Macht ein Schiedsrichter seine Arbeit gut, weiß der Fan im Nachhinein oftmals nicht mal mehr dessen Namen. Trifft er aber eine Fehlentscheidung, ist das Geschrei groß. Ein undankbarer Job, in dem der Zusammenhalt eigentlich eng ist.

24 Schiedsrichter pfeifen in der deutschen Bundesliga, 20 in der zweiten Liga. Sie alle sind ab Mittwoch (3.1.) im Hilton Sa Torre in Llucmajor, wo man sich zu einem Trainingslager verabredet hat. Das Treffen findet zum fünften Mal in Folge auf Mallorca statt, bis 2015 war auch der ehemalige Bundesligaschiri Thorsten Kinhöfer und jetzige Kolumnist der „Bild am Sonntag" mit dabei.

„Um 7.30 Uhr steht der erste Lauf an, um 22 Uhr fällt man dann todmüde ins Bett", sagt Thorsten Kinhöfer über den Ablauf der Trainingslager zur MZ. „Nachdem sich viele Schiedsrichter über den straffen Zeitplan beschwert haben, wurde dieser entzerrt, sodass es mehr Zeit für teambildende Maßnahmen gab. Manche spielen Fußballtennis, einige Tischtennis und andere gehen spazieren." In der Bundesliga sei man quasi das 19. Team, so Kinhöfer.

In diesem Jahr wird neben dem sportlichen Programm besonders viel Wert auf teambildende Maßnahmen gelegt werden, denn in der Hinrunde der Bundesliga hat es ordentlich gekracht. Zwei Psychologen sind erstmals beim Trainingslager mit dabei. Sie sollen vermitteln im Knatsch um Mobbing-Vorwürfe und den neu eingeführten Videobeweis.

Streit um angebliche Begünstigungen

Der Ärger begann im August 2017, als Schiedsrichter Manuel Gräfe in einem „Tagesspiegel"-Interview seinen ehemaligen Vorgesetzten Hellmut Krug und Herbert Fandel vorgeworfen hat, Günstlingswirtschaft bei der Vergabe der Spiele betrieben zu haben. „Es ging zu oft nach Gusto, nicht nach Leistung", so Gräfe. Auch von Mobbing war die Rede. Die Atmosphäre sei so bedrückend und belastend gewesen, dass sich der ehemalige Schiedsrichter und Skandalbuch­autor Babak Rafati das Leben nehmen wollte. Mobbing - auch ein Thema für das kommende Trainigscamp?

„Im deutschen Schiedsrichterwesen gibt es kein systematisches Mobbing", sagt Kinhöfer. Eine Umfrage in einem früheren Trainingslager auf Mallorca habe jedoch ergeben, dass es generell eine „Disharmonie" zwischen den Schiedsrichtern und den Vorgesetzten gebe. „Schiris sind Alphatiere. Sie fühlen sich bei Kritik häufig benachteiligt. Der ein oder andere Schiedsrichter nimmt sich auch zu wichtig und das Gruppengefüge verliert daher an Balance." Für den Zusammenhalt haben sich zu Kinhöfers Zeiten drei, vier Schiedsrichter ­verantwortlich gefühlt. „Heute wird oft nur noch auf sich selbst geachtet."

Viel Augenmerk liegt derzeit auch auf dem Namen Felix Zwayer. Laut Manuel Gräfe ist er einer der Lieblinge der Vorgesetzten und wurde deshalb zu mehr Spielen berufen. Kinhöfer: „Als Schiedsrichter will man am liebsten jedes Wochenende pfeifen. Bei 5.000 Euro für ein Bundesligaspiel ist das auch eine finanzielle Angelegenheit."

Die Kritik an Felix Zwayer verschärft sich insofern, dass er in den Wettskandal 2005 um Robert Hoyzer verwickelt war. Auch hier war Manuel Gräfe an der Aufklärung beteiligt. Zwayer hatte Hoyzer lange Zeit nicht gemeldet und vor dem Spiel Wuppertal gegen die Amateure von Werder Bremen als Linienrichter 300 Euro angenommen, um Wuppertal zu bevorzugen. Der DFB sperrte den ­Schiedsrichter des Jahres 2014 damals für sechs Monate. „Damit hat er seine Strafe bekommen", sagt Kinhöfer. „Man kann nicht ewig auf so einem Makel herumreiten. Deutschland ist ein Rechtsstaat. Wenn man seine Strafe verbüßt hat, muss auch wieder gut sein."

Um den Streit zu schlichten, schaltete der DFB Ende Oktober seine Ethikkommission ein. Ergebnis: Manuel Gräfe durfte sich ohne Rücksprache mit den Offiziellen nicht mehr öffentlich äußern. Hellmut Krug gab seine Funktion in der Chefetage ab, ist aber weiter im Projekt Videobeweis tätig. Herbert Fandel darf nicht mehr an Lehrgängen teilnehmen. „Die Entscheidung ist wachsweich", sagt Kinhöfer. „Fandel als Vorstandsvorsitzender kann mit seinen Mitarbeitern sprechen, sie coachen, aber nicht an Betriebsversammlungen teilnehmen. Was ist das für eine Entscheidung?"

Ärger um den Videobeweis

Der Videobeweis ist der nächste Streitpunkt, den es zu besprechen gilt. Nach einer Euphorie zur Einführung in dieser Saison folgte die Ernüchterung. Das Spiel wurde oft unterbrochen und selbst dann wurde nicht immer Recht gesprochen. „Nicht jede Entscheidung ist schwarz oder weiß. Als Aubame­yang vor einem Monat für Dortmund im Derby gegen Schalke mit der Hand getroffen hat, hat jeder Schiedsrichter gesagt, dass er die Hand gar nicht hätte wegnehmen können. Das Tor war korrekt - aus Schiedsrichtersicht." Doch Fans und Trainer sahen das anders. „Die Streitpunkte zwischen dem Schiedsrichterwesen und der Öffentlichkeit ergeben sich sehr häufig aus dem Graubereich. Vielleicht muss ein Schiedsrichter dann auch mal andere Blicke zulassen und seine Entscheidungen generell überdenken."

Kinhöfer selbst hätte gerne den Videobeweis zu seiner aktiven Karriere gehabt. „Er sollte aber nur eine Absicherung sein. Die Entscheidungen müssen auf dem Platz getroffen werden." In diesem Sinn widerspricht Kinhöfer auch der Forderung der Fans und Vereine nach einer sogenannten Challenge: Bei dieser könnte der Trainer in bestimmten Spielszenen den Videobeweis anfordern. „Das ist Schwachsinn. Jedes Tor, jeder Strafstoß und jede rote Karte werden heutzutage überprüft. Damit ist jede wichtig Szene bereits eine Challenge. Und ein Freistoß im Mittelfeld interessiert nun niemanden. Dafür brauche ich keine Challenge."

Der 49-Jährige nimmt auch den umstrittenen Videoschiedsrichter in Schutz. „Das ist auch nur ein Mensch. Ich kann am Fernsehen eine Szene minutenlang vor- und zurückspulen. Der Videoschiedsrichter muss in 20 bis 30 Sekunden entscheiden. Da es im Fußball um viel Geld geht, ist der Videobeweis aber unaufhaltsam."