Nein, es ist sicher noch längst nicht alles gut im Mittelmeer rund um die Balearen, wenn es um die Fischbestände geht. Das will Antoni Grau, der bei der Landesregierung im Ministerium für Landwirtschaft und Fischerei arbeitet, auch gar nicht so verstanden wissen. Und doch, so bemerkt der studierte Biologe, habe sich die Meeresfauna rund um Mallorca, Menorca, Ibiza und Formentera in den vergangenen Jahren zu ihrem Vorteil entwickelt. Man sei selbstverständlich noch lange nicht so weit, Entwarnung geben zu können, doch aktuell sind erheblich weniger Fische stark gefährdet als noch vor 16 Jahren. Das ist die wichtigste Schlussfolgerung der Neuauflage der Roten Liste der Balearen-Fische, einem Buch, das Grau gemeinsam mit Kollegen vor wenigen Wochen herausgegeben hat. Darin lässt sich unter anderem nachlesen, dass rund 420 der etwa 650 insgesamt im Mittelmeer heimischen Fischarten rund um die Balearen vorkommen.

„Wir waren selbst ein wenig erstaunt darüber, dass die Lage nicht mehr ganz so ernst ist wie befürchtet", berichtet Grau im Gespräch mit der MZ. Aber es sei schließlich auch einiges getan worden: Speziell die Meeresschutzreservate rund um Mallorca seien massiv ausgebaut worden. „Inzwischen sind rund 21 Prozent der Küstengewässer rund um die Balearen Schutzreservat", sagt Grau. Die auf diese Weise geschützte Fläche beträgt gut 58.000 Hektar. Und viele Arten haben sich aufgrund des deutlich ausgedehnten Schutzes in den vergangenen Jahren erfreulich erholt. Festzustellen sei außerdem, dass die Exemplare, die in den Reservaten leben, deutlich größer sind als ihre Artgenossen in ungeschützten Gewässern.

Ein positives Beispiel ist etwa der vor allem vor Cabrera beheimatete Zackenbarsch, auf mallorquinisch mero genannt. Vor wenigen Jahren noch stark gefährdet, haben sich seine Bestände aufgrund der strengeren Fangvorschriften deutlich erholt. „Beim mero war die Überfischung das größte Problem. Den Beständen des Zackenbarsches wurde überhaupt keine Zeit gelassen, sich wieder zu erholen", sagt Grau. Seit der Fisch aber einigermaßen in Ruhe gelassen werde, steige seine Zahl in den Gewässern rund um die Inseln wieder deutlich an.

Der zweite Aspekt, den Grau durchaus optimistisch in die Zukunft blicken lässt, ist die Tatsache, dass die Biologen heutzutage über immer mehr Informationen verfügen. Informationen, die Grau und seine Mitstreiter bei der Herausgabe der ersten Roten Liste vor gut 16 Jahren noch nicht hatten. „Damals schätzten wir aus Unkenntnis einige Arten als gefährdet ein, hatten aber in Wirklichkeit keine Ahnung, wie es um sie steht. Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme." Auch deshalb hat sich bei der Neuauflage des Buches die Zahl der akut gefährdeten Arten von 62 auf 54 verringert.

Laut Grau sei vor allem die Internationale Artenschutzunion UICN verantwortlich gewesen für die ­pessimistischere Einschätzung. Die in der Schweiz beheimatete Organisation gibt lediglich Kriterien für die Gefährdung von Landtieren heraus. Diese bei Meerestieren anzuwenden, sei nicht eins zu eins möglich. Grau und seinem Team war aber vor 16 Jahren nichts anderes übrig geblieben.

Doch es gibt auch noch viel Arbeit. Sorgen machen den Experten nach wie vor vor allem zwei Spezies: Haie und Rochen. Vor den Balearen sind laut Grau 34 Hai­arten und 24 Rochenarten heimisch. Nahezu alle seien mittelmäßig bis stark gefährdet. Haie und Rochen haben einen entscheidenden Nachteil, der sie verwundbarer macht als andere Fische: Sie besitzen eine deutlich geringere Regenerationskapazität, weil

sie keine Eier legen, sondern sich gleichsam wie Säugetiere durch Befruchtung und Austragen der Nachkommen vermehren. „Die anderen Fischarten haben sich auch deshalb so schnell erholt, weil sie bis zu mehreren Millionen Eiern pro Jahr legen." Die jungen Haie wachsen viel langsamer heran als andere Fische und erreichen deutlich später die Geschlechtsreife.

Ähnlich verhält es sich bei den Rochen. „Diese beiden Spezies haben sich im Vergleich zu unserer Erstauflage des Buches leider kaum erholt", mahnt Grau. Die Maßnahmen, die zum Schutz von Haien und Rochen ergriffen worden seien, hülfen eben nur sehr bedingt. Zumindest ein paar wenigen Rochenarten gehe es offenbar ein wenig besser. „Wir machen das an den rund 1.800 Rochenstichen fest, die wir im vergangenen Sommer rund um die Insel gemeldet bekommen haben und die natürlich für die gestochenen Badegäste nicht unbedingt angenehm sind", sagt Grau. Rochen sind häufig schwer zu entdecken, da sie sich durch ihre Form und Farbe im flachen Uferbereich perfekt im Sand tarnen können.

Gleichzeitig räumt Grau ein, dass den Experten exakte Zahlen zum Fischbestand rund um die Balearen fehlen, weil „in den vergangenen Jahren kein Geld da war", um die Fische zu zählen. Seit vier, fünf Jahren habe man schon nicht mehr gezählt. Erst seit diesem Jahr verfüge man wieder über finanzielle Mittel, um entsprechende Studien zu veranlassen. „Wir können aber ohnehin nur in den Schutzreservaten zählen", erklärt Grau.

Und dann ist da ja noch der Konsument, der aufgrund seiner Vorlieben zu einem großen Teil für das Problem der Überfischung verantwortlich ist. Grau berichtet, dass zwar etwa 130 Arten rund um die Balearen gefischt werden, aber gerade einmal zehn Fischarten etwa 60 Prozent des Verkaufsvolumens ausmachen, von denen wiederum einige, wie Lachs oder Kabeljau, gar nicht von hier seien. „Es sind fast ausschließlich größere Fische. Sie sind einfacher zu verarbeiten und haben nicht so kleine Gräten." Für den Ökohaushalt ist dieser Trend natürlich schädlich. Grau ruft deshalb dazu auf, vor allem die Fische zu kaufen, die vor den Balearen aus dem Wasser geholt wurden.

Den Verbraucher treffe aber nicht die alleinige Schuld, denn er werde häufig im Unklaren über die Herkunft der Fische gelassen. „Oder die Fische werden gleich falsch ausgewiesen." Vor allem auf den Märkten werde viel Schmu mit der Herkunftsbezeichnung getrieben. „Wir können nicht von den Konsumenten verlangen, dass sie einen Betrug bei der Etikettierung erkennen." Deshalb würde Grau gerne ein Kennzeichnungssystem für in heimischen Gewässern gefangene Fische einführen. Bis es so weit ist, dürfte aber noch Zeit vergehen. Die Zahlen indes sprechen für sich: „Die vor den Balearen gefischten Tiere machen lediglich 15 Prozent des auf den Inseln konsumierten

Fisches aus."

Das rät der Meeresbiologe: Diese Arten können Sie bedenkenlos essen

Krustig: Langosta

„Die langosta ist für einen Bewohner der Balearischen Inseln das Höchste der Gefühle", sagt Biologe Toni Grau. Die Languste (Palinurus elephas) komme rund um Mallorca, Menorca und Ibiza so zahlreich vor, dass man sie - zumindest außerhalb der Schonzeit - ohne Gewissensbisse fangen und verarbeiten könne. Vor allem auf Menorca ist das bis zu 60 Zentimeter lange Tier beliebt und Hauptbestandteil der sogenannten caldereta de langosta, die ihren Ursprung in dem kleinen Fischerdorf Fornells hat. Die Fangsaison für die Languste beginnt im April und dauert den ganzen Sommer hindurch. Die Balearen sind neben Korsika laut Grau die einzige Region im Mittelmeer, in der Langusten gefangen werden.

Fein: Boquerón

Ebenfalls bedenkenlos können Konsumenten die kleinen boquerones verzehren. Die Europäischen Sardellen (Engraulis encrasicolus) können ausgewachsen bis zu 15 Zentimeter lang werden und haben gleich mehrere Vorzüge: Zum einen sind sie echte Schnäppchen und kosten auf dem Markt oft nur wenige Euro. Außerdem sind sie im Vergleich zu den größeren Fischen deutlich weniger mit Schwermetallen belastet. Boquerones sind in der Küche vielfältig einsetzbar. In Spanien isst man sie vor allem in Essig eingelegt oder auch frittiert. Kurz in Mehl gewendet und in der Pfanne in Öl ausgebraten, kommt ihr Geschmack am besten zum Tragen.

Kräftig: Gerret

Ein wenig in Vergessenheit geraten unter den balearischen Fischen ist der gerret. Ausgewachsen zwischen 15 und 18 Zentimetern groß, kommt er rund um Mallorca und die anderen Inseln sehr zahlreich vor und ernährt sich hauptsächlich von Plankton. Die Schnauzenbrasse (Spicara smaris) ist in einer Tiefe von bis zu 300 Metern aufzufinden. „Früher war der gerret der Fisch, der auf den Balearen am meisten konsumiert wurde", sagt Toni Grau. Der auf Spanisch caramel genannte Fisch ist jedoch ein wenig aus der Mode gekommen und gar nicht mehr an allen Fischständen zu bekommen. Dabei eignet er sich hervorragend, um Suppen oder einen Sud aus ihm zu machen, weil er einen sehr intensiven Geschmack besitzt. Gebraten oder frittiert ist er wegen der vielen Gräten etwas gewöhnungs­bedürftig.

Umtriebig: Llampuga

Bevor sie auf Wanderung gehen und anderswo bis zu einem Meter lang werden, ist im Herbst die Fangzeit für die llampugas (Goldmakrelen, Coryphaena hippurus). Dem schmackhaften Fisch und den Urlaubern zuliebe wird dann etwa in Cala Ratjada eigens eine mostra de la llampuga, eine Goldmakrelen-Messe abgehalten. „Es ist ein Segen, dass die Bestände inzwischen mehr als groß genug sind, denn die llampuga ist in den vergangen Jahren sehr in Mode ­gekommen", sagt Toni Grau. Heutzutage werde der Fang weitaus besser gesteuert als früher, als man das ganze Jahr über Goldmakrelen aus dem Wasser gezogen habe. Jetzt sind es nur ein paar Monate, was zum einen den Preis auf einem halbwegs vernünftigen Niveau hält und zum anderen den Beständen in den verbleibenden Monaten genügend Zeit lässt, sich wieder zu regenerieren.

Durchsichtig: Glasgrundel

Ein typischer Balearenfisch ist auch der jonquillo (Aphia minuta). Die auf Deutsch Glasgrundeln genannten Fischchen halten sich vor allem in einer Tiefe zwischen 5 und 80 Metern auf und ernähren sich auf dem Meeresgrund von diversen Mikroorganismen. Die Winzlinge werden selten länger als sechs Zentimeter, sind fast durchsichtig und haben eine Lebenserwartung von einem Jahr. Zur Fortpflanzung sinken sie im Sommer in tiefere Gewässer, um dort mit Vorliebe in Muschelgehäusen ihre Eier abzulegen. Auf den Balearen werden die jonquillos üblicherweise zwischen Dezember und Ende April gefischt, um dann auf dem Markt als schleimige Masse feilgeboten zu werden. Der Anblick sollte einen nicht schrecken: jonquillos sind eine Delikatesse. Auf Mallorca werden sie - nach einer gründlichen Wässerung, um sie vom Sand zu befreien - traditionell mit Mehl und Ei zubereitet. Man formt kleine Fladen und brät sie in Olivenöl aus. Ihr intensives Aroma erlaubt aber auch viele andere Zubereitungsmöglichkeiten.