Wie er da so leichtfüßig auf dem Rasen herumtänzelt, könnte man Emilio de la Cámara glatt für Mitte 30 halten - wäre da nicht das weiß-graue Haupthaar und das ein oder andere nicht wegzudiskutierende Fältchen im Gesicht. 71 Jahre hat der Andalusier aus Jaén, der 1967 im Alter von 23 Jahren mit seinen Eltern nach Mallorca auswanderte, bereits auf dem Buckel. Doch seine Beine tragen ihn immer noch zu sportlichen Höchstleistungen.

De la Cámara ist gerade von den Leichtathletik-Weltmeisterschaften für Senioren aus dem französischen Lyon zurückgekommen, wo er seine inzwischen 18. Goldmedaille eingeheimst hat. 2.000 Meter Hürdenlaufen - er war wieder einmal der König. Da kann ihm weltweit in seiner Altersgruppe niemand das Wasser reichen. In nicht einmal neun Minuten hat de la Cámara diesmal die Strecke gemeistert - mit Hindernissen, die 89 Zentimeter hoch sind. Da stellt das Überwinden des MZ-Reporters beim Fototermin beinahe eine Beleidigung für den Südspanier dar.

„So viele Medaillen wie ich hat kein anderer Senior in Europa", rattert der Langstrecken­spezialist los, bevor er eine in der Tat beeindruckende Auflistung aller Titelgewinne in den vergangenen 25 Jahren folgen lässt, mit der jeweils zurückgelegten Distanz und dem Ort, an dem die Meisterschaft stattfand. Um seine Medaillenchancen zu vervierfachen, tritt Emilio de la Cámara gleich in vier verschiedenen Disziplinen an: die erwähnten 2.000 Meter Hürden, daneben die beiden Langstrecken-Distanzen 5.000 und 10.000 Meter sowie Crosslaufen, was noch einmal 8.000 Meter durch unwegsameres Gelände sind.

Zurzeit schreibt der rastlose, etwa 1,60 Meter große Mann, der noch mehrmals in der Woche an seinem Fischstand im Mercat de l´Olivar steht, an einem Buch über seine Erfolge.

Wenn er so redet, wirkt er schon wieder mindestens 30 Jahre jünger. Hektisch und schnell spuckt er die Wörter aus. In dem Redeschwall wird schnell klar, dass Emilio de la Cámara mit dem olympischen Gedanken allein wenig anfangen kann. Er sagt Dinge wie: „2013 in Porto Alegre war kein besonders gutes Jahr: Da habe ich bei der WM nur Bronze und vielleicht eine Silbermedaille geholt."

Als kleiner Junge spielte er bei seinem Heimatclub Real Jaén Fußball, ein Jahr lang sogar im A-Jugendteam des damaligen Erstligisten. „Ich habe dann aber ziemlich schnell erkannt, dass ich nicht das Zeug zum Profi habe." Mit 20 ging es zum Heer nach Madrid, mit 23 zog er auf die Insel. „Ich wollte unbedingt weiterhin nah dran sein am Fußball. Da habe ich mich für das Schiedsrichterdasein entschieden."

Und das durchaus mit Erfolg. Zehn Jahre später pfiff Emilio de la Cámara Partien in Spaniens dritthöchster Spielklasse. Als Assistent war er sogar bei Begegnungen in der Primera División an der Linie im Einsatz, so unter anderem auch mal bei einer Partie des FC Barcelona der Cruyff-Ära gegen Real Betis aus Sevilla. Mit 47 Jahren musste er dann das professionelle Pfeifen wegen der Altersgrenze aufgeben, ein paar Jahre war er anschließend noch als Schiedsrichter in Jugendklassen aktiv.

Doch das reichte ihm nicht. „Ich habe über die Jahre gemerkt, dass ich bei den Leistungstests der Schiedsrichter immer sehr gut abschneide", erzählt Emilio de la Cámara. So entdeckte er das Laufen für sich. 1991 nahm er in Madrid im Alter von 47 Jahren seinen ersten Marathon in Angriff und wurde in seiner Altersklasse gleich Zweiter. „Nur ein ehemaliger Profi-Athlet, der schon bei den Olympischen Spielen mitgemacht hatte, war schneller als ich. Da dachte ich: Hostia, das sieht vielversprechend aus." Noch im selben Jahr schrieb sich der 71-Jährige für die Senior-Europameisterschaften in Budapest ein. Mit 2:33 Stunden legte er beim Marathon eine äußerst respektable Zeit hin, die ihm die Silbermedaille einbrachte.

Spätestens da war der Andalusier infiziert mit dem Laufvirus. Seitdem reist er mit seiner Frau um die Welt, den Fischstand schließen die beiden dann immer für zwei Wochen. Jedes Jahr entweder EM oder WM - von Polen über Finnland bis nach Australien, die Vereinigten Staaten oder Puerto Rico. Das Paar hat inzwischen schon ordentlich etwas von der Welt gesehen. Vor seiner Laufkarriere hatte Emilio de la Cámara Spanien nie verlassen.

Und es soll noch lange nicht Schluss sein: Das große Ziel ist nun die Weltmeisterschaft in seiner Heimat Andalusien. 2018 wird Málaga Austragungsort sein. Dann ist Emilio de la Cámara 74, aber wer ihn heute sieht, zweifelt nicht daran, dass der Vorzeigeathlet auch in drei Jahren noch nicht müde ist, Goldmedaillen einzusammeln.

Zumal er auch weiterhin seine Erfolgsgeheimnisse beachten will. Dazu gehören unter anderem ein strenges Aufwärmprogramm vor dem Laufen, dreimal in der Woche der Besuch des Fitness-Centers und Individualtraining. „80 bis 90 Prozent der Leute bei den Senioren-Meisterschaften haben einen Personal Trainer. Ich brauche niemanden, der mir reinredet. Es funktioniert ja auch so ganz gut."