Benedikt Pliquett sticht allein schon durch seine Größe aus der Masse heraus. Der 1,99 Meter große neue Torhüter des Dritt­ligisten Atlético Baleares muss bei seiner offiziellen Vorstellung am Freitag (3.7.) durch eine Horde von etwa 50 Kindern des Sommercamps, die in der prallen Mittagshitze dem Ball hinterherhechten. Als der 30-jährige Pliquett und der zweite deutsche Neuzugang, Michael Wiemann, den Rasen zum Fototermin betreten, finden sich die beiden sofort umringt von einer Traube Kinder wieder, die munter auf Spanisch und Mallorquinisch auf sie einplappern - und vor allem von Pliquetts Statur beeindruckt sind. Der Deutsche kann nur lächeln und ihnen die Haare tätscheln, der Sprache ist er bisher nicht mächtig. Doch was er sieht, macht ihm Spaß. Pliquett wechselt vom österreichischen Bundesligisten Sturm Graz auf die Insel und kann es kaum erwarten, die Steiermark mit Mallorca zu tauschen. In Österreich fühlte er sich nie heimisch.

Schon mit Sack und Pack auf der Insel angekommen?

Naja, wenn Sie heute noch ein paar Stunden Zeit haben, können Sie gerne ein bisschen beim Auspacken helfen (grinst schelmisch). Nein, im Ernst: Es ist fast alles da, ich habe mir mit meinem Vater einen Kastenwagen genommen und alles in einem Aufwasch auf die Insel gebracht. Die Finca in Campanet war schon teilweise möbliert.

Warum haben Sie sich denn in Campanet niedergelassen?

Ich hatte mir mehrere Häuser angeschaut und mich bereits für eines in Marratxí bereits entschieden. Daraus wurde dann doch nicht. Ich war im Urlaub, mein Vater übernahm die Suche, und eine Maklerin hier auf der Insel schickte mir dann ein zwölfminütiges Video über das Haus und 100 Fotos. Da habe ich aus der Ferne entschieden. Es ist für die Familie schön, wenn das Haus ruhig ist und einen Pool hat. Wir sehen sogar das Meer am Horizont. Und ich bin auch froh, wenn ich vor und nach der Arbeit noch ein paar Minuten im Auto Zeit habe, mich aufs Training vorzubereiten oder abzuschalten. Ich bin das Pendeln gewöhnt.

Wie sind Sie eigentlich zu dem Insel-Engagement gekommen?

Malik Fathi (deutscher Ex-Nationalspieler, der im Winter zu Atlético Baleares wechselte) war ja im Winter zu einem Probetrainingslager bei Sturm Graz. Er erzählte mir, dass Atlético einen Torwart sucht. Ich wollte aber zumindest die vergangene Saison noch in Graz bleiben. Dann kristallisierte sich heraus, dass ich dort wahrscheinlich viel auf der Bank sitzen würde. Und dann kam Atlético Baleares auf mich zu. Ich bin sicher, dass da Malik seine Finger mit im Spiel hatte. Patrick Messow (Atlético-­Sportdirektor, Anm. d. Red.) und der ganze Club haben sich sehr professionell verhalten und sich wirklich um mich bemüht. Die Ziele des Clubs und das Projekt haben mich überzeugt.

Erklärtes Ziel kommende Saison ist der Aufstieg.

Ja, wobei so etwas sehr schwer planbar ist, da müssen viele Dinge ineinandergreifen. Hauptsache, jeder tut alles für den Erfolg.

Aber Sie erfüllen Ihren Vertrag bis 2017 auch, wenn der Aufstieg nicht gelingt?

Dafür bin ich ja jetzt mit Kind und Kegel angerückt. Ich habe ­richtig Bock auf das Projekt. Auf dem Papier sieht die Mannschaft zumindest schon mal super aus.

Haben Sie Ihre neuen Kollegen schon kennengelernt?

Persönlich erst beim Trainingsauftakt am Montag. Aber davor gab es schon eine Whatsapp-Gruppe, in der ich mich kurz vorgestellt habe. Viele haben mir auch geantwortet, ich habe nur leider kaum ein Wort verstanden.

Atlético Baleares passt zu Ihnen, weil es wie der FC St. Pauli, wo Sie fast zehn Jahre gespielt haben, und Sturm Graz ein Arbeiter­club ist. Warum hängt Ihr Herz an solchen Vereinen?

Das hat sich bei St. Pauli so ergeben. Ich bin ein sehr bodenständiger Typ, stehe gerne im Kontakt mit den Fans und kann mich mit solchen Clubs eher identifizieren. Mal schauen, ob das hier mit dem Kontakt zu den Fans auch so gut klappt. Das könnte mit der Sprache etwas schwieriger werden.

Wie lernen Sie denn Spanisch?

Ich habe eine Super-App, dank der ich schon mehr verstehe als gedacht. Ich bin gerade bei Lektion 18 und habe noch 65 vor mir. Aber es wird wohl noch sinnvoller sein, sich einen Sprachlehrer einmal die Woche zu holen.

Können Sie sich noch an den 16. Februar 2011 erinnern?

(Damals gewann Pliquett nach einer überragenden Torwartleistung bei St. Pauli mit 1:0 beim Lokalrivalen Hamburger SV, in dessen Jugendmannschaften er drei Jahre lang stand, bis er 18 war. Pliquett trat nach dem Sieg die Eckfahne des HSV um und brüllte „Und ihr habt mich vom Hof gejagt, ihr Lutscher!“) Na klar kann ich mich erinnern. Es war so schön, St. Pauli etwas zurückzugeben. Ich kriege da heute noch eine Gänsehaut. Wir waren am Abend zuvor schon im Hotel gewesen, haben nur über dieses Spiel geredet und uns die ganze Zeit schon mit unserer Abneigung gegen den HSV hochgepusht.

Was hat Ihnen der HSV eigentlich getan?

Nach meiner Zeit in den Jugendteams weiß ich, warum ich diesen Verein nicht mag. Als ich 18 war, hat mich der Club einfach so vor die Tür gesetzt, ohne Begründung. Und das drei Tage vor einer schriftlichen Abiturprüfung. Ich stand ohne Vertrag da und war völlig fertig. Die Umgangsformen in diesem Club waren extrem merkwürdig. Außerdem passt zu meiner persönlichen Vita St. Pauli viel besser.

Sie spielen auf die politische Haltung des Kiez-Clubs an …

Ja, das ist ein offener Club mit Fans, die sich auch sozial engagieren. Beim HSV oder anderen Vereinen passiert nicht viel in diese Richtung. Der Fall ist ja der: In Deutschland ist Fußball unpolitisch, weil man sonst Kunden oder Fans verprellt. St. Pauli hat sich aber im Jahr 1984 politisiert und ist seither eben links. Natürlich hat man damit auch Fans verloren. Aber das Ambiente ist nett dort. Da muss man aufpassen, was man sagt. Wenn man auf der Tribüne sitzt und den Schiedsrichter beschimpft, wird man sofort von mehreren Seiten zurückgepfiffen. Die Fans regulieren sich dort selbst brutal.

Die St. Pauli-Fans gehören mit ihrer linken Einstellung eher zu einer Minderheit in Deutschland, oder?

Ich will dem Fußball eigentlich keine rechte Tendenz unterstellen. Aber faktisch ist es einfach so, dass es rechte Zellen gibt. In Aachen wurde beispielsweise eine Fangruppe von rechten Ultras aus dem Stadion befördert, obwohl das vollkommen normale Fans waren.

Bekommen Sie Ausländerfeindlichkeit mit, wenn Sie auf dem Platz im Tor stehen?

Da bin ich natürlich auf das Spiel fokussiert. Außerdem muss ich sagen, dass Deutschland auf einem guten Wege ist, was die Bemühungen angeht, Parolen gegen Ausländer im Stadion zu stoppen. Etwas anderes ist das bei Beschimpfungen gegen Homosexuelle. Da gibt es noch einiges zu tun.

Sie sind auch für Ihr soziales Engagement bekannt. Unter anderem haben Sie in Hamburg Weihnachtsessen für Bedürftige organisiert. Wird es das auch auf Mallorca geben?

Wenn sich das irgendwie machen lässt, kann ich mir das auch hier vorstellen. Falls also jemand auf mich zukommt und mir ein Projekt vorschlägt, höre ich mir das an. Es muss aber eine gute Sache sein. Mein Projekt „Viva con agua“ werde ich auf jeden Fall weitermachen.

Worum geht es da?

Da setzen wir uns für Trinkwasser für Entwicklungsländer ein. Auf die Organisation bin ich aufmerksam geworden, als wir in Kuba in einem Trainingslager waren. Die Zelle in Graz habe ich aufgebaut.