dinge ansprechen, die ihm auffallen, dich motivieren oder vor gefährlichen Stellen warnen. Für mich ist dieser Informationsaustausch zwar hilfreich, aber nicht überlebensnotwendig.

In die Saison 2015 sind Sie bereits mit zwei Rennen gestartet: in Dubai und an der Algarve. Immerhin ein Sieg im Zeitfahren sprang dabei schon heraus. Ein gutes Omen für die Saison?

Es ist sehr wichtig, schon in den ersten Rennen Siege zu holen. Denn man hat nach dem Winter zwar ein Gefühl, wo man ungefähr stehen könnte, aber zwischen Realität und Vorstellung kann dann doch eine große Lücke klaffen. Im vergangenen Jahr haben die ersten Siege bis April auf sich warten lassen. Da habe ich schon an meiner Vorbereitung gezweifelt. Für diese Saison habe ich ein sehr gutes

Gefühl.

Eine Saison, in der Sie erneut an der Tour de France teilnehmen werden. Eine Rundfahrt, die mit immer weniger Zeitfahren auskommt. Ärgert Sie das?

Es ist sehr schade, dass das Zeitfahren bei der Tour und den anderen großen Rundfahrten eine immer geringere Rolle spielt. Ich bin der Meinung, dass ein kompletter Radprofi auch ein guter Zeitfahrer sein muss. Auf der anderen Seite kann ich die Organisatoren schon verstehen, denn mit Chris Froome gibt es nun mal einen Fahrer, der ein guter Allrounder, aber auch ein exzellenter Zeitfahrer ist. Der würde dann bei einer Tour schon nach kurzer Zeit mit uneinhol­barem Abstand vorne wegfahren. Für die Spannung wäre das kontraproduktiv. In diesem Jahr könnte bei der Tour aber trotzdem für mich zumindest zu Beginn etwas drin sein. Sie startet mit einem gut 13 Kilometer langen Prolog, was eigentlich schon einem Zeitfahren gleichkommt. Hier zu gewinnen, ist eines meiner Ziele in dieser Saison. Und dann kann ich vielleicht ein paar Tage im Gelben Trikot unterwegs sein.

Vor zwei Jahren sagten Sie in einem Interview, Sie könnten sich vorstellen, noch einmal die Gesamtwertung einer großen Rundfahrt anzugreifen, wenn Sie 30 sind. Nun werden Sie dieses Jahr 30, wie sieht es aus?

Ich werde immer wieder gerade nach der Gesamtwertung der Tour de France gefragt. Und ich will das nicht ausschließen. Schließlich kann noch viel passieren, meine Kondition kann sich verbessern, meine Erfahrung und mein taktisches Wissen nehmen weiter zu. Aber momentan ist ein Toursieg kein Thema für mich. Meine nächsten Ziele sind die Olympischen Spiele 2016 in Rio oder auch der Stundenrekord auf der Bahn.

Wann gehen Sie den an? Hat er an Attraktivität gewonnen, seit die Regularien geändert wurden und inzwischen beinahe monatsweise der Rekord fällt?

Ob ich es dieses Jahr noch schaffe, weiß ich nicht. Aber es ist auf jeden Fall ein besonderer Reiz für mich. Der Weltverband hat gut daran getan, die Regularien zu erneuern, schließlich lebt der Radsport auch von der Materialentwicklung. Vor allem ist es schön, dass diese Disziplin wieder an Faszination gewonnen hat. Wir haben da in den vergangenen Monaten schon einen schönen Schlagabtausch gesehen.

Zeitfahrkonkurrent Bradley Wiggins wird sich ab April auf die Bahn spezialisieren. Was passiert dann mit den aufgestellten Rekorden?

Ich gehe davon aus, dass er die erst einmal pulverisiert. Was mein Vorhaben angeht, ist es sicher von Vorteil, Wiggins zuerst fahren zu lassen. Dann sehe ich, ob es realistisch ist, ihn zu schlagen. Je nachdem kann ich danach an die Feinabstimmung gehen.

Käme die Palma Arena für Ihren Stundenrekordversuch in Frage?

Ich kenne die Radbahn der Palma Arena leider nicht. Man hat mir nur gesagt, sie sei sehr schnell. Palma würde aber auf jeden Fall zum engeren Kreis der Orte zählen, an denen ich testen würde.

Noch einmal zurück auf die Straße: Sehen wir Sie noch einmal im Trikot eines deutschen Teams?

Es wäre mir eine echte Herzensangelegenheit, in einem deutschen Team zu arbeiten. Sei es als Fahrer oder als Teamchef. Aber ich würde gerne dabei mithelfen, ein völlig neues Projekt auf die Beine zu stellen. Giant-Alpecin und Bora-Argon sind zwar schön, weil sie wieder den Aufwärtstrend für den Radsport in Deutschland herbeigeführt haben, aber ich würde gerne ein Team aufbauen, das hauptsächlich mit deutschen Fahrern und deutschen Sponsoren auskommt.

Ein Team wie T-Mobile, nur ohne Doping?

Ja, so in etwa. Ich möchte, dass Deutschland wieder stolz auf „sein" Radteam ist. Wir müssen erreichen, dass die jungen Leute vor dem Fernseher sitzen und mit den deutschen Radsportlern jubeln, so wie wir das damals als Kinder gemacht haben.

Gibt es dafür genügend gute deutsche Fahrer?

Wenn man sich die Ergebnisse von der Weltmeisterschaft in Ponferrada anschaut, sieht man, dass wir in allen Altersklassen gut aufgestellt sind. Immerhin hat Deutschland den Medaillenspiegel dort gewonnen. Es wird sehr gute Nachwuchsarbeit betrieben. Und wenn es ein Loch im Zuge der Doping-Skandale gegeben hat, dann sollten wir das mittlerweile wieder geschlossen haben.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 12. März (Nummer 775) lesen Sie außerdem:

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