Alle zehn Sekunden wird es knallen. Der Lärmpegel wird höher sein als der einer Rakete beim Abflug ins All, wenn der schottische Mineral­ölkonzern Cairn Energy 42 Kilometer vor der Küste von Ibiza mit der Suche nach Erdöl beginnt. Bei den seismologischen Untersuchungen, für die das Unternehmen auf dem spanischen Festland bereits die nötigen Gerätschaften in Stellung gebracht hat, wird mehrmals pro Minute Druckluft Richtung Meeresboden geschossen. Dadurch entstehen Schallwellen, die nicht nur die Wasseroberfläche in Wallung bringen, sondern auch in den Untergrund eindringen, der auf diese Weise wie beim Ultraschall erforscht werden kann.

75 Tage sollen die Arbeiten dauern, sie sind die Vorphase zu ersten Probe­bohrungen ab 2015. Doch die Bevölkerung werde davon nichts mitbekommen, heißt es beim Konzern, der in Spanien über die Tochtergesellschaft Capricorn Spain Limited agiert. Die Untersuchungen würden von einem Schiff aus durchgeführt, und außerdem in den Herbst- und Wintermonaten, wenn die Auswirkungen auf den Tourismus und die Umwelt geringer seien.

Letzteres zumindest halten Umweltschützer und Wissenschaftler für ein Gerücht: Denn die Unterwasserwelt zwischen Mallorcas Nachbarinsel und der Küste von Valencia werde in diesen 75 Tagen größtem Stress ausgesetzt sein. Zum einen könnten die seismologischen Untersuchungen wissenschaftlichen Gutachten zufolge verheerende Auswirkungen auf die Fischerei haben, da sie die betroffenen Gebiete förmlich entleeren. Zum anderen würden die Schallwellen den Lebensraum der Meeressäuger, insbesondere den der Wale, stark beeinträchtigen. Sie würden deren Verhaltensweisen wie etwa die Nahrungssuche verändern, die Wanderungsströme stören und das Orientierungsvermögen behindern, das vor allem über akustische Reize funktioniert, heißt es in einem Bericht der Tageszeitung „El Mundo". Laut Studien der Universidad Politécnica in Valencia, die auf Ersuchen der Regionalregierung von Valencia angefertigt wurden, ist eine der ersten und sichtbarsten Folgen solcher Unterwasserexplosionen, dass die Tiere offensichtlich die Orientierung verlieren, und an der Küste Kadaver von Walen angeschwemmt werden.

Der balearischen Umwelt­kommission zufolge gelten in der Wissenschaft üblicherweise 180 Dezibel als Grenzwert, ab dem Wale und Meeresschildkröten irreparable körperliche Schäden erleiden können. Die Detonationen wären mit 249 bis 265 Dezibel allerdings um Einiges lauter. Die Kommission erwägt deshalb, Widerspruch gegen das Gutachten über die Umweltbelastung der Untersuchungen, das das spanische Kabinett bereits abgesegnet hat, einzulegen und die Senkung der zulässigen Lautstärke zu fordern. Wie die Vertretung der Zentralregierung in Valencia Mitte Dezember bekannt gab, können Einwände noch bis zum 24. Januar vorgebracht werden.

Doch Cairn Energy will den Gegnern schon jetzt den Wind aus den Segeln nehmen: Die seismologischen Untersuchungen würden etwas leiser beginnen, die Laut­stärke würde erst nach und nach bis zum Erreichen des erforderlichen Werts gesteigert. Meeressäuger hätten somit ausreichend Zeit, sich aus dem betroffenen Gebiet zurückzuziehen, teilte der Konzern mit. Zudem werde man Walbeobachter unter Vertrag nehmen, die vom Schiff aus rund um die Uhr mittels Schallwellenkontrollsystemen nach Meeressäugern in dem untersuchten Gebiet Ausschau halten sollen.

An Brisanz gewinnt das Vorhaben des Mineralölkonzerns allerdings nach einer Entdeckung von Oceana im Sommer 2013. Die Meeres­schutzorganisation berichtete, just in diesem Teil des Mittelmeers, wo nun nach Erdöl gesucht werden soll, ein neues Habitat entdeckt zu haben. In mehr als 700 Metern Tiefe existieren demnach Felder von Schwammstein, die man bisher nur rund um die Kanaren und im Nordatlantik gefunden hatte.

„Der Fund stellt eine riesige Bereicherung für das Mittelmeer dar", heißt es in einer Stellungnahme von Oceana. „Mit nur einem Prozent der Meeresoberfläche ist es Lebensraum für 18 Prozent aller weltweit vorkommenden im Meer lebenden Arten." Entdeckt wurden Korallenwälder, Kolonien von Krustentieren, Tiefseekrebse- und Garnelen, Aale sowie Seesterne.

Es wäre ein Leichtes gewesen - sowohl für die valencianische Regionalregierung als auch für Cairn Energy - in Erfahrung zu bringen, dass in dem Gebiet wertvolle Ökosysteme beheimatet sind, kritisierte der Forschungsleiter von Oceana Europa, Ricardo Aguilar. „Sie hätten lediglich Nachprüfungen anstellen müssen, bevor sie die Suche nach Erdöl genehmigt oder ein Gutachten vorgelegt hätten, in dem diese Artenvielfalt mit keinem Wort erwähnt wird." Dass die Behörden eine Erlaubnis erteilen, ohne den blassesten Schimmer zu haben, inwieweit Flora und Fauna in Mitleidenschaft gezogenen werden, sei schlichtweg verantwortungslos.

Die „Alianza Mar Blava", in der sich unter anderem die Insel­räte von Ibiza und Formentera, aber auch Gemeinden, Umweltverbände, Fischer und Unternehmer aus der Tourismusbranche zusammengeschlossen haben, sieht durch die mögliche Ölförderung vor der Küste von Ibiza Tourismus und Umwelt gleichermaßen bedroht. Die Vereinigung kritisiert vor allem, dass lediglich die Auswirkungen der einzelnen Stufen der Voruntersuchungen und der Förderung evaluiert würden - mit dem Ziel, die schädlichen Umwelteinflüsse zu „zersplittern und dadurch geringer erscheinen zu lassen".

Zudem müssten die Auswirkungen aller Ölförderprojekte zwischen Spaniens Küste und den Balearen in ihrer Gesamtheit hinsichtlich möglicher Umweltschäden betrachtet werden, fordert die „Alianza Mar Blava". Denn das Vorhaben nordöstlich von Ibiza, für das Spaniens sozialistische Vorgängerregierung 2010 prinzipiell grünes Licht gegeben hatte, sei bei Weitem nicht das einzige.

Seismologische Untersuchungen plant Cairn Energy auch zwischen Kataloniens Küste und den Balearen, gut 100 Kilometer nördlich von Mallorca, um nach Erdöl und Erdgas zu suchen. Das spanische Kabinett hat diese bereits abgesegnet, derzeit wird die Umweltverträglichkeit geprüft. Und gerade erst vor zwei Monaten hat das Unternehmen Spectrum Geo Limited eine Genehmigung beantragt, um nördlich von Menorca, nordöstlich von Mallorca und südlich der Balearen seismologische Untersuchungen durchführen zu dürfen. Ein ebenfalls eingereichtes Umweltgutachten wurde inzwischen den betroffenen Behörden sowie Umweltschutzverbänden vorgelegt, die dazu Stellung nehmen sollen.

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