Mit einem Tuch poliert José Castellano vor dem Spiel den kleinen Sockel, auf dem der zwei Zentimeter große Andrés Iniesta steht. Ein kleiner Schnips und es wirkt, als ob sich der spanische Nationalspieler wirklich warmlaufen würde. „Es ist wichtig, dass die Figur problemlos über den Tisch gleitet", sagt Castellano. Drei Minuten hat er vor einer Begegnung Zeit, um sein Team auf „Betriebstemperatur" und auf dem 120 mal 80 Zentimeter großen Spielfeld in Position zu bringen.

Ein lautes Tröten aus dem Computer verkündet den Start des Trainingsspiels der Mallorca Águilas, dem einzigen Tischfußballverein auf der Insel, in einem kleinen Nebenraum des Polideportivo Son Veri in Llucmajor. Mit der spanischen Auswahl tritt Clubpräsident José Castellano gegen seinen Sohn Sergio an, der mit Chapecoense spielt, das brasilianische Team, welches Ende November Opfer eines Flugzeugabsturzes wurde.

Wie beim richtigen Fußball bestimmt ein Schiedsrichter per Münzwurf, wer zuerst anstößt. Eine Linie in der Mitte jeder Spielhälfte begrenzt den Bereich, ab dem auf das Tor geschossen werden darf. Auf dieser Linie positioniert der verteidigende Spieler vor dem Anstoß meist seine Figuren. „Dadurch muss der Angreifer über die Flügel kommen. Schüsse von außen sind mit dem Torhüter und der Stange, mit der er gesteuert wird, leichter zu verteidigen", sagt José Castellano.

Sein Sohn legt los. Mit dem Zeigefinger schnipst er eine seiner Figuren gegen den Ball. Zehn Sekunden hat er für einen Zug Zeit. José Castellano darf nachziehen. Er kann dabei aber nur dem attackierenden Spieler den Weg versperren. Wenn er seine Figur gegen eine gegnerische oder den Ball schnipst, gibt es Freistoß. Sergio Castellano muss auf seinen Gegenüber nicht warten. Er kann hintereinander wegschnipsen und so mit dem Ball dribbeln.

Bis zum Torabschluss kommt Sergio nicht. Er versucht, mit einer weit entfernten Figur den Ball zu spielen und verfehlt die kleine Plastikkugel. Das bedeutet Angriffswechsel. Der Ballbesitz geht auch an den anderen Spieler über, wenn der Angreifer den Ball ins Aus oder zu einem Gegenspieler schießt.

José Castellano legt ein erstaunliches Tempo vor. Dem Zuschauer fällt es schwer, die Spielzüge nachzuvollziehen. „Mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Es ist eine Frage der Aufmerksamkeit", sagt der 43-Jährige. „Das Spiel wird daher auch zur Heilung von Konzentrationsschwächen genutzt. Sergio hat ADHS und es hat ihm sehr geholfen."

Auch José Castellano hat schon als Jugendlicher mit dem Spiel begonnen. „Damals gab es zu jeder Dose des Kakaopulvers Cola Cao eine Figur", sagt er. „Später hat die Firma Subbuteo die Spieler hergestellt. Daher ist der Tischfußball auch unter diesem Markennamen bekannt." Heute kostet ein Set mit zwölf Spielern - zehn Feldspielern, ein Torhüter mit Stange und ein Torwart zum Schnipsen - etwa 40 Euro. Neben dem sportlichen Aspekt ist es auch ein Spiel zum Sammeln. „Mehr als 70 Mannschaften habe ich zusammen", sagt José Castellano stolz.

Die Figuren mit den Sockeln werden in Weiß geliefert. Etwas Fingerfertigkeit gehört dazu, sie in den gewünschten Vereinsfarben anzumalen und mit kleinen Stickern zu bekleben (fertig kosten sie etwa 70 Euro).

Während das Spiel im Son Veri in vollem Gange ist, sitzt die Freundin von Sergio Castellano gelangweilt in der Ecke. Mit einem Augendrehen missbilligt sie das Hobby ihres Freundes. Auf die Frage, ob denn auch Mädchen Tischfußball spielen, brechen andere Mitglieder des 16-köpfigen Vereins in Gelächter aus. „Fragen Sie doch mal Sergio", sagt Alberto Ramírez.

Sergio war vor zwei Wochen mit den Mallorca Águilas bei einem Turnier in Belgien. „Er musste gegen ein belgisches Mädchen antreten und hat Unentschieden gespielt", sagt sein Vater. „Die anderen drei Spiele haben wir aber für uns entschieden." Bei Turnieren werden vier Einzelmatche gleichzeitig bestritten, die Ergebnisse gehen in die Teamwertung ein. José Castellano fungiert im Team als Trainer und Ersatzspieler. „Ich habe alle Spielfelder im Blick und bestimme die Taktik meiner Jungs." Wenn an einem Tisch der Sieg sicher scheint, kann ein anderes Spiel defensiver gestaltet werden.

Wie auch viele andere mallorquinische Vereine haben die Tischfußballer das Problem, die Flüge für die Wettkämpfe finanzieren zu müssen. „Anders als in Italien gibt es in Spanien keine Zuschüsse für den Tischfußball." Vier Sponsoren unterstützen den Club. Eine Weihnachtslotterie brachte ein paar Einnahmen. Trotzdem ist es gut, dass der nächste Grand Prix im Mai sowie die Champions League 2018 in Llucmajor ausgetragen werden. „Daran nehmen die nationalen Meister und Vizemeister teil. Wir als Veranstalter sind gesetzt", sagt Castellano.

Damit die internationalen Gegner - aus Deutschland wird etwa „SW gemaba" aus Hitdorf am Rhein erwartet - die Mallorquiner nicht aus der Halle schießen, üben die Águilas fleißig. Im Trainingsspiel hat sich mittlerweile José Castellano in eine scheinbar aussichtslose Situation begeben. Der Ball ist hinter der Linie, die den Torschuss erlaubt. Doch mehrere Gegner stehen im Weg. „Kein Problem", sagt er, setzt den Fingernagel unter der Figur an und schnipst sie über die Mauer. Der Ball fliegt ins Tor und der Präsident dreht zum Jubeln ab. „Wie zu meinen besten Zeiten in der vierten Liga auf dem Großfeld", sagt er freudestrahlend.