Mit viel Wehmut blickt Antonia Real dieser Tage nicht nach Rio de Janeiro. „Klar kommen Erinnerungen hoch", sagt die heute 52-Jährige. „Aber ich bin da nicht so emotional." Antonia Real stieg vor genau 40 Jahren bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal als zwölfjähriges Mädchen für Spanien ins Schwimmbecken und schwamm die 400 und die 800 Meter Freistil. Sie ist bis heute die jüngste spanische Olympiateilnehmerin aller Zeiten. Beim Treffen mit der MZ wirkt Real, die heute in Sineu lebt, nüchtern und nicht übermäßig stolz auf das, was sie da als kleines Mädchen vollbrachte.

Dabei war Real ein veritables Wunderkind. Sie hatte erst mit acht Jahren Schwimmen gelernt. „Es machte mir Spaß, und ich blieb dabei. Mit zehn war ich dann den Kindern in meinem Alter schon deutlich überlegen", erzählt sie vollkommen nüchtern und ohne einen Anflug eines Lächelns. Das Mädchen ging damals zum Schwimmunterricht in das längst nicht mehr existierende Schwimmbad s´Aigua Dolça im Stadtteil El Terreno und später zum Club de Natación Palma. Mit zehn Jahren maß sich Real zum ersten Mal bei Meisterschaften mit Erwachsenen. „1974 bin ich bei den spanischen Meisterschaften in Valencia Staffel geschwommen. Mir erschien das damals normal. Ich dachte mir gar nichts dabei, dass ich mit Abstand die Jüngste war."

Einen weiteren Sprung machte die junge Schwimmerin dann unter dem Trainer Juan Fortuny, einem ehemaligen Leistungsschwimmer, der sie nach allen Regeln der Kunst triezte und zu immer neuen Bestmarken trieb. 1975 wurde Antonia Real bei den spanischen Meisterschaften über die 800 Meter Freistil in Reus bereits überlegen Landesmeisterin und verpasste dabei nur haarscharf den spanischen Rekord.

In den Jahren darauf sicherte sich Antoñita dreimal hintereinander die Landesmeisterschaft, 1976 im Doppelpack mit den 400 Metern. Und am 19. Juni 1976 schaffte sie die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Barcelona. Viele ­Wochenenden, vor allem im Winter, war sie zuvor nach Barcelona geflogen, um dort in einem überdachten 50-Meter-Becken zu trainieren. Auf Mallorca gab es das zu dieser Zeit noch nicht.

Zu den Spielen nach Montreal flog die junge Mallorquinerin höchst unbekümmert. Sie war allein mit der spanischen Mannschaft unterwegs. Begleiten konnte sie niemand. Ein schwerer Schicksalsschlag hatte die Familie nur zwei Jahre zuvor heimgesucht: Die Mutter war plötzlich an einer sehr aggressiven Krebs­variante gestorben, der Vater stand mit vier Kindern alleine da. Eine Reise nach Kanada mit den drei Geschwistern war nicht drin.

Antonia Real hatte daheim früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Druck habe sie keinen verspürt, sagt Real rückblickend. „Wir Spanier waren im Schwimmsport den meisten anderen Nationen dermaßen unterlegen, dass allein eine Teilnahme an Olympia schon ein Grund zum Feiern war." Dementsprechend wenig hatte Real mit der Medaillenvergabe zu tun. Über ihre Lieblingsdisziplin, die 800 Meter Freistil, schaffte sie den 16. Platz von 20 Athletinnen. Besser lief es über die 400 Meter, wo sie als 20. sogar 14 Schwimmerinnen hinter sich ließ. Die Wettkämpfe an sich beeindruckten Real wenig. „Das war wie bei anderen Meisterschaften auch. Man ist vom Startblock ins Becken gesprungen und losgeschwommen." Viel mehr habe sie das Drumherum in ihren Bann gezogen. „Vor allem die Eröffnungsfeier werde ich nie vergessen. Wie wir als spanische Abordnung in das voll besetzte Olympiastadion einzogen, das war ein magischer Moment. Ich habe einfach nur gestaunt."

Antoñita lief in der ersten Reihe direkt hinter dem Fahnenträger ins Stadion ein.„Ich bin die, die sich den Rock hält", sagt sie, beim Betrachten eines Bildes der Eröffnungsfeier. „Wenn ich mir das so anschaue, waren wir sehr wenige Frauen." Auch die Tage im Olympischen Dorf, zum ersten Mal so weit weg von daheim, habe sie sehr genossen. Untergebracht war Real in einem Viererapartment mit drei weiteren spanischen Athletinnen, die das jüngste Mitglied der Delegation unter ihre Fittiche nahmen. „Immer wenn wir konnten, haben wir uns andere Wettkämpfe angeschaut, vor allem in der Leichtathletik."

Nach zehn Tagen war das Abenteuer Olympia beendet. Antonia Real, Spaniens große Hoffnung für die Olympischen Spiele 1980, blieb dem Schwimmsport danach noch gut zwei Jahre treu. „Dann habe ich gemerkt, was ich alles verpasse, und wollte nicht mehr. Nur Schule und fünf Stunden Training bis in den Abend sind eben nicht alles. Meine Tage waren minutiös durchgeplant, während sich meine Klassenkameradinnen mit Freundinnen getroffen haben." Außerdem habe die Schule in der Familie immer Vorrang vor dem Sport gehabt. Ihr Vater

versuchte nie, sie umzustimmen.

So endete eine vielversprechende Schwimmlaufbahn etwas abrupt und wenig glanzvoll. Eine Zeit lang trainierte sie noch den Nachwuchs, heute schwimmt sie noch zweimal die Woche im Hallenbad. „Ich bereue mein Karriereende aber kein Stück. Auch eine Medaille kann nicht verlorene Lebenszeit aufwiegen", sagt Real in ihrer sachlichen Art und verabschiedet sich. Die

heutige Grundschullehrerin mit zwei Töchtern und einem Enkelkind hat schließlich noch anderes zu tun, als über die Vergangenheit zu berichten.