Es gibt im Spitzensport kaum so eine enge familiäre Bindung wie die zwischen Rafael Nadal und seinem Onkel Toni. Der 56-Jährige hat aus seinem Neffen einen der weltbesten Tennisspieler geformt. In der kommenden Saison muss der 31-Jährige aus Manacor allein seinen Platz als Weltranglistenerster verteidigen. Toni Nadal hat seinen Abschied bekannt gegeben. In Zukunft möchte er sich mehr um die jungen Talente in der Tennisakademie von Rafael Nadal in Manacor kümmern. Dort traf ihn die MZ zum Interview.

War der Abschied von Rafael Nadal sehr emotional?

Nein, es war ein Wechsel des Arbeitsplatzes und nichts weiter.

Nach all den Jahren war das eine reine Formalie für Sie?

Es hat sich ja nur meine Arbeit geändert. Rafael ist mein Neffe. Er gehörte vor meinem Abschied zur Familie und tut das auch weiterhin.

Eigentlich wurde der Wechsel bereits vor einem Jahr eingeleitet, als Carlos Moyà zum Trainerstab hinzukam.

Ich habe mich erst jetzt für den Wechsel entschieden. Ich habe gemerkt: Ich bin völlig entbehrlich geworden. Mit Carlos gibt es einen neuen Coach, und da braucht mich Rafael nicht mehr.

Haben Sie ihn diese Saison noch begleitet, weil er vor einem Jahr in einer sportlichen Krise steckte?

Das hat damit nichts zu tun. Vor dieser Saison wusste ich noch nicht, wie es mit Carlos Moyà laufen wird. Als ich dann gesehen habe, dass er zu jedem Training kam, war mir klar, dass meine Dienste nicht mehr gebraucht werden.

Können Sie so einfach das Thema Rafael Nadal abhaken? Schließlich sieht man sich regelmäßig beim Training auf den Plätzen der Tennisakademie.

Nein, wir werden nur selten zusammentreffen. Wenn ich mit der Arbeit meiner Tennisschüler beschäftigt bin, werde ich mir seine Trainingseinheiten nicht ansehen. Rafael macht sein eigenes Ding.

Wie oft hatten Sie in den vergangenen Tagen Kontakt zu ihm?

Ich habe mir zwei Trainingseinheiten von ihm angesehen und ihm eine Whatsapp-Nachricht geschickt, um zu fragen, wie es ihm geht.

Was werden Sie Ende Januar machen, wenn er bei den Australian Open spielt?

Meine Arbeit hier, und ich schaue mir die Spiele halt im Fernsehen an.

Was machen Sie, wenn Rafael Nadal Sie bitten würde, ihn zu einem Turnier zu begleiten?

Dann würde ich natürlich mitkommen. Aber ich glaube, dass er das nicht nötig hat. Dafür hat er seine Trainer.

Wie wäre Ihre Karriere ohne Ihren Neffen verlaufen?

Viel schlechter, nehme ich an. Ich hätte weiter in Manacor als Tennislehrer gearbeitet. Allerdings mit Schülern, die viel schlechter sind als Rafael.

Mit der ganzen Zeit und Aufmerksamkeit, die Sie Rafael Nadal gewidmet haben, haben Sie sich da schon mal wie sein Vater gefühlt?

Nie, ich habe mich als Verantwortlicher seiner Tennisausbildung gefühlt. Das gilt nicht nur für Rafael, sondern auch für meine anderen Schüler. Neulich war ich in Palma in einer Fernsehsendung. Der Sender hatte einen meiner ehemaligen Spieler eingeladen. Er erzählte, dass wir einmal einen Ausflug mit dem Auto machten und ein Schüler eine Papierkugel aus dem Auto geworfen hat. Ich hatte daraufhin das Auto angehalten und die Papierkugel

suchen lassen. Wenn sie unter meiner Aufsicht waren, hatten sich meine Schüler gut zu benehmen. Bei sich zu Hause konnten sie dann machen, was sie wollten.

Wie viel Prozent haben Sie Anteil am Erfolg von Rafael Nadal?

Wenig, obwohl das schwierig zu beziffern ist. Sein Spielstil ist der, den ich ihm beibringen wollte. ­Einem jungen Spieler sagt man, was er zu tun hat. Wenn es aber ein schlechter Spieler ist, schafft er es trotzdem nicht, den Ball im Feld unterzu­bringen. Es hängt daher stark von den Fähigkeiten des Spielers ab. Deswegen sind Rafaels Erfolge sein Verdienst.

Was waren die schönsten und schlimmsten Momente mit ihm?

Der beste Moment war für mich, als ich die Zügel übernommen habe und er die Bereitschaft gezeigt hat, sich zu verbessern. Von den Erfolgen her waren die ersten Siege am schönsten: der erste Titel in Montecarlo, French Open, Wim­bledon. Eigentlich hatte ich immer eine schöne Zeit mit ihm, egal ob auf dem Siegertreppchen oder dem Trainingsplatz. Die schlechten Phasen waren die Verletzungen. Besonders die Ermüdungsfraktur 2005 im Mittelfuß. Dazu kommen einige bittere Niederlagen.

In einem früheren Interview haben Sie gesagt, dass es keine erfolgreiche neue Tennisgeneration gibt, weil die jungen Spieler alle unreif sind.

Die Spieler werden heutzutage später erwachsen als früher. Das hat einerseits familiäre Gründe, andererseits ist es die Schuld der Gesellschaft. Die Überfürsorge der Kinder hat uns dazu gebracht. Als wir damals in die ATP-Tour eingetreten sind, waren die Elitespieler 20 oder 21 Jahre alt. In dem Alter gibt es heute kaum noch welche.

Ist das nicht ein Mangel an Talent?

Nein, das ist unlogisch. Becker, Borg, Wilander, Sampras, Djokovic, Nadal, Federer - alle haben mit jungen Jahren ihren ersten Grand Slam gewonnen. Es wäre sehr seltsam, wenn es derartig talentierte Spieler nicht mehr gebe. Der Lernprozess dauert heute einfach länger. Das ­sehe ich auch an meinen Schülern in der Tennisakademie. Vielleicht hat das Computer- und Handyzeitalter dafür gesorgt, dass es den Jugendlichen heute an Konstanz fehlt.

Was sollten die Eltern in Ihren Augen demzufolge tun?

Ich würde nie jemandem vorschreiben, was er zu tun hat.

In einem anderen Interview sagten Sie zum Beispiel, dass das Kind am Essenstisch immer auf dem schlechtesten Platz sitzen sollte, bis es sich einen besseren Platz verdient.

Das kann jeder entscheiden, wie er will. Meine Meinung ist, dass sich ein Spieler eher verbessert, wenn ich ihn dazu zwinge, mehr zu arbeiten und nicht weniger. Ich bin in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der das Kind nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. Das war damals der Vater, der sich diese ­Position im Lauf der Jahre verdient hat. Heutzutage ist das andersrum und das hat zu Problemen geführt. Wenn ich nach Hause komme, kann es nicht sein, dass ich mich auf den schlechtesten Platz setze und mein kleines Kind auf den besten. Den Anspruch darauf habe ich oder meine Frau. Es erscheint auch unlogisch, wenn das Kind ein besseres Handy als der Vater hat. Das ist

allerdings meine Sicht der Dinge. Es kann sein, dass jemand das komplett anders sieht und noch erfolgreicher ist als ich.

Wird man es Rafael Nadal anmerken, dass ihm künftig sein Onkel als Trainer und Mentor fehlt?

Nein, da wird es keine Veränderung geben. Rafael ist routiniert genug.

Er hat in dieser Saison sein Comeback gegeben. Das hatten ihm viele Experten nicht zugetraut.

2015 hat Rafael schlecht gespielt.Am Ende der Saison hatte er aber schon die Wende geschafft. Zum Jahresende hatten wir uns dann entschieden, die Saiten seines Schlägers zu ändern. Das hat ihm nicht gutgetan, und er hatte Probleme zu Beginn der Saison 2016. Danach haben wir erneut gewechselt, und es ging wieder bergauf, bis er sich am Handgelenk verletzt hat. Ohne die Verletzung hätte er schon 2016 eine gute Saison gespielt. Dieses Jahr ist er beschwerdefrei durchgekommen.

Wäre mit der Rückkehr an die Weltspitze nicht auch ein Karriere­ende denkbar gewesen? Getreu dem Motto: Aufhören, wenn es am schönsten ist.

Wer würde das denn tun? Würden Sie Ihren Job einfach so hinschmeißen?

Der Rücktritt von Philipp Lahm aus der Nationalmannschaft wäre ein Beispiel. Da war der Fußballer genauso alt wie Rafael Nadal jetzt.

Ich weiß nicht einmal, wer das ist. Das ist kein Beckenbauer und kein Nadal. Ein Raúl hat nicht aufgehört, als er einer der Besten war. Er hat seine Karriere beendet, als er nicht mehr auf einem gewissen Niveau spielen konnte. Ein Roger Federer hatte in den vergangenen fünf Jahren keinen Grand Slam gewonnen. Er wusste aber, dass er es noch kann, und hat weitergemacht. Bei Rafael ist das genauso.

Wird es im kommenden Jahr wieder zum ewigen Duell Nadal gegen Federer kommen?

Der Kampf um die Spitze wird in der nächsten Saison ausgeglichener. Federer, Nadal, Dimitrow und Murray werden mitmischen.

Werden Sie in der Akademie den nächsten Rafael Nadal ausbilden?

Es ist nicht einfach, einen Spieler auszubilden, der 16 Grand-Slam-Turniere gewinnen wird. Aber ich suche auch keinen neuen Rafael Nadal. Ich will meine Spieler besser machen und habe die Hoffnung, dass einige von ihnen Profis werden.

Wenn es einen kommenden Star in der Akademie gäbe, würden Sie dann noch mal die Arbeit wechseln und die Tour mit ihm machen?

Vielleicht ein paar Turniere. Aber für eine ganze Saison bin ich zu alt.