Die ersten 100 Tage von Utz Claassen als Präsident des Fußball-Zweitligisten Real Mallorca sind seit Sonntag (29.3.) Geschichte.

Und in wenigen Tagen sind auch die ersten 100 Tage des Deutschen als Hauptaktionär des Inselclubs vorbei. Ihm gehören knapp 75 Prozent, seiner Frau Annette Claassen weitere 20 Prozent. Die Claassens sind damit die wohl einzigen Deutschen weltweit, die einen ausländischen Fußballclub faktisch besitzen.

Claassen hat in diesen ersten gut drei Monate möglichst schnell einen Teil des Schadens reparieren wollen, der in den vergangenen vier Jahren durch einen zerstrittenen Verwaltungsrat entstanden war. Der ehemalige EnBW-Vorstand hatte dabei den „Vorteil", dass er von einem absoluten Tiefpunkt aus startete. Schließlich hatte der Traditionsclub in den vier Jahren zuvor alles erlebt: Abstieg aus der Primera División, Grabenkämpfe und Intrigen im Verwaltungsrat, medial ausgetragene Machtkämpfe, zahlreiche Trainerwechsel ohne eine Verbesserung auf dem Platz und immer erbostere Fans. Inzwischen räumte der Deutsche ein, dass er zumindest eine kleine Mitschuld an den Verhältnissen im Verwaltungsrat hatte. „Vielleicht hätte ich nach den Sitzungen nicht mit den Medien sprechen sollen, aber ich wollte eben den Journalisten gegenüber höflich sein", so Claassen Mitte März.

All dies ist seit Anfang des Jahres vorbei; bis auf den Deutschen haben alle Vorstände den Verein verlassen (Llorenç Serra Ferrer, Jaume Cladera, Pedro Terassa) oder sind verstummt (Biel Cerdà, der noch gut fünf Prozent am Club hält). Übrig geblieben ist nur er, Utz Claassen. Sieben Millionen Euro hat er sich schätzungsweise seine Anteile an einem Club kosten lassen, der das derzeit auf keinen Fall wert ist. Das nötigt auch vielen Mallorquinern gehörig Res­pekt ab.

Ganz versierter Manager, ging Claassen bei der Rückkehr zur Normalität strukturiert und ­berechnend vor. Gleich zu Beginn hieß es, größtmögliche Unterstützung für sein Projekt zu sichern, also die Fans des Inselclubs auf seine Seite zu ziehen. Teile von ihnen hatte Claassen gegen sich aufgebracht, als er vergangenes Jahre eine Demonstration von knapp 3.000 Fans gegen die damalige Vorstandsriege des Clubs abtat, indem er von „lediglich 0,2 Prozent der Mallorquiner" sprach, die sich daran beteiligt hätten. Also lud der frischgebackene Hauptaktionär die Fanclub-Vereinigung gleich in seinen ersten Tagen zum Dialog. Man besprach die Dinge und hatte sich wieder lieb. „Claassen raus"-Rufe sind im Stadion längst nicht mehr zu hören. Stattdessen wird ihm die Hand geschüttelt, von Ferne Beifall geklatscht oder ein erhobener Daumen entgegengestreckt.

Die Fanclubs arbeiten größtenteils mit dem Verein zusammen und werden im Gegenzug deutlich stärker ins Clubleben eingebunden als zuvor. Zwei Beispiele: Vor dem Heimspiel gegen Llagostera am 21. März, das unglücklich mit 0:1 verloren ging, veranstaltete Real Mallorca gemeinsam mit den peñas eine große chocolatada, also ein Treffen der Fans mit heißer Schokolade und einer riesigen Ensaimada. Und beim Heimspiel gegen Racing Santander am 11. April soll es ab 13.30 Uhr eine Riesenpaella für alle Fans geben, gratis wohlgemerkt.

Wobei es natürlich noch ganz andere Dinge zu regeln gibt. Nur zwei Tage nach seiner Machtübernahme schickte Claassen seinen Generaldirektor Juan Barrios nach Madrid zur spanischen Profi-Liga LFP, um dort die abgerissenen Kontakte wieder zu aktivieren. Diese waren einem Streit über die Vermarktung der Fernsehrechte zum Opfer gefallen. Barrios sollte die LFP gleichzeitig noch davon überzeugen, dass Real Mallorca doch ein wenig mehr Geld ausgeben dürfe, als es eigentlich die Gehaltsobergrenze ermöglichte, die die Liga dem Inselclub aufgrund des Gläubigervertrages auferlegt hat. Barrios machte seine Aufgabe offensichtlich gut, denn das Verhältnis Liga-Real Mallorca ist wieder intakt, ein drohender Gerichtsprozess wegen des Streits um die Fernsehrechte konnte in beiderseitigem Einvernehmen verhindert werden. Und auch die Gehaltsobergrenze wurde nach oben erweitert.

Schnell stand auch ein neuer Verwaltungsrat. Viel Respekt brachte Claassen die Entscheidung ein, den mallorquinischen Hotelier und Regionalleiter der Robinson-Clubs in Spanien und Portugal und langjährigen Real Mallorca-Fan, Monti Galmés, zum Vizepräsidenten zu ernennen.

Des Weiteren sitzen im Verwaltungsrat: Claassens Anwalt Roberto Mazorriaga, der Claassens Ehefrau Annette vertritt, der Steuer­berater Marcos Vera Stein, der internationale Finanzexperte Günther Bredow und Claassens langjähriger Sprecher und Kommunikationsexperte Michael Blum. Alle Verwaltungsratsmitglieder sprechen Deutsch, Englisch und Spanisch - ein wichtiger Aspekt, schließlich will Claassen den Club internationalisieren. Langfristig schwebt dem 51-Jährigen eine Art paneuropäische Marke vor, die nicht nur die Bewohner der Insel, sondern auch die nicht zu knapp gesäten Besucher der Insel begeistert.

Aber das sind Zukunftspläne. Zunächst einmal galt und gilt es, auf Mallorca die Reihen um den Club wieder zu schließen - und das schließt auch ein, jeglichem Eindruck entgegenzutreten, dass hier ein deutscher Besserwisser an einer zentralen Insel-Institution herumdoktert. Auch diesbezüglich hat Utz Claassen ein glückliches Händchen bewiesen und in seinen Treffen mit den unterschiedlichsten Insel-Honoratioren viele von ihnen für sich und sein Projekt einnehmen können.

Eine zentrale Rolle spielen dabei die Vorbereitungen für das 100-jährige Jubiläum des Clubs im kommenden Jahr. Dafür ist zwar nicht viel Geld da - das Budget soll gerade mal 100.000 bis 200.000 Euro betragen -, aber die damit beauftragte vierköpfige Arbeitsgruppe macht Hoffnungen auf ein sinnvolles Konzept. Neben dem Vorsitzenden Toni Tugores, einem Anwalt, arbeiten daran auch der ehemalige balearische Bildungs­minister Rafael Bosch, der sozialistische Politiker und frühere Vertreter der Zentralregierung auf den Inseln Ramon Socías und der ehemalige Club-Präsident und Architekt Guillem Reynés.

Bemerkenswert auch die Art und Weise, wie der deutsche Manager eine ihm zuvor mehrheitlich feindlich gegenüberstehende Presse für sich hat gewinnen können. Claassen, der schon von seiner Zeit als ­Seat-Sanierer her sehr gut Spanisch spricht, weiß auf der Insel zuzuhören, vor allem aber mit Argumenten und Umgangsformen zu überzeugen. Dass darüber hinaus auch noch die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit" ihn in einem großen Artikel zum neuen „König von Mallorca" kürte, dürfte seinem nicht kleinen Ego noch zusätzlich geschmeichelt haben.

Was für einen Wandel für einen, der in der deutschen Öffentlichkeit eher polarisiert. Utz Claassen macht und tut, und die Insel staunt: Im Stadion wird eine neue Lautsprecheranlage installiert, ein Kidsclub soll die Fans von morgen heranziehen - und den Eltern einen entspannten Stadion­besuch ermöglichen und auch der Fanshop am Rathausplatz hat wieder auf, nachdem dieser vor über einem Jahr auf Veranlassung der Vorgänger hin geschlossen worden war. Mehrere hundert Fans kamen und feierten zur Eröffnung mit Claassen und sein Vize Galmés.

„Jetzt gleicht Real Mallorca endlich wieder einem Fußballclub", befand denn auch sehr bald Waleri Karpin, der Trainer aus Estland, dessen Arbeit von dem Vorstandsgerangel massiv in Mitleidenschaft gezogen worden war. Und der dennoch nach Claassens Aufstieg und einer langen Reihe von Niederlagen gehen musste: Sportdirektor Miguel Ángel Nadal - noch eine mallorquinische Schlüsselfigur in dem Club des Deutschen - beschloss Anfang Februar den bereits vor der Saison als Trainer vorgesehenen, aber vom zwischenzeitlichen Club-Manager Dudu Aouate geschassten Miguel Soler zurückzuholen. Auch das war wohl richtig: Soler hat wieder Ruhe in das Team gebracht und es zumindest in den ersten Wochen wieder aus der Abstiegszone herausbugsiert. Mit den Stürmern Joselu und Xisco Jiménez konnte auf dem Wintertransfermarkt zudem noch eine recht hochkarätige Verstärkung geholt werden.

Ob das für den Wiederaufstieg in die Primera División im Jubiläumsjahr reicht, ist allerdings fraglich. Für diese Saison scheint der Zug so gut wie abgefahren. Der Effekt des Trainerwechsels hat in den vergangenen drei Wochen spürbar nachgelassen, und nach nur einem Punkt aus drei Partien wird auch schon wieder ein bisschen gemault (siehe Kasten). „¿Y si la pelotita no entra?" (und wenn der Ball nicht reingeht?) fragte nicht umsonst ein Fan bei einer Veranstaltung mit Claassen im MZ-Club. Claassen antwortete, dann müsse man Geduld haben und in Ruhe weiter arbeiten. Auch das nimmt man ihm durchaus ab - genügend Durchhaltevermögen hat er bereits bewiesen. Und dennoch: Sollte der sportliche Erfolg längerfristig ausbleiben, dann wird auch Utz Claassen sich unbequeme Fragen gefallen lassen müssen. Schließlich hat er inzwischen alle Schlüsselpositionen des Clubs mit Leuten seinen Vertrauens besetzt.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 2. April (Nummer 778) lesen Sie außerdem:

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