Eine Bergstraße, irgendwo auf der Insel. Die Gummirollen krachen auf dem Asphalt, wenn Jan Izquierdo mit seinem Longboard in einer der zahlreichen Kurven abbremst. Rechts Kiefernwald, links ein Steilhang zum Meer geht es die Serpentinen hinunter, auf einer langen Geraden legt er dann seinen Oberkörper nach vorn, verschränkt die Arme auf dem Rücken, um noch mehr Geschwindigkeit zu gewinnen. „Schneller als 50 oder 60 Stundenkilometer fahren wir auf Mallorca aber nicht", sagt der 17-Jährige, der vor rund vier Jahren mit dem Longboarden angefangen hat und inzwischen zu den besten Downhill-Fahrern der Insel zählt.

Longboarden ist gewissermaßen die Urform des Skatens. Geboren wurde dieser Sport in den 50er-Jahren auf Hawaii - aus der Not heraus: Mangels Wellengang schraubten ein paar Surfer Rollen an ihre Bretter und tauschten Wasser gegen Asphalt. Über die USA gelangte der Trend nach Europa - und irgendwann auch nach Mallorca. „Die Longboarder-Community hier entstand vor etwa fünf Jahren", erzählt Pau Oliver Bosch, 18 Jahre alt und ebenfalls ein passionierter Downhill-Fahrer. Von den etwa 50 Longboard-Anhängern der Insel würden sich aber höchstens 20 die steilen Bergstraßen hinabstürzen. „Dazu musst du lange geübt, dir viele Schürfwunden geholt und viele Stürze weggesteckt haben", erzählt Pau. Erst wer sein Brett zu 100 Prozent kontrolliert, darf mit auf die waghalsigen Touren.

„Wir sind keine Irren, die sich und andere in Lebensgefahr bringen", stellt Jan klar. Auf Tour gehe es nicht nur mit kompletter Schutzmontur - Motorradhelm, Handschuhe, Handgelenk- und Knieschoner -, sondern auch mit mindestens einem Begleitfahrzeug und Walkie-Talkies. „Der Fahrer wartet unten und gibt uns Bescheid, falls ein Auto kommt, oder warnt vor Steinen auf der Fahrbahn und Schlaglöchern", erklärt Pau. Um möglichst keinen anderen Verkehrsteilnehmern in die Quere zu kommen, schwärmen die Jungs in den frühen Morgenstunden aus. Um 6 Uhr stehen sie auf ihren Brettern, machen einige Abfahrten, spätestens um 10 Uhr geht es wieder nach Hause. „Im Winter können wir nicht ganz so früh los, weil die Straßen feucht sind, das wäre zu gefährlich." Allerdings sei in der Nebensaison auch tagsüber deutlich weniger Verkehr.

Die spektakulärsten Strecken der Insel - zu den Klassikern zählen die Straßen nach Sa Calobra und zum Leuchtturm von Formentor - meiden die mallorquinischen Longboarder inzwischen. „Zu viele Touristen und Busse", winkt Pau ab. Auch die Abfahrt vom Kloster Lluc nach Caimari, wo es sie früher am liebsten hinzog, sei längst tabu. Zum einen wegen der vielen Motorrad- und Radfahrer. Zum anderen weil dort immer öfter die Polizei lauere. Vor einigen Jahren, als es noch kaum Longboarder auf der Insel gab, hätten die Beamten nicht so recht gewusst, wie mit den neuartigen Verkehrsteilnehmern zu verfahren sei - und viele stellten eher neugierig Fragen, als Bußgelder anzudrohen. „Auch heute ist noch nicht geregelt, ob wir auf der Straße fahren dürfen oder nicht, eigentlich ist es nicht verboten." Die Gefahr, sich eine Strafe einzuhandeln, sei aber deutlich gestiegen, befürchten die Jungs. „Obwohl wir in 15 Metern bremsen können, Autos und Fahrräder brauchen viel mehr, aber erklär das mal einem Polizisten", sagt Pau.

Sie suchen sich deshalb immer abgelegenere Strecken, wo sie im Idealfall gar keinem Autofahrer oder Anwohner begegnen. „Seitdem Longboarden einige Male Negativschlagzeilen gemacht hat, weil wir angeblich illegale Rennen veranstalten, rufen viele Leute gleich die Polizei, wenn sie uns sehen", erzählt Pau. Im Januar etwa hatte die Tageszeitung „Última Hora" über ein waghalsiges Rennen mehrerer Longboarder berichtet, die die Sa-Calobra-Straße hinabbretterten, davon ein Video drehten und es ins Netz stellten. Die Fahrer seien zwei Jungs aus Barcelona gewesen, die sie kennen, doch von ihrem Besuch auf Mallorca hätten sie erst durch den unschönen Zeitungsartikel erfahren, berichten die beiden. „Uns ist es deshalb lieber, wenn Longboarder von außerhalb, die hierherkommen, sich direkt an uns wenden und wir gemeinsam auf Tour gehen", sagt Jan. Denn sie würden die Gefahren und Eigenheiten der Strecken kennen wie kein anderer - was ­essenziell ist, um schlimme Unfälle zu vermeiden. Und das sei auch ganz in ihrem eigenen Interesse. „Denn auf dem Image­schaden bleiben am ­Ende wir hier auf der Insel sitzen."

Mallorca mit seinen kurvenreichen Bergstraßen gilt auch in der nationalen und internationalen Longboarder-Szene als wahres ­Eldorado. „Spanienweit haben wir nach den Kanarischen Inseln die besten Abfahrten", ist Jan überzeugt. In jüngster Zeit kämen auch immer mehr Deutsche und Schweizer zum Downhill-Skaten nach Mallorca. Vor drei Jahren sorgten der Besuch - und vor allem das dabei entstandene Youtube-Video - eines weiblichen Teams für Aufsehen. Das 2010 in Madrid entstandene Projekt „Longboard Girls Crew" soll Mädchen für den Sport zu begeistern. Inzwischen gibt es Crews in rund 50 Ländern, damals auf Mallorca waren auch eine Peruanerin und eine US-Amerikanerin am Start. Die Reise haben ihnen Sponsoren bezahlt.

„Mädchen haben es da leichter", sagt Jan etwas geknickt. Weil die Konkurrenz nicht so groß sei, vor allem aber weil die Markenhersteller - der Boards, Rollen, Achsen, Schutzkleidung - genau wüssten, dass es besonders gut zieht, wenn keine harten Jungs, sondern zierliche Mädchen die rasanten Abfahrten absolvieren. Doch nur, wer Geldgeber finde, kann es sich in der Regel leisten, an den offiziellen Longboard-Rennen teilzunehmen, die über den ganzen Erdball verstreut, von Brasilien über Südafrika bis nach Neuseeland stattfinden. Jan Izquierdo will es in diesem Jahr erstmals auf eigene ­Kosten ­versuchen, bei einem Rennen in Tschechien. „Dafür musste ich ganz schön sparen", sagt er. Allein ein Satz Rollen, der bei einem Rennen schnell draufgeht, kostet an die 150 Euro.

Sein erstes Geld hat aber auch Jan bereits mit dem Longboarden verdient. Im Februar wurde er zusammen mit einem Freund von Porsche für den Dreh eines Werbespots auf Mallorca verpflichtet. „Die hatten ein Youtube-Video von Schweizer Longboardern gesehen und wollten so etwas hier auf der Insel machen", erzählt der 17-Jährige - der über die Produktionsfirma Palma Pictures in Kontakt mit dem Autohersteller kam. Die nächtlichen Dreharbeiten - beworben werden die Scheinwerfer des Autos - fanden auf der Formentor-Halbinsel statt, die Straße wurde hierfür gesperrt. Auch andere Autohersteller, etwa Mercedes und Renault, hätten in ihren Werbespots bereits Longboarder eingesetzt, erzählen die beiden. „Das hilft hoffentlich, dass der Sport endlich salonfähig und nicht mehr als etwas Illegales angesehen wird", sagt Pau. Und wer weiß - Skateboarden sei vor 50 Jahren noch verboten gewesen, inzwischen aber sogar olympische Disziplin. „Vielleicht schafft das ja das Longboarden auch irgendwann."