Schiedsrichter Mateu Astorga (23) blickt auf die Uhr. „Noch eineinhalb Minuten", sagt er. Er steht auf einem mit Gestrüpp bewachsenen Grundstück am Rande von Pòrtol, hält eine aufgeregte Taube in der Hand. Wenige Meter entfernt haben auf einem Mäuerchen neun Männer und zwei Kinder Holzkästen aufgebaut und warten auf ihr Kommando. ­

„Jetzt!", ruft Astorga und lässt das Taubenweibchen in den Himmel fliegen. Es ist Punkt 19.30 Uhr. Die Männer öffnen die Kästen. Mehr als 80 farbig bemalte Tauben flattern heraus und steigen in die Höhe. Auf ihren geöffneten Flügeln werden verschiedene bunte Muster sichtbar. Am Horizont, dessen Blau am Ende dieses heißen Tages keine Wolke trübt, umkreisen sie binnen Sekunden die Taube.

Aus der Ferne sind sie kaum mehr als Tauben zu erkennen, es sind fliegende Farbtupfer. In der Mitte der Täuberiche fliegt das Weibchen, als einziges Tier nicht bemalt. Zu Identifizierung trägt es zwei weiße Federn und einen Sender, mit dem sein Aufenthaltsort bestimmt werden kann. Die Männchen kämpfen darum, sie zu begatten. Ihre Rasse, die buchona española, ist in jahrhundertelanger Zucht auf besonders starkes Balzverhalten getrimmt worden.

Die Flugshow am Himmel Mallorcas, die auch deutschen Residenten und Urlaubern immer wieder auffällt, ist in Wahrheit ein harter Wettbewerb, bei dem jede Minute zählt. „Jede Minute, die ein Täuberich mit der Taube verbringt, bringt zwei Punkte. Nach zwei Stunden wird abgerechnet", erklärt José Antonio Pellicer, der balearische Verbandsvorsitzende der Vereine der colombicultura, wie der Taubensport genannt wird.

Zu Fuß und mit Autos verfolgen die Teilnehmer ihre Tiere im campo rund um Pòrtol, unterwegs verständigen sie sich mit Walkie-Talkies und Handys, Schiedsrichter Mateu notiert die Zeiten. Er erkennt die einzelnen Tiere an ihrer unterschiedlichen Bemalung. Jeder Halter hat sich zu Beginn der Saison im November für ein bestimmtes Muster auf der Oberseite entschieden. Auf der Unterseite der Flügel sind die Tauben jedes Züchters immer gleich bemalt. Pellicers beste Exemplare, denen er Namen wie „Delikatessen" und „Anonimo" verpasst hat, tragen oben auf gelbem Untergrund einen grünen Streifen und einen roten Punkt, die Unterseite ist pink. „Damit die Farbe gut zu sehen ist und lange hält, behandeln wir vorher mit Blondierungsmitteln", erklärt Pellicer. Jetzt zum Ende der Flugzeit im Juni ist die Farbe zum Teil schon herausgewachsen, weil die Vögel in die Mauser kommen.

Auf Mallorca hat das kuriose Hobby rund 120 Anhänger. Während der Saison lassen sie ihre Tauben in mehreren Wettbewerben meist zweimal die Woche zum Flirt in der Luft antreten. Nach jeweils sieben salidas steht ein Sieger fest. Die Zeiten der einzelnen Tauben werden in einer großen Tafel mit Steckkarten im Vereinslokal festgehalten. Um die Organisation kümmern sich die drei Vereine in Pòrtol, s´Estanyol und Santa Eugènia. „Früher gab es noch viel mehr, fast in jedem Dorf und jedem Viertel in Palma", erzählt der 53-jährige frühere Tui-Mitarbeiter. Schon sein Vater ließ farbig bemalte Tauben fliegen.

Das Züchten der Tiere ist eine Kunst für sich. Viele verbringen Jahre damit, den idealen Täuberich hervorzubringen. „Wichtig ist außerdem das Training", sagt Pellicer. Drei- bis viermal die Woche wird geübt. Das größte Ärgernis in den Augen der Taubenhalter sind geschützte Raubvögel, die ihre Zuchterfolge töten und auffressen. Vor allem der Wanderfalke und der Zwergadler sind gefürchtet. „Viele von uns haben so ihre besten Tauben verloren und manche haben deswegen aufgehört", sagt Pedro Adrover (58) aus Llucmajor. Auch Diebstähle der Tiere, die meist in Holzkästen auf Dachterrassen gehalten werden, kommen immer wieder vor.

Ihren Ursprung hat die ­colombicultura in der Zeit der Mauren. Sie sollen die Vorläufer der heutigen buchona española nach Spanien gebracht haben. Ob schon die Araber die Tiere bunt bemalten und zu Wettbewerben in die Luft schickten, ist allerdings nicht bekannt. Sicher ist aber, dass 1773 in Murcia ein Verein für colombicultura gegründet wurde, der erste dokumentierte Club dieser Art in der Welt. Heute ist das Hobby vor allem an der Mittelmeerküste Spaniens, von Katalonien bis Andalusien, verbreitet. Valencia ist das Zentrum der colombicultura schlechthin. Beim spanischen Dachverband sind heute rund 23.000 Mitglieder gemeldet.

Betrieben wird die colombicultura außerdem in Argentinien, Kuba, Mexiko, Peru, den Vereinigten Staaten und Venezuela. „Spanische Gastarbeiter haben die Tauben auch nach Deutschland gebracht und dort den einen oder anderen Wettbewerbe abgehalten", erzählt Pellicer.

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